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Medien: Ahawah heißt Liebe

Der RBB erinnert an ein jüdisches Kinderheim in Berlin

David wollte nicht länger von Schokoladenbären träumen, Otto hingegen drückte sich lieber weiter die Nase am Schaufenster platt. Oder war es umgekehrt? Der Süßwarenladen lag auf ihrem Schulweg, gleich gegenüber der Jüdischen Volksschule in der Berliner Rykestraße – und die alten Herren streiten noch heute darüber, wer damals die langen Finger machte. Sicher ist nur, dass sie die Beute später teilten.

David Marcus und Otto Weiß sind heute fast 90 Jahre alt. Sie wurden Freunde in dem jüdischen Kinderheim Beit Ahawah, das sich nach dem Ersten Weltkrieg in der Auguststraße 14-16 befand. Im Zimmer mit der Nummer 8 verbrachten sie mehr als zehn Jahre. 1934 bestiegen sie gemeinsam ein Schiff, das sie nach Palästina brachte. Die Frau, die sie auf diese Reise schickte, war Beate Berger. Die Heimleiterin erkannte schon früh, dass jüdische Kinder in Deutschland keine Zukunft hatten. In Kirjat Bialik, einer kleinen Stadt in der Nähe von Haifa, errichtete sie ein neues Heim und brachte dort bis 1940 rund 300 jüdische Kinder aus ganz Europa in Sicherheit.

Von Beate Berger hörte die israelische Filmemacherin Ayelet Bargur zum ersten Mal, als sie 13 Jahre alt war. Die Schwester Oberin, wie sie die Kinder nannten, war ihre Urgroßtante. Viele Jahre später folgte die heute 37-Jährige den Spuren ihrer Tante, suchte die Ahawah-Kinder von einst und widmete ihnen einen Dokumentarfilm. Von den Zeitzeugen, die sich sehr genau an ihr Leben in der Ahawah erinnern, lebt der Film. Von Kinderstreichen ist die Rede, vom Katzentisch, von Chanukka und vielen Abschieden. Gemeinsam mit David Marcus und Otto Weiß besuchte Ayelet Bargur auch die Auguststraße. Das Haus hinter der Jüdischen Synagoge ist heruntergekommen, Regenwasser dringt durch das Dach und die Wände sind feucht. Für die alten Herren aber war es noch immer die Ahawah, in der die Schwester Oberin über die Gänge lief.

Beate Berger war selbst Jüdin und diente im Ersten Weltkrieg drei Jahre lang in einem deutschen Lazarett. „Sie fühlte sich als eine loyale Deutsche“, sagt Ayelet Bagur. 1922 übernahm sie die Ahawah. Als die nichtjüdischen Mitarbeiter am 1. April 1933, dem sogenannten Boykott-Tag, nicht im Kinderheim erschienen, war ihr wohl klar, dass sie handeln musste. Sie sammelte Geld und verhandelte mit der britischen Mandatsregierung über Visa für die 120 Mädchen und Jungen in ihrer Obhut. Im Laufe der Jahre aber gelang es ihr, 100 Kinder von Deutschland nach Erez Israel zu bringen.

Otto Weiß und David Marcus bekamen ein Ticket für das erste Schiff nach Palästina. Zum Pessach-Fest 1934 gingen sie in Triest an Bord der Italia. Beate Berger starb 1940 und musste so nicht mehr erleben, dass das Haus in der Auguststraße ein Jahr später geschlossen und die zurückgebliebenen Kinder deportiert wurden. Das Kinderheim in der Bucht von Haifa hingegen gibt es noch, es trägt bis heute den Namen Ahawah – und Ahawah heißt Liebe. Christiane Wirtz

„Das Haus in der Auguststraße“, RBB, 22 Uhr 35 Uhr

Christiane Wirt

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