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Eichhorn

© NDR

ARD-Film: Wer im Glashaus sitzt

Trauma und Verdrängung: Der ARD-Film "Die Frau, die im Wald verschwand" von Oliver Storz entlarvt die Verlogenheit der Fünfziger.

Der Mief der fünfziger Jahre, jene Mischung aus fiebriger Neuanfangseuphorie und Schnellvergessenwollen, ängstlicher Traditionsverklammerung, Wohlstandsrausch, Rebellion und sexueller Verklemmung, all das hat zuletzt Oskar Roehler in seinem knallbunten Popkinomärchen „Lulu und Jimi“ ausgemalt – als Deutschlandgroteske mit deutlichen Anleihen bei Rainer Werner Fassbinder.

Die Nachkriegsjahre scheinen gerade eine Renaissance zu erleben. Sep Rufs Kanzlerbungalow in Bonn wird als Museum wiedereröffnet, im Kino wird Hildegard Knef gefeiert. Auch Oliver Storz, der 2008 mit „Die Freibadclique“ einen eindringlichen Roman über den Sommer des Neuanfangs 1945 in einer westdeutschen Kleinstadt vorlegte, setzt mit „Die Frau, die im Wald verschwand“ die Erforschung der Nachkriegsjahre fort – als ambitioniertes Psychodrama über Verdrängung, Schuld und Neuanfang.

Der Schauplatz: Großgelden, ein fiktives Städtchen in Süddeutschland, Fachwerkidylle, mit Marktplatz und Schloss (gedreht wurde in Schwäbisch Hall, Storz’ Heimatort), und hoch über dem Ort thront, in rosa Leuchtbuchstaben, der Schriftzug Mara – eine Unterwäschefabrik als Zeichen des neuen Wohlstands. Man schreibt 1956, der Film titelt sich „Ballade“, wie aus längst vergangenen Zeiten, doch Märchenstadt und Märchenwald täuschen nicht darüber hinweg, dass man in Großgelden nach vorn blicken will und keinesfalls zurück.

Der junge, karrierehungrige Bürgermeister Gerd Vorweg wohnt im modernen Bungalow, und mit ihm sitzt in diesem Glashaus, diesem Luxusgefängnis seine Frau, die schöne, unglückliche Katharina. Eine Vorzeigeehe, die dem Kleinstadtklatsch keinen Anlass geben will und dafür alle Probleme unter den Teppich kehrt – so muss die Frau, die seit Kriegszeiten an Panikattacken leidet, heimlich zum jüdischen Psychiater gehen, um nur keinen Anlass zu Gerede zu geben. Seine Frau muss man schon im Griff haben, verlangen die Spießbürger. Die Lokalpolitiker (sehr smart: Stefan Kurt) und Unternehmer (saturiert: Jürgen Hentsch) bleiben unter sich, handeln ihre Deals aus, und die Frau ist bestenfalls Dekoration und schlimmstenfalls der Preis, der für die Investition gezahlt wird. Karoline Eichhorns Katharina versteckt das Unglück hinter einer Maske, auch wenn der Film undeutlich offenlässt, was genau ihr im Krieg geschah. Ein bisschen Hanna Schygulla als Maria Braun, mit dem unbedingten Freiheitsdrang und der Härte der Unternehmersfrau, und ziemlich viel Hildegard Knef aus „Die Mörder sind unter uns“. Die Frau als Opfer, stellvertretend.

Doch im Zentrum steht die Männerwelt. Natürlich sind noch Rechnungen offen und Wunden nicht verheilt. Das gehört zum Fünfziger-Jahre-Kolorit. Der Freund aus Kriegstagen (ein Lichtblick wie immer: Matthias Brandt), der da plötzlich in der gut gepanzerten Wohlstandswelt des Bürgermeisters auftaucht, wirkt als Katalysator, in einer quälend langen nächtlichen Aussprache – nicht umsonst ist dieser Horst ein Bombenentschärfer. Die Explosion, die er auslöst, bringt Katharina die Freiheit, und ihm den Tod.

Doch was da verhandelt wird, zwischen Liebe und Rivalität, Neid und Rache, Schuld und Verdrängung, wirkt einigermaßen antiquiert. Die Erkenntnis, die der Film nach sehr ernsthaften, aber auch langen neunzig Minuten erreicht, erwartet man schon von der ersten Sekunde an. Die Akribie, mit der sich der morgen 80-jährige Storz in die Aufdeckung von Kriegstraumata stürzt, verwundert – als ob das in der Nachkriegszeit so virulente Thema des Totschweigens noch immer dringend der gesellschaftlichen Aufklärung harre. Ist die Medien- und Sozialgeschichte nicht mit 68er-Gedenken, Baader-Meinhof-Debatte und 20 Jahre Mauerfall längst einige Jahrzehnte weiter, so dass das erneute Fünfziger-Jahre-Revival bestenfalls nostalgisch wirkt? Mit Katharinas Aufbruch am Ende beginnt die Neuzeit. Sie hätte uns mehr interessiert.

„Die Frau, die im Wald verschwand“; ARD, 20 Uhr 15

Christina Tilmann

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