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Arte-Doku: Raus aus dem Urwald

Auch das kann die DDR nicht mehr retten: Im Mai 1989 wird die "Miss Leipzig" gewählt. Die Bilddokumente wecken zum Teil kuriose Erinnerungen.

Auch das kann die DDR nicht mehr retten: Im Mai 1989 wird die „Miss Leipzig“ gewählt. Zehn attraktive junge Frauen betreten die Bühne. Davon gibt es etwas ungelenke Filmaufnahmen, wobei allein die real existierende Bademode in der Endphase des sozialistischen Staates einen Rückblick wert ist. Dem Fotografen Gerhard Gäbler ist es zu verdanken, dass von den Frauen Näheres bekannt ist. Er nahm auf Kassettenrekorder Interviews auf und fotografierte sie zu Hause und am Arbeitsplatz. Heute wecken diese Bilddokumente zum Teil kuriose Erinnerungen. Diana, 36 Jahre alt, Hebamme und Mutter, fallen ihre behaarten Beine auf. „Das fanden wir nicht unschick“, sagt sie lachend. Nach der Wende fuhr sie in die USA und wunderte sich, warum sie dort angestarrt wurde. „Die dachten wohl, man kommt aus dem deutschen Urwald.“

18 Jahre nach der „Miss“-Wahl haben Gäbler und der Filmemacher Gunther Scholz für ihren Dokumentarfilm „Sag mir, wo die Schönen sind“ noch einmal neun Kandidatinnen von damals aufgesucht. Die Lebenswege sind gewaltig auseinandergedriftet. Es gibt die Karrierefrauen, die es nach Zürich oder Dubai verschlagen hat. Andere sind arbeitslos, Hausfrau, Zimmermädchen oder leben immer noch in derselben Wohnung in Leipzig. Eine ist glücklich verheiratet und ausgesprochen fröhlich, eine andere lebt in Scheidung und kann die Tränen nicht zurückhalten. Die „Miss Leipzig“ von damals ist gar ins Esoterische abgedreht, berichtet von ihrem „Licht-Erlebnis“ und dass sie schon mehrfach wiedergeboren wurde. Es ist ein zufälliger Querschnitt durch die (weibliche) Wende-Generation und doch könnte die Auswahl kaum bunter sein.

Scholz kommentiert die unterschiedlichen Lebenswege nicht und geht respektvoll mit den Persönlichkeiten um. Die stark sächselnde Ines, die hoffte, als Sängerin entdeckt zu werden, ist nicht aus Leipzig herausgekommen. Als Teil des Duos „Hacki & Ines“ tritt sie auf Festen vor bierseligem Publikum auf. Der Film beschränkt sich zwar auf individuelle Geschichten und wirkt dadurch wie ein etwas beliebiges Deutschland-Panorama, doch Klischees werden nicht bedient, falsche Nostalgie oder Einheitspathos kommen nicht auf.

Ihre Lebensbedingungen seien „ganz mies“, gab Straßenbahnfahrerin Simone, die seit sechs Jahren auf eine neue Wohnung wartete, 1989 zu Protokoll. Eine andere Simone heiratete einen Farbigen und musste bereits in der DDR, ebenso wie ihre Kinder, massive rassistische Pöbeleien erdulden, wie sie heute erzählt. Mit der Einheit verlor sie ihren Arbeitsplatz, „das war meine Wende“, erklärt sie bitter. Thomas Gehringer

„Sag mir, wo die Schönen sind“, Arte, 23 Uhr

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