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© ARTE France

Medien: Altes Testament, Naher Osten

Träume und Realität: Preisgekrönter Film über die Staatsgründung Israels

Über die Sehnsucht der Juden nach dem „Land, wo Milch und Honig fließen“, nach ihrem eigenen Staat Israel und über dessen Gründung, Gefährdung und Besiedlung gab und gibt es mannigfache Berichte – auch im Fernsehen. Wo Haim Bouzaglo jetzt in seinem Sechsteiler ansetzt, das ist der „subjektive Faktor“, die Sehnsucht der Juden, ihr Traum und ihr Versuch, ihn wahr zu machen. Und das zu einer Zeit, die für Träume alles andere als geeignet schien: die Jahre unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Es ist allzu viel zerstört worden. Wie sollten da Träume überleben?

Und doch, darauf beharrt Bouzaglo in seinem Film, waren es die Visionen und die Hartnäckigkeit dieser verstoßenen, gerade noch mit dem Leben davongekommenen Menschen, die das Unternehmen möglich machten: den Aufbruch ins gelobte Land, „Erez Israel“. Sie kamen aus allen Teilen Europas und aus Nordafrika. Ein spanischer Frachter soll sie von Nordafrika über Marseille illegal in das Land ihrer Väter, das Land ihrer Träume bringen. Der Pott, die „Yehuda Halevi“, schaut eher wie ein rostiger Seelenverkäufer aus denn wie ein seetüchtiger Frachter. Er muss sich vor den Briten verbergen, die Zureisen verhindern wollen und die Häfen Palästinas blockieren. Die komplizierte politische Lage, die internationalen Spannungen, das britische Protektorat, all das wird nirgends ex cathedra erläutert, man muss es erschließen. Der Filmemacher hält sich strikt an seine induktive Methode. Er geht sogar so weit, aus der Schar der Versprengten, die da auf dem Schiff zusammenfinden, keine „Helden“ hervorzuheben, sondern „Protagonisten“, deren Schicksal beleuchtet wird. Eigentlich sind alle gemeint.

Da ist Lea Goldenberg (Marie-France Pisier), die ihre Tochter Hannah verloren hat und weiß, dass nur ein Neubeginn sie von ihrem Kummer erlösen kann. Da ist Antoine (Bernard Campan), ein Nichtjude, der den Sohn seines deportierten jüdischen Freundes versteckt hat und nun den Verwaisten aufs Schiff bringt, damit er eine Heimat finde. In letzter Sekunde springt auch Antoine an Bord, denn plötzlich wird ihm klar: Es ist auch seine Reise. Da ist Dov (Jocelyn Quivrin), Mitglied der Geheimorganisation Haganah, der die Fahrt organisiert hat und nun mit lauter Widrigkeiten kämpfen muss: ein Motorschaden auf hoher See, ein britischer Spitzel, ein Käptn, der findet, es seien zu viele Passagiere an Bord. Und schließlich der Kleinkrieg der Emigranten untereinander. „Die Juden“ gibt es gar nicht. Es gibt die aschkenasischen, die mit den sephardischen nicht zurechtkommen, es gibt welche, die Hebräisch und solche, die Jiddisch sprechen, und man versteht sich nicht. Max, ein deutscher Jude, soll sich nun Moische nennen. Einig ist sich hier kaum einer, nicht mal mit sich selbst. Aber dann gibt es immer wieder diese wundersamen Szenen, wo einer anfängt und die anderen fallen ein, und dann singen sie alle miteinander. Und die Melodien und die Worte sprechen von etwas, das eben doch alle kennen und wollen: von ihrem Traum.

Was Bouzaglu gelingt, ist eine Atmosphäre der Legende, des Dramas, der Narration, in der ein „Es war einmal“ mitklingt. Zugleich aber schafft die fiebrige Erwartung der Flüchtlinge ein Gefühl der Unmittelbarkeit, der Nähe, des: „Es geht uns an“. Das Alte Testament trifft gewissermaßen auf den Nahost-Konflikt unserer Tage. Geschichte wird Dialog, Gesicht, Person. Die animierte Kamera von Romain Winding tut das ihrige dazu, den Zuschauer „hineinzuziehen“ in ein Konfliktfeld, das keine Präzedenz, keine Regeln, keine Struktur kennt. Alles ist hier sozusagen „illegal“, also müssen die Menschen alles neu schaffen.

Die Yehuda Halevi erreicht tatsächlich ihr Ziel – aber an der Küste des gelobten Landes warten bewaffnete Engländer. Nur ein Teil der Immigranten schafft es, sich mit Booten an Land und von da zu den Brüdern und Schwestern in den Kibbuz durchzuschlagen. Der Rest wird auf dem Frachter gefangen gehalten und von da nach Zypern in ein Lager gebracht.

Lager … Für manche, unter ihnen Max/Moische, endet der Exodus mit erneuter Internierung. Oder gar mit dem Tod.

„Milch und Honig“, sechs Teile, Arte, 21 Uhr

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