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Lukas Franke (Matthias Schweighöfer) wird erst gehackt und dann gejagt - und wird schließlich zum Jäger.

© Stephan Rabold/Amazon/dpa

Amazon-Serie "You Are Wanted": Herr Normal wird zum Hackeropfer

Amazons erste deutsche Streamingserie "You Are Wanted" glänzt und übertreibt mit Matthias Schweighöfer.

Was für eine Angeberei, werden jetzt einige stöhnen. „Ich möchte mit ,You Are Wanted’ bei den Streamern in einer Linie mit ,House of Cards’ oder ,Transparent’ stehen“, sagte Matthias Schweighöfer im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Das aber ist sein Anspruch, das ist auch der Anspruch von Christoph Schneider, Geschäftsführer von Amazon Prime Video Deutschland. Die Streaming-Plattform, die von sich sagt, sie liege beim deutschen Publikum vor Netflix und Maxdome, will am 17. März alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen, recht eigentlich die Konkurrenz von der Festplatte putzen. In Deutschland, in der Welt, es wird fünf Sprachfassungen geben.

Das Amazon-Original „You Are Wanted“ ist die erste deutsche Streaming-Serie – diese Prädikatshürde ist genommen. Und es zeigt Matthias Schweighöfer in allen Showrunner-Gassen: Er ist Hauptdarsteller, er ist Regisseur, er ist mit seiner Pantaleon Film auch Produzent, an der Musik ist er beteiligt, und wenn ihm die Dialoge für den nächsten der 57 Drehtage nicht gepasst haben, dann hat er neue geschrieben. Das wird das Autorentrio Hanno Hackfort, Bob Konrad und Richard Kropf nicht eben gefreut haben, aber Chef ist Chef und Schweighöfer ist Schweighöfer.

Ach so, den Schnitt hätte er eigentlich auch betreuen wollen, doch selbst bei einem Berserker wie Schweighöfer sind irgendwann die Akkus leer. „Ja“, sagt er, „gerade als Regisseur bin ich an meine Grenzen gekommen“. Sofern er nicht selber spielte, inszenierte er und umgekehrt. Das erfordert Konzentration, Kompetenz und Kondition, was doch notwendig machte, dass Bernhard Jasper, der in der Serienproduktion wie bei fast allen Schweighöfer-Filmen die Kamera führte, zuweilen mitinszenierte.

Schweighöfer hat sich Produktion zu eigen gemacht

Schweighöfer, der Kontrollfreak? Er sagt, „ich weiß, was ich will. Ich habe mir die Produktion zu eigen gemacht“. Amazon-Manager Schreiber nennt ihn und die Produzenten von Pantaleon und Warner Bros. von einer „Vision“ beseelt: erste beste deutsche Streaming-Serie. Was daran auf jeden Fall wahr ist, „You Are Wanted“ ist auf breiten Erfolg getrimmt. Amazons VoD-Erstling ist eine Produktion, mit der der Schauspieler „wieder ernster gehen will“.

Der Plot greift ein aktuelles Thema auf, das in seiner Intonierung nicht sehr weit weg ist von einer German Angst: Lukas Franke arbeitet als Hotelmanager in Berlin. Der 36-jährige Matthias Schweighöfer zeigt ihn erwachsen, der Schläfenansatz ist schon leicht ergraut, seine Frau Hanna (Alexandra Maria Lara) arbeitet erfolgreich in der Kreativbranche, der gemeinsame Sohn Leon (Franz Hagn) könnte einer Überraschungsei-Werbung entsprungen sein. Familie Franke lebt ein aufgepimptes Leben in einem feineren Teil von Berlin.

Plötzlich und unerwartet wird Herr Normal aus der Kurve getragen. Ein geheimnisvoller Hackerangriff, bei dem seine digitale Identität umgeschrieben wird, wird zum Albtraum. Bald weiß er nicht mehr, was echt, was Täuschung ist. Das LKA hat ihn unter Verdacht, der terroristischen Vereinigung „Antipode“ anzugehören – späterer Bombenbau nicht ausgeschlossen –, selbst Frau Franke ist sich nicht mehr sicher, ob sie ihren Lukas noch kennt.

Herr Normal muss über seine Normalität hinauswachsen, wenn er Ehe, Familie, Karriere retten will. Raus aus dem Anzug, rein ins Outdoor-Outfit. Das Leben kann dreckig, die Gegenspieler können gemein, die Fragezeichen bigger than life sein. Matthias Schweighöfer mal nicht als Schlussmacher und Romantic-Comedy-Frauenversteher, sondern als gehetzter Held. Die schauspielerische Kapazität hat er allemal, wer den „Tatort: Weil sie böse sind“ gesehen hat, der weiß, von welcher Kompetenz die Rede ist.

„You Are Wanted“ ist ein Paradebeispiel der Erwartungsökonomie. Eine Story, fokussiert auf die männliche Hauptrolle, die wiederum auf ihren Star fokussiert ist. Das müsste funktionieren. Die Amazon-Serie ist ambitioniert genug, kein allzu starkes Gefälle zum Umfeld zuzulassen. Auch hier ist mit dem Engagement von Alexandra Maria Lara und Karoline Herfurth an Anziehung und Aufmerksamkeit gedacht worden. Lara spielt eine moderne Frauenfigur, Herfurths Figur bleibt lange und gewollt lange undeutlich in der Kontur. Auch ihre Lena Arandt, Journalistin und Bloggerin, scheint Opfer der Hackerattacke geworden zu sein. Es deutet sich ein Gespann Franke/Arandt an, mit allen möglichen Komplikationen und Kohärenzen.

LKA-Beamte sind bloße Funktionsfigürchen

Die Sorgfalt des Autorentrios, bald mit ihrem Neukölln-Kracher „4 Blocks“ bei TNT vertreten, richtet sich auf die Hauptfiguren, schon bei den Nebenrollen hat sie abgenommen. Die LKA-Beamten Sandra Jansen und Thorsten Siebert, gespielt von Catrin Striebeck und Edin Hasanovic, sind bloße Abziehbilder und Funktionsfigürchen.

Was Hackfort/Konrad/Kropf mit Meisterschaft bewerkstelligt haben, das ist die Bruchstück-Dramaturgie, die enorme Spannung auslöst. Sucht Lukas Franke beispielsweise Beistand bei seinem Halbbruder Thomas (Jörg Pintsch), weist der ihn brüsk zurück. Da war was in der Vergangenheit, aber was? Julia Gracht (Katrin Bauerfeind) flüstert Frankes Frau Hanna ins Ohr, sie habe mit ihrem Mann geschlafen. Hatte Lukas Franke nicht eben noch jede Bekanntschaft abgestritten? „You Are Wanted“ ist ein überdimensionales Schachbrett, mit bekannten wie unbekannten Figuren, mit vorhersehbaren und nicht vorhersehbaren Zügen. Ein Remis wird nicht gegeben.

Die Phasenverschiebung vom Herrn Normal zum Hackeropfer zum Ich-will-mein-Leben-zurück-Kämpfer gelingt rasch und einnehmend. Die Serie wird zur Schussfahrt, auch dank einer sehr respektablen Cliffhanger-Dramaturgie. „You Are Wanted“ wird atemlos, der Zuschauer kriegt den Mund nicht zu.

Regisseur Schweighöfer hat ein genaues Auge für Darsteller Schweighöfer. Erkennbar hat er dafür auch das genaueste Auge. Schweighöfer inszeniert konventionell, konventionell gut im Sinne des Erzählrauschs. Weniger überzeugend, wenn es um die Erosion der Familie Franke als Folge des Hackerangriffs geht, wenn es um Bilder und Menschenbilder geht. Fehlten da die Zeit, die Einfälle, der Ehrgeiz? Der Regisseur Schweighöfer schadet der Produktion nicht, er nützt ihr auch nicht. Nimmt man „Mr. Robot“ zum Vorbild und Vergleich, ist „You Are Wanted“ die augenfällig kleinere Genrenummer.

Zweite Staffel oder weniger Schweighöfer ist mehr

Amazon Prime Video riskiert es. Das Unternehmen will mit der ersten deutschen Original-Serie hinein ins große, kompetitive Feld der Streaming-Serie. Das ist ein anderer Wettbewerbs-Maßstab. Die avancierten Streaming-Zuschauer sind Fans dieser fiktionalen Form, weil sie sich aufmacht ins Wunderland der horizontalen Erzählung, des komplexen bis komplizierten Fernsehromans. Die Ansprüche der Macher und an die Macher im nonlinearen Sektor sind andere als im linearen Fernsehen. „You Are Wanted“ bleibt zwischen den Polen.

Also Matthias Schweighöfer in der ersten deutschen Streaming-Serie, beauftragt von Amazon Prime Video und von enormem Werbedruck begleitet. Sechs Folgen à 47 Minuten. Schon ist von einer zweiten Staffel die Rede. Warum? Die Aficionados von „You Are Wanted“ werden das besser erkennen können. Die anderen brauchen weitere Überzeugungsarbeit. Also eine zweite Staffel? Ja, sofern die Fortsetzung einen zugleich reduzierten wie konzentrierten Matthias Schweighöfer bietet. Er muss nicht alles alleine machen, weil Schweighöfer alleine nicht alles besser machen kann.

„You Are Wanted“, alle sechs Folgen der ersten Staffel werden am Freitag auf der Plattform Amazon Prime Video online gestellt.

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