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Mit der Kraft der Flower-Power. Hartmut (Erwin Steinhauer) verwandelt für seine Erika die Welt in die bunte Zeit der siebziger Jahre zurück

© ARD Degeto/Mona Film/Petro Domen

ARD-Film "Für Dich dreh ich die Zeit zurück": Daddy Cool

„Für Dich dreh ich die Zeit zurück“: Mit der Kraft der Liebe und mit Flower Power kämpft Hartmut gegen die Alzheimer-Erkrankung seiner Erika

In gefühlt 99 Prozent der Fernsehfiktion ist die Musik ein Ärgernis, zu kitschig, zu laut, bei Trauer tropft das Klavier aus dem Fernseher, eine einzige Soße. Hier bringt sie die Ohren zum Tanzen. Abba, Dschingis Khan, Queen, Simon & Garfunkel, Boney M. – richtig, wir sind in den 70er Jahren. Als die Farben knallten und die Tapeten LSD-Trance halluzinierten. Für Erika (Gisela Schneeberger) und Hartmut (Erwin Steinhauer) war das eine rauschhafte Zeit aus Liebe, Leben und Leichtigkeit. Fast 40 Jahre hat der Rausch angehalten, aber jetzt löst er sich auf. Für Erika, weil die Alzheimer-Erkrankung Gegenwart und Vergangenheit zu löschen beginnt – und damit die gemeinsame Zukunft mit Hartmut. Der stemmt sich mit aller Macht gegen das Vergessen und das Vergessenwerden. Merkzettel, Fotoalben, unbedingte Zuwendung sollen die Lücken im Gedächtnis wieder schließen.

Alzheimer aber kennt kein Erbarmen. Die Ärztin rät Hartmut, seine Frau in eine Betreuungseinrichtung zu geben. Er ist empört, zumal er bemerkt zu haben glaubt, dass Erika beim Klang von alten Disco-Hits spontan zu tanzen anfängt, als ob sie niemals ihre Dancing Queen vergessen hätte. Hartmut dreht fast durch vor Glück und sieht eine Chance: Wenn er es schaffen würde, die Zeit zurückzudrehen, könnte er seiner großen Liebe Erika noch einmal bewusst ganz nahe sein. So lässt er die 70er wieder aufleben, indem er die gemeinsame Wohnung in die 70er rückrenoviert und den Plattenspieler anstellt. Während der vor sich hin scheiternde Sohn Thomas (Simon Schwarz) seinen Vater für verrückt hält, glaubt Enkelin Helena (Ella Rumpf) an Großvaters unkonventionelle Idee. Der Kampf gegen die Zeit mit der Zeit beginnt. Und Erika blättert weiter im Fotoalbum.

„Für Dich dreh ich die Zeit zurück“ ist eine große und großartige Hommage an die Liebe und, etwas kleiner formuliert, ein Film über die Furcht, im Alter alleine zu sein. Beides passt in diese Produktion. Uli Brée („Vorstadtweiber“) und Klaus Pieber („Paul Kemp“) haben das Drehbuch geschrieben, das über das Figurenpersonal die Aspekte der Krankheit und den Umgang damit erzählt. Nils Willbrandt („Mörderisches Tal – Pregau“) inszeniert. Es ist eine fast komplett österreichische Produktion mit Erwin Steinhauer in der Hauptrolle, nur Gisela Schneeberger sorgt an den wenigen Stellen, an denen ihre Erika spricht, für deutschen Zungenschlag. Ob die Ösis solch eine Komödie besser kennen, weil sie Ösis sind? Weil Teutonen der Mut und die Fantasie fehlen für so eine fein abgestimmte Balance aus Realismus und Märchen? Denn die Tücken des Alzheimers und die Frustrationen für die Angehörigen, sie werden nicht unter den (Musik-)Teppich gekehrt. Und doch gibt es sie, diese zutiefst komischen Momente, wenn etwa Erika zu Hartmut sagt: „Ich mag Sie nicht, Sie sind alt und schrumpelig.“

Alzheimer gehört zu den Themen, bei denen der sensible Umgang enorm wichtig ist. Nicht nur bei der Grundrichtung, gleichfalls bei den Nuancen. Dieser Fernsehfilm injiziert dem eigentlich todtraurigen Sujet – ein Mensch verliert sich selbst – Hoffnungssprenkel.

Hartmut kämpft für sich und für Erika. Mehr für sich oder mehr für Erika? Für beide. Erwin Steinhauer findet ein glaubwürdiges Verhältnis zwischen Kampf und Resignation, sein Hartmut wie die übrigen Figuren im gleichrangig besetzten Ensemble haben bei aller Sprache des Gefühls einen realistischen Umgangston. Klar, Hartmut agiert, hier liegt der Handlungsfokus, während Erika nur reagiert, reagieren kann. Gisela Schneeberger zeigt sie beiläufig, elfenhaft, zuweilen poetisch: „Ich muss jetzt still werden, gute Nacht, der Tag ist schon leer.“ Keine verrückte Alte, eine ältere Frau, deren Wahrnehmung und Ausdruck sich verschoben haben.

Regisseur Nils Willbrandt zeigt die Dilemmata der Demenz, freilich nicht in der Alzheimer-Film-Tonlage, sondern anschaulich, farbengesättigt, mehr spielerisch-fantasievoll als diskurs-traurig. Der Film läuft der Krankheit nicht davon, er blättert sie multiperspektivisch und emotional auf. In diesem Pendelschlag mischt sich das Individuelle mit dem Relevanten. Und das Straßenfest ist ein optischer Glücksmoment, ein sagenhafter Retro-Schritt in die 70er. Der Film tanzt.

At the end only the memory remains.

„Für Dich dreh ich die Zeit zurück“. ARD, Freitag, 20 Uhr 25

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