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Medien: Adorno und Alltag

Als der Pop noch links war, kam „Spex“ auf den Markt. Jetzt wird das Magazin 25 Jahre alt

Kürzlich in der Sarah-Kuttner-Show: Ein junger Mann lümmelt sich auf dem unbequemen Klappstuhl und antwortet etwas unsicher auf die Fragen der Viva-Gastgeberin. Nein, diese Zeitschrift sei – anders als ihr Ruf – nicht so studentisch verkopft; ja, es würde sich durchaus lohnen, einen Blick in das Magazin zu werfen. Kaum zu glauben, dass Uwe Viehmann Chefredakteur der traditionsreichen „Spex“ ist. Fraglich, ob das „Magazin für Popkultur“ je ein „elaboriert verquarktes, gespreiztes Angeberblatt“ war, wie Wiglaf Droste maulte; falls doch, sind diese Zeiten längst vorbei. Auf dem heutigen, segmentierten Zeitschriftenmarkt übt man sich in Bescheidenheit.

1980 sah die Presse- und Musiklandschaft noch anders aus: Die Erschütterungen durch Punk und New Wave, die immer raschere Aufsplitterung der Jugendkulturen und das Entstehen von unabhängigen Labels schufen ein steigendes Bedürfnis nach musikjournalistischer Begleitung. Es entstanden zahlreiche „Fanzines“, kleine selbst kopierte und geheftete Blättchen, die lokale Szene-Berichterstattung betrieben. Am 10. September 1980 erschien in Köln die erste Ausgabe der „Spex“, herausgegeben von der Redaktion selber. Sie versprach im Untertitel „Musik zur Zeit“ zu beobachten, zu besprechen, zu fördern. Zwanzig schwarz-weiße Seiten boten vor allem Interviews, aber auch Nachrichten, Bandporträts, Konzertreviews und Plattenkritiken. Auch wenn Layout und Sprache („Der Schlagzeuger gefiel mir besonders gut!“) noch an Fanzines erinnerten, kam die „Spex“ doch überregional und regelmäßig heraus. Spätestens als das ebenso fortschrittliche Magazin „Sounds“ drei Jahre später mit dem „Musikexpress“ fusionierte und einige Redakteure zur „Spex“ wechselten, galt die Kölner Zeitschrift als das Zentralorgan des avancierten Redens über Pop.

Manchen Lesern war der Stil der „Spex“ zu intellektuell verschroben und die subjektive, oft rechthaberische Herangehensweise, die gleichzeitig gepflegt wurde, verhasst. Bis heute hört man den Vorwurf, dass der akademische Duktus dem Gegenstand Pop nicht angemessen sei. Doch egal, wie man dazu steht: Der Ton, den die Autoren der „Spex“ anschlugen, war neu und wurde oft kopiert. Einflussreiche Popjournalisten erschrieben sich hier ihren Ruhm, etwa Clara Drechsler, Diedrich Diederichsen, der von „Sounds“ kam, Olaf Dante Marx oder Dietmar Dath. Auch die Verbindung von ästhetischer mit politischer Analyse, wurde hier wie nirgendwo sonst in den Mittelpunkt gerückt. Die „Spex“ entwickelte sich zu einer der wichtigsten Publikationen der so genannten Poplinken, eine Bewegung, die eher auf den Diskurs als auf die Tat setzte und populären Produkten zugeneigt war. Der Eifer und Enthusiasmus, mit dem Pop ernst genommen wurde, unterschied diese Linke von den 68ern, die Kulturindustrie nur als „Massenbetrug“ (Theodor W. Adorno) wahrnahm. Die „Spex“ erschloss sich immer neue Themen: Neben Independent-Rock wurden Hip-Hop und Elektronisches wichtig, neben der Musik auch Film, Computerspiele, bildende Kunst.

Zum Jahrtausendwechsel kündigte sich eine Krise an: Durch zahlreiche neue, oft kostenlose Konkurrenzblätter hatte die „Spex“ ihren Status als wichtigstes alternatives Musikmagazin eingebüßt und verkaufte sich nicht mehr. Auch wollten sich die Herausgeber wie Diedrich Diederichsen, die Künstlerin Jutta Koether oder der Fotograf Wolfgang Tillmans zurückziehen. Was der ehemalige Chefredakteur Dath in einer der letzten eigenverlegten Ausgaben schrieb, klang schon wie ein Abschied: Er charakterisierte die „Spex“ als einen Ort, „wo Leute etwas selber machen, anstatt immer nur was mit sich machen zu lassen. Arbeiten sollte heißen, einander Überraschungen zu bereiten. Das ist das Glück im Glücksspiel. Und das passiert einem, weil es welche gibt, die so was wie das hier lesen. Danke!“

Im Januar 2000 wurde die Zeitschrift an die Münchner Piranha Media GmbH verkauft, die mehrere Popkultur- und Werbemagazine verlegt. Nach diesem Einschnitt suchte die Redaktion, die beinahe vollzählig erhalten blieb, neue Wege. Im September war der Relaunch vollzogen: Seitenzahl und Bildanteil wurden erhöht, das ganze Heft war neuerdings komplett vierfarbig, Modestrecken und liebevoll gestaltetes Layout lockerten den nach wie vor anspruchsvollen Inhalt auf. Am meisten aber überzeugte die Leser wahrscheinlich eine beigelegte CD, die Songs aus neuen Alben vorstellte. Obwohl diese Veränderungen begleitet wurden von heftigen Beschwerden einiger Stammleser, die den „Spex“-Machern Ausverkauf ihrer Ideale vorwarfen, stiegen die Verkaufszahlen in den nächsten Monaten kontinuierlich.

Der Durchschnittsleser ist heute so alt wie die „Spex“ selbst, männlich wie der überwiegende Teil ihrer Redaktion und nicht unbedingt Student. Die Zeitschrift präsentiert sich 2005 innovativ und einladend. Die Theorielast wird in Sonderteilen gebündelt, die sich beispielsweise mit Architektur, Fernsehserien oder mit Pornografie beschäftigen. Neben der Musik-CD erscheint viermal im Jahr eine DVD mit Videoclips und Kurzfilmen. Und: Während in den neunziger Jahren elektronische Musik und Hip-Hop überwog, regiert heute wieder Gitarrenmusik – aber bisweilen kommt auch ein Ex-Boyband-Mitglied wie Justin Timberlake auf das Cover.

Der Redaktionssitz bleibt in Köln, auch wenn andere Popmedien und -messen die Stadt verlassen haben. So viel Tradition mutet man sich dann doch zu.

Daniel Völzke

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