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WDR-Intendantin Piel hat zum Jahreswechsel den Vorsitz der ARD von ihrem SWR-Kollegen Boudgoust übernommen.

© dpa

ARD-Vorsitzende Piel: "Die ARD steht für eine Allianz gegen Google bereit"

WDR-Intendantin Monika Piel, die mit dem Jahreswechsel den ARD-Vorsitz übernommen hat, reicht den Verlegern die Hand. Im Interview spricht sie über ARD-interne Sparbemühungen und zu seichtes TV-Programm.

Frau Piel, Sie werden in medienpolitisch turbulenten Zeiten neue Vorsitzende der ARD. Freuen Sie sich auf die Aufgabe?

Freuen ist das falsche Verb, schließlich habe ich im WDR schon genug zu tun. Ich habe das Amt aber gerne angenommen - obwohl ich weiß, dass wir beim WDR zwei schwierige Jahre vor uns haben.

Meinen Sie damit finanzielle Schwierigkeiten?

Der WDR hat nach dem MDR die größten Gebühren-Einbrüche in Deutschland. Z.B. sind alle Hartz-IV-Empfänger von der Rundfunkgebühr befreit. Schon jetzt müssen wir jährlich 50 Millionen Euro einsparen.

Wo soll denn Geld eingespart werden?

Wir lagern zum Beispiel die Verwaltungs-IT ab Jahresanfang aus - und planen dies künftig auch für die Produktions-IT. Zudem prüfen wir, ob wir einige Abteilungen mit denen anderer ARD-Anstalten zusammenlegen können. Die Verwaltung haben wir bereits verschlankt, und wir sind dabei, im WDR in drei Jahren insgesamt 100 Arbeitsplätze abzubauen.

Künftig werden die Einnahmen planbarer, die bisherige Gerätegebühr soll ab 2013 durch eine monatliche Haushaltsgebühr von 17,98 Euro ersetzt werden. Dann muss jeder Haushalt zahlen, egal, ob er Ihre Medienangebote nutzt oder auch nicht. Das ist doch eine feine Sache für die öffentlich-rechtlichen Sender - oder?

Wir befürworten die Abschaffung der Gerätegebühr. Der Haushaltsbeitrag ist sozial gerechter. Doch noch ist die Umstellung keine beschlossene Sache. Schließlich müssen die Landtage aller 16 Bundesländer darüber entscheiden.

Werden Sie alle 16 Landtage besuchen, um die Parlamentarier von dem Systemwechsel zu überzeugen?

Wenn ich eingeladen werde, werde ich gerne nochmals vor Ort Überzeugungsarbeit leisten.

Die Länderchefs haben den Bürgern bei der Umstellung der Rundfunkgebühr Beitragsstabilität versprochen. Wird die ARD künftig auf den einen oder anderen Programmbeitrag verzichten müssen, wenn die Gebühren nicht mehr steigen?
Man kann immer auf Dinge verzichten - auch die ARD. Wir müssen künftig eine Grundsatzdebatte führen, was zum Kernauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gehört.

Was ist Ihre Antwort?

Mein Hauptanliegen ist das Programm. Wir wollen das öffentlich-rechtliche Profil stärken und dem Gebührenzahler hochqualitative Inhalte bieten. Wir haben aber auch Arbeitsgruppen gegründet, die prüfen, ob durch Zusammenlegungen, beispielsweise von Produktionseinheiten im Unterhaltungsbereich, Geld gespart werden kann; die prüfen, ob man zum Beispiel im Hörspielbereich zwischen den Landesrundfunkanstalten Kräfte stärker bündeln kann. Zudem müssen künftig alle Investitionen über 250 000 Euro abgestimmt werden, damit keine unnötigen Planungskosten entstehen. Keiner kann mehr einen Fernseh-Übertragungswagen für zehn Millionen Euro bestellen, ohne die anderen Anstalten zu fragen. Das ist eine gute Entwicklung.

Diese Entwicklung führt doch aber zu bedeutend mehr Zentralismus in der ARD, oder?

Ja. Das ist ein Stück mehr Zentralismus, der aber wirtschaftlich sehr viel Sinn macht.

Aber reicht das finanziell schon aus?

Natürlich nicht. Wir sparen 2011/12 aber auch jeweils 20 Millionen Euro an Sportrechten und bei unserer Filmtochter "Degeto".

Vor allem die Firmen kritisieren die Gebühr. Zuletzt hatten Autovermieter wie Sixt wegen ihrer Mehrbelastung lautstark Kritik geübt ...

Die kleineren Firmen werden entlastet und die größeren Unternehmen belastet. Wenn beispielsweise jemand viele Filialen mit einem entsprechenden Fuhrpark hat, ist das jeweils erste Auto pro Filiale von der Beitragszahlung befreit.

Bislang waren alle behinderten Menschen von der GEZ-Gebühr befreit. Wird sich das ändern?

Das ist nicht unsere Entscheidung. Der Gesetzgeber hatte beschlossen, dass Behinderte, die wirtschaftlich leistungsfähig sind, künftig ein Drittel des Beitrags zahlen sollen.

Blinde und Taube sind aber weiterhin von der Gebühr ausgenommen oder?

Nicht ganz. Taubblinde werden auf Antrag weiterhin befreit. Für die anderen gilt dieselbe Regelung wie für alle behinderten Menschen - so wie gerade von mir erläutert.

Hand aufs Herz, wann steht denn dann die nächste Gebührenerhöhung an?

Eine Erhöhung ist derzeit nicht in Sicht. Die Finanzkommission, also die KEF, prüft im kommenden Jahr turnusmäßig den Finanzbedarf der Anstalten. Am Ende des Verfahrens rechne ich damit, dass die Gebühren bis 2015 stabil bleiben.

Was macht Sie so sicher, dass Sie durch die neue Haushaltsgebühr nur so viel Geld wie bisher einnehmen - jährlich über fünf Milliarden Euro? Durch den Wegfall der Schwarzseher könnten Sie bald deutlich höhere Einnahmen verzeichnen.

Wir wissen nicht, ob die Umstellung auf das neue Modell künftig mehr Geld in unsere Kassen bringt. Sollte es wirklich zu höheren Einnahmen kommen, müsste der Rundfunkbeitrag gesenkt werden. Darüber würde ich mich sehr freuen. Denn dadurch würde sich unsere Akzeptanz in der Gesellschaft erhöhen.

Das eine sind die Einnahmen, das andere die Ausgaben. Sie investieren kräftig in Online-Angebote. Gehört das Internet überhaupt zu den Aufgaben der ARD?

Das Bundesverfassungsgericht sieht das so. Wir müssen auf allen Verbreitungswegen präsent sein und unseren Programmauftrag erfüllen. Davon bin auch ich zutiefst überzeugt.

Aber auf Zeitungspapier sind Sie noch nicht präsent ...

... und wir werden es auch nicht sein. Es geht um elektronische Vertriebswege. Wir betreiben unsere Online-Angebote mit Augenmaß. Da werden schon von den Aufsichtsgremien Grenzen gesetzt. Wir haben in der ARD Millionen von Internetseiten gelöscht, was übrigens bei den Gebührenzahlern teilweise zu großem Zorn geführt hat.

Diese Prüfung der Online-Präsenz durch die Rundfunkräte, der sogenannte Dreistufentest, gilt als bürokratisches Monstrum. Ist er überhaupt praxistauglich?

Der Dreistufentest ist natürlich ein Bremsklotz. Wir mussten in der ARD viel Geld für Gutachten ausgeben, um die marktwirtschaftlichen Auswirkungen unserer Internetangebote zu überprüfen. Ich bin über die Beschränkung im Netz aber gar nicht in allen Punkten unglücklich. Es darf nicht um Masse im Web gehen. Lieber weniger Inhalte im Internet, aber dafür höchste Qualität.

Da machen Sie es sich aber einfach. Sie treten mit Ihren Netz-Seiten doch auch gegen die Informationsangebote von Zeitungen und Zeitschriften an, die mit ihren Internetangeboten noch kein Geld verdienen. Ist es nicht unfair, mit Gebührengeldern den Wettbewerb zu verzerren?

Ich suche das Gespräch mit den Verlagen. Ich verstehe die Lage der Zeitungen und Zeitschriften, von denen viele in einer ungeheuer schwierigen wirtschaftlichen Lage sind. Mir liegt daran, dass die Printbranche überlebt.

Was tun Sie, um den Zeitungen zu helfen?

Wir bieten Kooperationen an. Mathias Döpfner, der Springer-Chef, denkt bei diesem Thema in die richtige Richtung. Er will eine Allianz der Qualitätsanbieter im Wettbewerb, unter anderem gegen Google, Apple und Vodafone. Die ARD steht dafür bereit.

Wie könnte das konkret aussehen?

Ich kann mir gemeinsame Plattformen vorstellen, um unsere Inhalte zu vermarkten. Wir sollten das Online-Geschäft nicht nur den multinationalen Konzernen überlassen.

RTL und Pro Sieben Sat 1 haben bereits eine gemeinsame Fernsehplattform im Internet gegründet. Wird die ARD dort mitmachen?

Wir sind in guten Gesprächen. Noch ist das Deutschland-TV von RTL und Pro Sieben Sat 1 aber in der kartellrechtlichen Prüfung.

Ist Google eine Bedrohung für die ARD?

Natürlich. Das gilt aber nicht nur für uns, sondern für alle Qualitätsmedien.

Die Zeitungen versuchen, für ihre Apps und Inhalte für mobile Endgeräte wie iPhone und iPad Geld zu verlangen. Die ARD bietet hingegen ihre Apps gratis an. Ist das nicht eine Marktverzerrung?

Wir bieten in Apps nichts anderes an, als das, was ohnehin auf unseren Internetseiten abrufbar ist. Wir wollen keine Wettbewerbsverzerrung betreiben. Wenn es die Verleger schaffen, alle ihre Apps kostenpflichtig zu machen, werde ich mich in der ARD dafür einsetzen, dass auch wir Geld verlangen. Noch gibt es allerdings beispielsweise an die hundert kostenlose Sport-Apps. Ich kann mir zudem mit den Verlagen eine gemeinsame Internetplattform vorstellen. Dort könnten die Verlage und die Anstalten dann ihre kostenpflichtigen Qualitätsinhalte vertreiben. Es ist vieles denkbar, wenn wir uns mit den Verlegern auf diesem Gebiet endlich zusammenschließen.

Wie schnell könnten Sie ihre Apps denn überhaupt kostenpflichtig machen?

Es gibt ja schon heute kostenpflichtige Apps der ARD, beispielsweise die Loriot-App. Den Geburtsfehler des Internets - kostenlose Inhalte - zu beseitigen ist aber schwierig und langwierig.

Viele Zuschauer kritisieren die Programmverflachung in der ARD. Wann werden Sie wieder zur Qualität in der Hauptsendezeit zurückfinden?

Es lässt sich alles verbessern. Wir haben dennoch ein qualitativ deutlich unterscheidbares Programm zum Beispiel mit niveauvoller Unterhaltung. Gefühlt haben wir mehr Volksmusik, als tatsächlich vorhanden ist. Doch diese Art Musik macht vielen Menschen Spaß. Das respektiere ich. Der WDR hat übrigens noch nie Volksmusik angeboten.

Ist aber der Samstagabend nicht längst zum Seniorenabend verkommen?

Es geht um Familienunterhaltung am Samstag. Da sind mir auch ältere Zuschauer hochwillkommen. Am Sonntag funktioniert die Familienunterhaltung mit dem "Tatort" übrigens ganz exzellent. Die von uns produzierten Krimis aus Münster und Köln sind ARD-weit die Spitzen-"Tatorte".

Die private Konkurrenz hat praktisch bei der Information die Waffen gestreckt ...

... das ist doch logisch. Mit Information kann man schließlich kein Geld verdienen. Wenn ich ein kommerzielles Unternehmen leiten würde, würde ich das ähnlich machen.

Ist die ARD nicht viel zu träge? CNN beispielsweise hat rund um die Uhr einen Reporter vor dem Weißen Haus. In Berlin gibt es hingegen niemanden, der vor dem Kanzleramt auf neue Ereignisse und Nachrichten lauert.

In Amerika funktioniert das Fernsehen wie das Radio. Deutschland ist jedoch anders. Aber vergessen Sie nicht Phoenix. Unser Ereigniskanal ist schnell vor Ort, wenn etwas passiert. Die kurze Taktung der Tagesschau sorgt zudem für eine kontinuierliche Berichterstattung. Die ARD ist in der aktuellen Berichterstattung gut aufgestellt.

Der Durchschnittszuschauer der ARD ist älter als 60 Jahre. Macht Ihnen das nicht Angst?

Wir sind nun mal eine alternde Gesellschaft. Es stimmt natürlich, dass wir in der Altersgruppe unter 35 Jahren unterrepräsentiert sind. Dort hat die private Konkurrenz mehr Erfolg. Allerdings sehe ich auch, mit welchem Programm das geschieht. Viele dieser Inhalte passen nicht zur ARD.

Mit welchen Sendungen sind Sie groß geworden?

Ich bin im öffentlich-rechtlichen Monopol groß geworden. Ich sah damals "Einer wird gewinnen", "Familie Hesselbach", "Rudi Carrell" und "Klimbim".

Heute wäre die Comedy-Sendung "Klimbim" wahrscheinlich so etwas wie Stefan Raab. Fehlen der ARD innovative Formate?

Programme wie "Klimbim" sind in einer Monopolsituation entstanden. So etwas ist heute gar nicht möglich. Wir haben aber dennoch neue Formate entwickelt wie zum Beispiel "Mord mit Aussicht" oder "Sport Inside".

Sind Sie damit denn schon zufrieden?

Nein, ich wünsche mir mehr Innovation, mehr Schräges. Ich ermuntere unsere Mitarbeiter: Seid mutig, Neues auszuprobieren! Heute braucht man sonst sofort vom ersten Tag an Erfolg. Es gibt zu wenig Nischen, um sich zu entwickeln. Daran müssen auch wir arbeiten.

Ihr erster Job im WDR hatten Sie auch in einer Nische bekommen - Sie haben einst bei Werner Höfers "Internationalem Frühschoppen" am Sonntag gearbeitet ...

Ich habe die Zuschauerfragen bearbeitet, ja. Da war ich 24 oder 25 Jahre alt (lacht).

Die brutalste Demontage im Programm hat sich die ARD zuletzt selbst zugefügt - bei Anne Will ...

... Anne Will haben wir nicht demontiert. Das ist nicht wahr. Sie wird am Mittwoch einen ordentlichen Sendeplatz erhalten. Sie wird bei den Olympischen Spielen dabei sein. Anne Will hat viele Talente, die in der ARD gebraucht werden.

Fühlen Sie sich als Intendantin mit rund 300 000 Euro eigentlich ungerecht bezahlt?

Warum?

Ihr Kollege von Pro Sieben Sat 1, Thomas Ebeling, verdient rund sechsmal so viel wie Sie.

Ich habe hier nie wegen des Geldes gearbeitet. Mancher Produzent oder Moderator verdient deutlich mehr als eine Senderchefin. Als ich zur Intendantin gewählt wurde, wusste ich nicht einmal, wie viel ich verdienen werde. Ich bin Überzeugungstäterin.

Wir haben noch eine allerletzte Frage: Was ist Ihre Lieblings-Politsendung?

Das ist "Hart, aber fair", aber nicht weil wir es erfunden haben. Es ist einfach ein gutes Format und ein smarter Moderator.

Frau Piel, wir danken für das Interview.

Die Fragen stellten Hans-Peter Siebenhaar und Gabor Steingart

Quelle: Handelsblatt

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