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Alexander Wassermann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Dessau, auf dem Jüdischen Friedhof im Gesprä¤ch mit Autor Jo Goll.

© ARD

ARD-Dokumentation: Täglicher Antisemitismus

Der Judenhass ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, behauptet eine ARD-Dokumentation. Nach Beispielen mussten die Autoren nicht lange suchen.

„Warum werden die Juden immer wieder verfolgt? Das müssen Sie sich schon selber fragen“, schreibt ein Herr mit Doktortitel, der offenbar dringend ein Bekenntnis loswerden möchte: „Beim nächsten Holocaust beginnt das Gejammer wieder von vorn. Ich habe die Schnauze voll.“ Die Berliner Sprachwissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel hat 14 000 Mails an jüdische Organisationen untersucht und festgestellt, dass die Mehrzahl antisemitischer Briefe „aus der sogenannten Mitte“ der Gesellschaft stamme. Von Akademikern, die wie Moralprediger auftreten: Als Deutsche, die aus der Vergangenheit gelernt hätten und nun den Juden erklären wollten, was sie alles falsch machen.

Antisemitismus ist mitten unter uns

Der Antisemitismus ist „mitten unter uns“ – das ist die These von Kirsten Esch, Jo Goll und Ahmad Mansour, die in ihrem Film wissen wollen: „Wie judenfeindlich ist Deutschland?“ Insbesondere wenn es um Kritik an Israel geht, schlägt diese Frage hohe Wellen, zuletzt aus Anlass eines Gedichts von Günter Grass und einer Kolumne von Jakob Augstein. Das Autoren-Trio wiederholt die an beiden geäußerte Kritik, knüpft aber nicht an die anschließend in den Medien geführten Diskussionen an. Als einziger Protagonist des Streits tritt Grass- und Augstein-Kritiker Henryk M. Broder auf. Grass und Augstein mochten hingegen nicht in Interviews Stellung beziehen.

Für den Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick ist die Israel-Kritik jedenfalls „mit antisemitischen Stereotypen durchsetzt“. Dies näher zu untersuchen, wäre einen eigenen Film wert. Hier beschränken sich die Autoren auf Stichworte und plakative Bilder von einer Anti-Israel-Demo. Immerhin gibt es auch das positive Beispiel junger Muslime aus Duisburg, die sich gegen Judenhass in ihrem eigenen Milieu einsetzen.

Bankenkrise wird Juden in die Schuhe geschoben

Auch die Bankenkrise wird nach alter Gepflogenheit gerne den Juden in die Schuhe geschoben. „Da weiß man ja, dass ihr dahintersteckt“, bekam Katharina Seidler von der Israelitischen Kultusgemeinde Niedersachsen von „ehemaligen Freunden“ zu hören: Dann müssten sich die Juden auch nicht wundern, wenn mal wieder etwas passiert. „Ich sag dir das nur im Guten“, habe der Freund erklärt. Nicht die extremen Beschimpfungen, sondern solch ein alltäglicher Antisemitismus von akademisch gebildeten Leuten würde sie aufregen, sagt Katharina Seidler. Beim Resümee klingen die Autoren naiver, als sie vermutlich waren: Es gebe „mehr Antisemitismus, als wir dachten“, heißt es. „Den der Mitte haben wir gerne übersehen.“ Dabei bestätigen Umfragen seit Jahrzehnten, dass antisemitische Einstellungen kein Phänomen einer kleinen rechtsextremen Minderheit sind.

Antisemitismus in seiner ganzen Breite

Um Tiefe geht es in diesem Film weniger, eher um Breite. Die Autoren schwingen die Antisemitismus-Keule – und treffen häufig den Punkt. Die zahlreichen Beispiele, von grölenden Fußballfans und Mordfantasien rechtsextremer Bands bis zu den tätlichen Angriffen auf Juden, der Hetze von NPD-Funktionär Udo Pastörs („Judenrepublik“) und den Gewaltaufrufen islamischer Prediger, belegen den Hass und sind alarmierend genug. Sicher keine angenehme Gesellschaft für Rockmusiker Roger Waters, der beim Konzert in Düsseldorf den Davidstern als eines von verschiedenen Symbolen präsentierte, die für das Schlechte in der Welt stehen. Thomas Gehringer

„die story: Antisemitismus heute – Wie judenfeindlich ist Deutschland?“; ARD, Montag, 22 Uhr 45

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