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Originell? Das deutschsprachige Netz ist in weiten Teilen eine Verwertungs- und Kommentierungsmaschine für Dinge, die anderswo eine kritische Bedeutsamkeit erreicht haben.

© dapd

Alte und neue Medien: Achtung! Dieser Text ist reaktionär

Die Netzwelt ist sich sicher: Bücher, Zeitungen, das Fernsehen – all das wird sich im Netz auflösen. Dabei entsteht im Internet nicht viel Neues. Es ist vielmehr eine gigantische Recyclingmaschine für Impulse von Außen.

Ein ganz normaler Tag im Internet: Der Blogger Stefan Niggemeier postet einen Beitrag, in dem es um die Berichterstattung der „Bild“-Zeitung zum Buch „Klick mich. Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin“ der Piratin Julia Schramm geht. Die Seite Netzpolitik.org verlinkt einen Beitrag der NDR-Fernsehsendung „Zapp“, in dem Zeitungsjournalisten zur Frage einer möglichen Kinovorführung des Schmähvideos „Die Unschuld der Muslime“ Stellung nehmen. Und in einem Online-Literaturmagazin erscheint ein „iPad-Interview“ mit dem Schriftsteller Kevin Kuhn über die Schreib- und Rezeptionswelt des Netzes. Der Grund: Kuhn hat einen Roman geschrieben, in dem sich der Protagonist komplett abkapselt und nur noch über das Netz mit der Außenwelt kommuniziert.

Zeitungen, Fernsehsender, Bücher – das deutschsprachige Netz ist, so scheint es nach diesem zugegebenermaßen tendenziösen Rundblick, in weiten Teilen eine Verwertungs- und Kommentierungsmaschine für Dinge, die anderswo, unter anderen Bedingungen, eine kritische Bedeutsamkeit erreicht haben. Im Netz gibt es, abgesehen von den Angeboten der großen Medienhäuser, so gut wie keinen Journalismus, der über die relativ kostenneutrale Beschäftigung mit dem Netz selbst und die Beobachtung klassischer Medien hinausgeht. Es gibt hier keine Literatur, die von den Literaturkritikern, auch denen im Netz, ernst genug genommen würde, als dass sie mit ihren Protagonisten Interviews führen würden. Und der politische Diskurs fesselt – Twitter ist hier ein guter Seismograf – selbst die Piraten vor allem dann, wenn einer der ihren bei Günther Jauch im Fernsehen sitzt.

Ist das nun schlimm? Beweist es irgendwas, was zu beweisen gewesen wäre? Natürlich nicht. Und doch stellt sich die Frage, was dieses Netz tatsächlich kann, spätestens mit Julia Schramms seltsamer Volte, ausgerechnet in einem Buch das Loblied des Netzes zu singen. Dabei geht es nicht um seine theoretischen Potenziale, sondern ganz praktisch darum, was jetzt möglich ist, wie man heute im Netz wahrgenommen werden und als Schreibender Geld verdienen kann. Das große Andere, das nicht zuletzt in Schramms Buch beschworen wird, scheint derzeit noch allzu oft dort zu scheitern, wo es aus eigener Kraft Wahrnehmbares schaffen soll. Schramms Buch kann dabei symptomatisch für eine sich wüst verstreuende Aufmerksamkeit stehen, die sich nur durch den Schritt aus dem so end- wie hierarchie- und ordnungslosen Diskurs bewältigen zu lassen scheint.

Man könnte das nun gewiss einfach auf sich beruhen lassen, vielleicht sogar begrüßen. Julia Schramm selbst hat eine derartige „Das-Beste beider-Welten-Denke“ in ihrem Buch angedeutet: „Ich flattere hin und her zwischen der alten Welt, mit ihren großen Dichtern und Denkern, mit epischen Opern und pompösem Ballett, und der neuen Welt, in der ich nicht nur rezipiere, sondern partizipiere.“ So weit, so schön: Hier die großen Ganzschriften, dort das große Ganze – für Protagonistinnen wie die 1985 geborene Schramm, die eben keine Digital Natives, sondern ins Digitale hinübergerutschte Analogwesen sind, mag das ein Modell sein. Für die, die derzeit tatsächlich im Netz aufwachsen, könnte sich die Frage nach dem anderen außerhalb der eigenen Klicksphäre bald gar nicht mehr stellen.

Spricht das nun für analoge Medien? Nein. Spricht es gegen das Netz? Auch nicht. Sollten Leute, die das Internet gut finden, nicht mehr „Anna Karenina“ lesen und anschließend darüber bloggen dürfen? Was für ein Schwachsinn! Was man jedoch im Kontext der de facto oft parasitären Existenz der wahrnehmbaren Netzwelt an der Offlinekultur zumindest nervig nennen kann: wenn die „analoge Welt“ von digitalemphatischen Publizisten sturmreif geschossen wird, ohne dass deren Lebens- und Verdienstmodelle tatsächlich aktiv darauf ausgerichtet wären, alte Strukturen zugunsten von neueren, besseren zu überwinden.

Für funktionierende Blogs werden immer wieder die selben wenigen Beispiele genannt

Zeitung oder iPad? Für die meisten keine Frage. Die Zeitung ist IM iPad.
Zeitung oder iPad? Für die meisten keine Frage. Die Zeitung ist IM iPad.

© p-a

Julia Schramms Verlagsvertrag steht für die Bigotterie einer ganzen „Szene“, die sich von der Welt, der sie vermeintlich gegenübersteht, aushalten lässt. So legitim es ist, dass Blogger nebenbei „Spiegel Online“, „Wired“ oder „Cicero“ Rechnungen stellen oder ihren Ruhm als Netzwelterklärer in Vorträgen zu Geld machen, so wenig helfen sie, Lösungsansätze für die drängenden Fragen des Schreibens im Jetzt und Morgen zu finden. Wie zur Hölle können wir dafür sorgen, dass ein guter Text als solcher erkannt wird, und sein Autor davon leben kann, auch wenn er keiner der wenigen Stars ist, die die Netzsphäre aushält? Wie kann sichergestellt werden, dass zukünftig nicht nur über die neuste netzpolitische Debatte, sondern auch über die Lage in Krisengebieten berichtet wird? Schließlich: Wie ist es möglich einen öffentlichen Diskurs zu führen, der eben nicht, durch das Fehlen jeglicher Brenngläser, gesamtgesellschaftlicher Hubs und Knotenpunkte, zerfasert und damit reprivatisiert?

Ausgerechnet der verteidigungspolitische Blogger Thomas Wiegold wird gerne als Beweis dafür genommen, dass Publizieren im Netz und kostenintensive Recherchethemen einander nicht ausschließen müssen. In einer Facebookdiskussion am Dienstag schrieb er, das mit der weiteren Finanzierung von Journalismus im digitalen Zeitalter sei „noch ein wenig problematisch“. Das drückt milde aus, was man auch deutlicher sagen könnte: Es ist völlig naiv zu glauben, neue Strukturen würden sich in dem Moment etablieren, in dem die klassischen Agenten – Verlage, Sender und so weiter – aufhören zu existieren. Es ist ebenso naiv zu glauben, deren Marken ließen sich im Netz dauerhaft als Knotenpunkte etablieren. Nicht, solange ein auch von Bloggern angeheizter Überbietungswettbewerb im Weglassen von Werbung und Bezahlschranken stattfindet. In der Literatur mag die Frage, was sich an Formen etabliert, wenn es keine klassischen Buchverlage mehr gibt, eine spannende sein. Mit ähnlicher Experimentierfreude einer Welt weitgehend ohne politische Öffentlichkeit zuzustreben, ist etwas, das man, nun ja, wollen muss.

Nun werden sich sicher auch was diesen Text betrifft im Netz viele Menschen finden, die glauben, auf all die Fragen schon eine Antwort zu haben. Von Crowdfunding wird die Rede sein, von Philanthropen, die Recherchereisen bezahlen, und davon, dass die publizistische Landschaft, wie sie sich vom Gestern ins Jetzt gerettet hat, so bewahrenswert nun auch wieder nicht ist. Das sehe man, werden einige schreiben, ja schon an reaktionären, fantasielosen und blödsinnigen Texten wie diesem. Vielleicht wird von bedingungslosem Grundeinkommen die Rede sein, vielleicht auch von Mikrospenden und sonstigen Finanzierungsmodellen. Fakt ist: Dieser Text ist mit einer bestimmten Zeitungsmarke verknüpft und mit einem Verlag, der in seine Erarbeitung investiert hat. Nur deswegen kann es überhaupt zu einer Debatte kommen, ohne dass der Autor zum kleinen Kreis derer gehört, die als Schreibende von der Aufmerksamkeitsökonomie des Netzes leben können. Und das ist das eigentlich Entscheidende.

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