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Leipzig, 17. Juni 1953, Beethovenstraße: Aufstand des Volkes in der DDR. Foto: RBB

© rbb/Gerhard Treblegar/Schmidt &

ARD-Doku: Der 17. Juni 1953 im Spiegel von Zeitzeugen und Archivbildern.

Eine Lehr-TV-Stunde für Westler, die nie wussten und auch nicht wissen wollten, was hinter der damals noch durchlässigen Grenze geschah

„Lasst sie nicht allein“, rief der West-Berliner DGB-Vorsitzende Ernst Scharnowski über den RIAS, den „Rundfunk im amerikanischen Sektor“, seine West-Hörer auf. Das war am 17. Juni 1953, als aus den Unruhen und spontanen Streiks im Osten ein Volksaufstand wurde. Aber der Westen ließ die Zehntausenden allein, die zum „Haus der Ministerien“ in der Leipziger Straße zogen, zum Alex und zum Brandenburger Tor, und die schließlich am Nachmittag das Columbus-Haus am Potsdamer Platz anzündeten, in dessen Kellern im Hitler-Reich die Gestapo und in der DDR die Stasi saß. Da ging der Aufstand bereits in Schießereien unter. „Der 17. Juni endet in Chaos, Ausschreitungen und Enttäuschung“, bilanziert der Dokumentarfilm von Andreas Christoph Schmidt und Artem Demenok: „Nichts mehr von der frohen Erwartung, mit der er begann.“

„Wessen Aufstand? Warum?“ – so beginnt der Film. Er ist eine Lehr-Dreiviertelstunde für Westler, die nie genau wussten und auch nicht wissen wollten, was hinter der – damals, 1953, noch durchlässigen – Grenze geschah. Und die den 17. Juni bald nur mehr als Ferien-„Tag der deutschen Einheit“ kannten. Das kommt am Ende des bisweilen etwas bedeutungsschwer inszenierten Films ins Bild.

Es heißt, der 17. Juni sei „ausgeforscht“. Das mag zutreffen, auch wenn Wissenschaft immer noch ein unentdecktes Eckchen auftun mag. Doch der 17. Juni und vor allem die Bewegung, die ihm voranging, sind in der Breite nicht bekannt. Schmidt und Demenok zeigen mit dem nicht eben üppigen Filmmaterial, das von dem ungeplanten und medial unbegleiteten Aufstand erhalten ist, eine erstaunliche Breite, sowohl in regionaler Hinsicht als auch in der Vielfalt der Vorgänge und Forderungen.

Politische Häftlinge sollen freikommen, damit beginnt die Unmutsbewegung am 12. Juni. Über all die Tage kommt es zu Häftlingsbefreiungen, eindrucksvoll in Halle, wo das Frauengefängnis von Demonstrantinnen gestürmt wird. Da sind frische, fröhliche Gesichter im Bild, von Menschen, die ihr Schicksal in die Hand nehmen. Das ist die Botschaft, die immer wieder aufblitzt, und die über die im Film von Zeitzeugen eindringlich geschilderten Übeltaten wie diesem Lynchmord in Rathenow hinausweisen: dass die Menschen im Osten, nur acht Jahre nach dem Ende des NS-Regimes, von der nachfolgenden Diktatur genug haben und in kurzer, intensiver Zeit ein politisches Bewusstsein bilden, das sich eindrucksvoll in Forderungen nach Norm- und Preissenkungen, dem Abtritt der Regierung und freien Wahlen äußert. Und das bereits seit den Abendstunden des 17. Juni erstickt wird für die nächsten 35 Jahre.

Der 17. Juni im sowjetischen Hauptquartier

Der Westen stand abseits, auch das macht der Film bewusst. Bundeskanzler Adenauer sprach in Berlin pathetische Worte, das war’s. Dass er mehr nicht nur nicht tun wollte, sondern auch gar nicht gekonnt hätte, kommt im Film zu kurz. Deutlich gezeigt hingegen wird, dass die SED-Führung an der ganz kurzen Leine Moskaus gehalten wurde und am 17. Juni im sowjetischen Hauptquartier in Karlshorst anzutreten hatte, um die Befehle des sowjetischen Hochkommissars Semjonow entgegenzunehmen. Die DDR war – wie die Bundesrepublik auch – kein souveräner Staat, sondern militärisch besetztes Gebiet. An dieser Tatsache musste der Aufstand scheitern, er konnte gar nicht anders enden als unter der Machtdemonstration der Roten Armee.

Die Bilder der Menschen aber, die auf die Plätze strömen, in Görlitz oder Halle, wütend, aber auch über ihr eigenes Tun begeistert, erwartungsvoll, durchweg umsichtig – diese Bilder machen den Film zu einer Lehrstunde und einem Erlebnis.

„Griff nach der Freiheit“, Montag, ARD, 23 Uhr 45

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