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Aspirin, einer der größten Verkaufsschlager des Bayer-Konzerns, ist so erfolgreich wegen seiner Wirkung – und wegen einer riesigen Marketingkampagne.

© WDR/Taglicht media

"Akte D" zur Pharmainddustrie: Pillendrehers Paradies

Wieso die Arzneimittelkosten in Deutschland immer weiter steigen. ARD-Doku über „Die Macht der Pharmaindustrie“.

Man kann ja von Horst Seehofer (CSU) halten, was man will, aber als Bundesgesundheitsminister hätte er fast Geschichte geschrieben. 1993 wollte er eine sogenannte Positivliste einführen, die alle verschreibungsfähigen Medikamente enthalten sollte. Damit sollten die stetig steigenden Kosten bei den Arzneimittelausgaben ausnahmsweise mal gesenkt werden. Doch noch vor dem Inkrafttreten wurde der Plan wieder aufgegeben, und Seehofers Staatssekretär beschenkte den Präsidenten des Pharma-Verbandes bei einem Empfang mit einer geschredderten Positivliste, wie ein Schwarz-Weiß-Foto mit zwei gut gelaunten Herren belegen soll.

Winfried Oelsner, Autor der ARD-Dokumentation „Die Macht der Pharmaindustrie“, bediente sich beim ZDF-Archiv, um das passende Seehofer-Zitat zu finden. Strukturelle Veränderungen seien „nicht möglich wegen des Widerstandes der Lobby-Verbände“, sagte der Politiker damals dem Magazin „Frontal 21“.

Lobbyisten-Route in Berlin dichtmachen!

Eine erstaunlich resignative Aussage, die nahe legt, dass vielleicht die Lobbyisten-Route im Berliner Regierungsviertel dichtgemacht werden sollte. Gerhard Schröder, Kanzler der rot-grünen Bundesregierung, legt die Idee mit der Positivliste 2004 endgültig zu den Akten. Dafür gibt es jetzt das noch von Philipp Rösler (FDP) auf den Weg gebrachte Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes. Das Ergebnis: Mit 37 Milliarden Euro leisteten die Krankenkassen 2015 Ausgaben in neuer Rekordhöhe.

Wieso hat die Pharma-Lobby so viel Einfluss? Wie kam es dazu? In der ARD-Reihe „Akte D“, die 2014 mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde, wird ein wenig weiter ausgeholt als sonst im Fernsehen üblich. Oelsners Film setzt mit dem Aufschwung der medizinischen Forschung im Kaiserreich an, mit Carl Duisberg und dem Einstieg Bayers ins Arzneimittelgeschäft, mit den Werbefeldzügen für Aspirin und Heroin, das zeitweise als „Mittel für alles“ galt, sogar gegen Nymphomanie. Aufwendige Marketing-Kampagnen und die Beeinflussung wissenschaftlicher Gutachten gehörten schon damals zu den Geschäftspraktiken.

Duisberg empfahl, Gegner "mundtot zu schlagen"

Protokolliert ist, dass Duisberg einem Pharmakologen empfahl, er solle den Gegner „mundtot schlagen“. 1925 folgte der Zusammenschluss der Konzerne Bayer, BASF und Hoechst zur IG Farben. Auch in der Nazizeit florierten die Geschäfte, und nach dem Krieg wurde zwar die IG Farben zerschlagen, aber Verbrechen wie die Menschenversuche in den Konzentrationslagern blieben vielfach ungesühnt.

Zu vielen Aspekten des Films gibt es längst eigene Dokumentationen, in diesem „Akte D“-Beitrag geht es jedoch um die kontinuierliche Linie einer fragwürdigen Nähe von Unternehmen, Behörden und Politik. Da lädt auch mal der Wuppertaler Oberbürgermeister einen Gutachter vor, um zu erwirken, dass das Medikament eines örtlichen Pharmakonzerns auf die geplante Positivliste kommt. Contergan- und Bluter-Skandal fehlen im Film auch nicht, ebenso wie die Arzneimitteltests westdeutscher Konzerne in der DDR. Die Hinweise auf den Segen des medizinischen Fortschritts gehen dabei zweifellos ein wenig unter, aber der kritische Ton bleibt unaufgeregt. Neben den Medizinhistorikern Christoph Friedrich und Philipp Osten kommen vor allem Pharma-Kritiker zu Wort. „Die systematische, über Jahre hinweg gewachsene Beeinflussung der Denkwelten von Politikern und Abgeordneten macht eine informelle Macht der pharmazeutischen Industrie aus, die von ihrer Wirtschaftsgewalt her gar nicht begründbar ist“, sagt Ellis Huber, früherer Präsident der Berliner Ärztekammer. Thomas Gehringer

„Akte D: Die Macht der Pharmaindustrie"; ARD, Montag, 23 Uhr 30

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