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Prösterchen! Der reiche Fabrikantensohn Godehard van Keuken (Daniel Strässer) eröffnet Hilla (Anna Fischer) die Tür zu einer anderen Welt.

© WDR/Thomas Kost

Aufsteigerübermut: Ulla Hahns "Aufbruch" fürs Erste verfilmt

„Aufbruch“ ist die gekonnte Verfilmung des gleichnamigen Ulla-Hahn-Romans. Sie zeigt, dass es zwischen Buch und Film keinen Substanzverlust geben muss.

Ihr naht euch wieder, herrliche Gestalten: Hildegart Elisabeth Maria Palm, rheinisch prägnant „Dat Hilla“ jenannt. Mit freundlichen Knopfaugen von Anna Fischer, der in Hohenschönhausen geborenen Berlinerin, so rheinisch authentisch gespielt, als habe die Schauspielerin und Beatmusikerin nie etwas Schöneres getan, als eine kleinbürgerliche Rheintochter zu geben. Und Ulrich Noethen, als fünftes Kind in einem evangelischen Pfarrhaus in Bayern aufgewachsen, aber hier als Hillas „Papp“ ganz rheinisch-katholisch präsent: nach außen ein Verlierer, nach innen ein unberechenbarer Familiensturkopf, der seine Hand gegen die Tochter erhebt, weil das die Leute so wollen.

Heimat im Fernsehen zu zeigen, ist eine schwierige Unternehmung. Das Thema wächst nicht aus irgendwelcher Blut- und Abstammungsnähe – wie sie das bei Edgar Reitz’ Hunsrück-Saga noch spürbar war – sie gelingt nur als extreme Kunstanstrengung. Im rheinischen Gewand tritt in „Aufbruch“ eine gesamtdeutsche Epochenerfahrung auf, kein Volkstheater.

Reich-Ranicki hatte "Aufbruch" verrissen

Als Ulla Hahns erster Teil ihres Romanprojekts 2001 unter dem Titel „Das verborgene Wort“ erschien – er behandelt Hillas Kindheit – herrschte bei manchen Kritikern Ablehnung. Marcel Reich-Ranicki verriss das Buch im „Literarischen Quartett“. Ihm und anderen seiner Kollegen erschien der Roman zu konventionell erzählt, zu zeigefingerhaft als kaum verkappter Bildungsroman. Hahn solle doch lieber bei ihrer Lyrik bleiben.

Viel mehr Leser als gedacht (bis 2010 eine halbe Million) aber teilten Hahns mildere Sicht auf die Epoche. Das Publikum spürte neben den brutalen Momenten aus der Hahn’schen Erzählung den rührenden Ernst und Humor dieser Zeit. Die Kraft einer mal singsangberauschten, mal prosaischen Mundart, die der Floskelei des modernen Hochdeutschs unbewusst Widerstand leistet, der Kummer über das Zurückweichen der Lebenswelt und ihrer Natur, und die Fairness gegenüber dem Bemühen der damaligen Schule und Kirche, den Traditionen einen Platz neben dem aufkommenden Narzissmus der Individualisierung zu erhalten. Ulla Hahn und die fabelhaften TV-Verfilmungen haben Dondorf zum Schabbach der Adenauerzeit erhoben, zum magischen Seelenort.

Endlich ist „Aufbruch“ im TV zu bestaunen, die Fortsetzung des vor sieben Jahren gesendeten Zweiteilers „Teufelsbraten“. Zwei Romane („Das verborgene Wort“ , „Aufbruch“) , drei TV-Verfilmungen: Damit hat das Fernsehen Hillas Weg vollständig in Bilder verwandelt und gezeigt, dass es zwischen Verfilmung und Literatur keinen Substanzverlust zu geben braucht.

Die Regisseurin Hermine Huntgeburth und der Drehbuchautor Volker Einrauch beweisen erneut, dass die Hahn-Romane eine sichere TV-Vorlage sind. Die Figuren können alleine laufen, ungestützt von all den Introspektionen, die der Roman schildert. Eingespielte Präzisionsarbeit wird geleistet. Unterwerfung von Bild (Kamera: Sebastian Edschmid), Szenenbild und Ausstattung unter die Hilla-Geschichte, ein feines Ohr für die Sprache, ein Sinn für Proportionen, um die richtigen Schnitte in die Fülle der Geschichten auszuführen.

In „Aufbruch“ begegnen wir einer selbstbewussteren Hilla. Sie hat den Versklavungsversuch des Vaters, sie ohne Abitur in den Stumpfsinn eines Bürojobs zu schicken, mithilfe von Schule und Kirche abgewehrt. Hilla lebt in den Deutsch- und Lateinstunden ihren Aufsteigerübermut und ihre Bildungsbegeisterung aus. Sie befreit sich aus der Liebesgeschichte mit dem Fabrikantensohn Godehard (glänzend in seiner Attitüde als Erlöser eines armen Mädchens: Daniel Strässer). Hilla hat Godehard fallen lassen, weil er deren bescheidenes Elternhaus als „Loch“ bezeichnet, und damit die Sympathie des Vaters für immer gewonnen. Wie hinreißend verschämt Noethen seiner Filmtochter die Anerkennung für ihre Herkunftstreue signalisiert, gehört zu den emotionalen Höhepunkten der „Aufbruch“-Verfilmung. Hier übertreffen Bilder die Sprache.

Das Fernsehen tröstet den Roman

Dann geht der Teufel durch die Geschichte. Hilla wird vergewaltigt. Das Hahn-Buch ist derartig über diese Grausamkeit erschrocken, dass der Leser um den Fortgang der Lektüre fürchtet. Das Fernsehen illustriert das Geschehen mit harten Bildern, versagt sich aber ein traumatisch bedingtes Sprengen des epischen Gefüges. Man könnte sagen: Das Fernsehen tröstet den Roman, es nimmt nicht nur aus der Literatur, es gibt ihr zurück.

„Spiel der Zeit“, der Fortsetzungsband der Hilla-Story, liegt vor. Lommer jon, sagt der Großvater, wenn er mit Hilla zum Erzählen an den Rhein aufbricht. Das Fernsehen sollte wieder mitgehen.

„Aufbruch“, ARD, 20 Uhr 15, Mittwoch

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