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Neues aus Weissensee. Julia (Hannah Herzsprung) ist erleichtert. Martin (Florian Lukas) will ihr bei der Suche nach ihrer Tochter helfen. Foto: RBB

© MDR/Julia Terjung

ARD-Serie "Weissensee": Als wär’s gestern gewesen

„Weissensee“, die Zweite – das Drama um Stasi und Regimekritik spitzt sich zu. Und eine Fortsetzung in den Wendeherbst 1989 hinein ist bereits in Planung.

Wer will schon Bambi auf dem Gewissen haben? Das scheue Reh mit den großen Augen, das jeder gern hat, das noch in der Hölle Beschützerinstinkte weckt und dessen Peiniger sich ewiger Ächtung sicher sein darf.

Im konkreten Fall trägt Bambi den Namen Julia Hausmann, sie war die heimliche Heldin der ersten Staffel von „Weissensee“, diesem Wunder deutscher Fernsehspielkunst“. Hannah Herzsprung spielt diese rehäugige Julia Hausmann, Tochter einer regimekritischen Sängerin, die sich in den Sohn der Stasi-Familie Kupfer verliebt. Julia Hausmann übersteht die erzwungene Trennung von ihrem Martin, den Verlust des gemeinsamen Kindes und sechs Jahre im DDR-Frauenknast Hoheneck. Zerbrechlich, aber nicht gebrochen. An ihrem Schicksal, so ahnt es der Zuschauer, wird sich die zweite „Weissensee“-Staffel entlanghangeln. Von der langsam wachsenden Opposition über den Wendeherbst ins wiedervereinte Deutschland hinein.

Aber Bambi muss sterben. In der dritten der sechs neuen Folgen, die gerade für die ARD abgedreht worden sind.

Regisseur Friedemann Fromm hat den Lastwagenfahrer ins Drehbuch geschrieben, der durch das Ost-Berlin des Jahres 1987 rast und Julia Hausmann auf die Hörner nimmt. Da spielt Fromm mit hohem Risiko. Fernsehzuschauer sind Gewohnheitstiere, sie haben die neue „Weissensee“-Staffel auch deshalb herbeigesehnt, weil sie wissen wollten, wie es weitergeht mit den lieb gewonnenen Figuren. Wer Bambi sterben lässt, muss schon Außergewöhnliches bieten, um die Quote hoch zu halten.

Und das Wunder geschieht: „Weissensee II“ ist ein atemberaubendes Kunstwerk. Noch dichter, noch authentischer, noch emotionaler als die dichte, authentische, emotionale Vorlage.

Das liegt, natürlich, vor allem an den Schauspielern. Florian Lukas spielt den abtrünnigen Sohn Martin Kupfer mit der bekannten Hartnäckigkeit und täglich wachsender Verbitterung. Dieser Mann wird sich nicht brechen lassen und nicht aufhalten auf der Suche nach der Wahrheit. Als sein Bruder widersteht Jörg Hartmann der Versuchung, aus dem komplexbeladenen Stasi-Major Falk Kupfer eine Parodie seiner selbst zu machen. So simpel gestrickt war die Stasi nicht. Hartmanns Falk Kupfer ist wunderbar vielschichtig und immer wieder überraschend. Einmal, als er sich im Krankenhaus selbst im Stakkato ohrfeigt, in der Sorge um das Leben seines Sohnes, der als Leistungssportler zu viele von den geheimnisvollen blauen Pillen genascht hat – da überkommt einen sogar ein Anflug von Mitleid (das aber nicht lange anhält). Dazu sind es starke Frauen, die „Weissensee II“ prägen. Anna Loos erfährt als Falks vom Alkoholismus geheilte Ehefrau Vera eine bemerkenswerte Aufwertung. Ihr Wunsch nach Veränderung trägt die Handlung in die Widerstandsbewegung, in die Kirche hinein.

Und auch Bambi hat noch einen großen Auftritt. Es ist einer der anrührendsten Momente der zweiten Staffel, als Julia Hausmann aus Hoheneck nach Hause kommt und dort ihre Mutter Dunja (Katrin Sass) vorfindet, dahinvegetierend zwischen Schnapsflaschen, Pfefferminzpastillen und immer häufigeren Zusammenbrüchen. Julia fragt: „Darf ich auf die Toilette gehen?“ Und: „Wo ist ein Handtuch?“ Dann schließt sie sich ein, presst das Handtuch vor den Mund und brüllt ihre Wut aus Kehle und Seele.

Diese Besetzung lässt sich schwerlich mit der ähnlicher Formate vergleich. Die Produzentin Regina Ziegler hat für „Weissensee“ den Terminus „Hochglanz-Serie“ erfunden. Glaubwürdigkeit hat ihren Preis. Auch und gerade wenn es um die achtziger Jahre in der DDR geht, über die jeder alles zu wissen glaubt. Es ist das große Verdienst des von Friedemann Fromm und Annette Hess verantworteten Drehbuchs, diese ostdeutschen Achtziger aufleben zu lassen, als wären sie gestern zu Ende gegangen. Dieses Buch braucht keine überdehnte Liebesgeschichte, dafür ist der Rahmen einfach zu spannend. Jede Minute ein Stück unaufdringlich vorgetragener Geschichtsunterricht.

Schon im März werden die sechs neuen Folgen als DVD erhältlich sein, die Ausstrahlung im Ersten folgt dann Anfang September. Eine Fortsetzung in den Wendeherbst 1989 hinein ist in Planung. Es gehört nicht viel Fantasie zu der Prophezeiung, dass das Publikum auch „Weissensee III“ lieben wird. Selbst wenn Bambi auf der Strecke bleibt.

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