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AUSBILDUNG: Habermas, Handwerk, Haltung

Die Deutsche Journalistenschule wird 60. Sechs Beispiele, wie die verschiedenen Ausbildungsstätten in Deutschland funktionieren – und was sie bewirken

Mag es Wertschätzung, mag es Kalkül sein, aber Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt es sich am Montag nicht nehmen, den 60. Geburtstag der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München mitzufeiern. Die DJS gilt als Vorläufer und Vorbild vieler Journalistenschulen in Deutschland, gleich, ob sie kirchlich gebunden, verlagseigen oder in freier Trägerschaft organisiert sind. Sechs Absolventinnen und Absolventen von sechs verschiedenen Journalistenschulen resümieren, was ihnen der Besuch einer derartigen Einrichtung für den Beruf des Journalisten gebracht hat.

Berliner Journalistenschule: Mal Vorstand, mal Laube

Das journalistische Handwerk ist im Grunde ein Nebenprodukt. Neun Monate lang mit 15 Ehrgeizigen auf engem Raum arbeiten, mit 27 Jahren wieder in einem Klassenverband lernen – das waren die eigentlichen Herausforderungen. Und das ist es, wovon ich heute noch profitiere. Wer in der Radioausbildung mit Klassenkameraden um ein Aufnahmegerät gekämpft hat, kommt mit schwierigen Kollegen leichter zurecht. Wer hilflos zusehen musste, wie mühevoll komponierte Formulierungen dem rigorosen Rotstift des Dozenten zum Opfer fielen, übt stoische Geduld gegenüber Blattmachern.

Wir lernten Ausdauer wie andere lesen. Statt nach dem Unterricht abends auszuspannen, war bei der 22. Lehrredaktion „Networking“ angesagt - ein besonderes Anliegen unseres Schulleiters Manfred Volkmar. In regelmäßigen Abständen ließ er unseren Klassenverband auf die Gästelisten der unterschiedlichsten Veranstaltungen setzen. Bei Häppchen und Sekt übten wir smalltalken, sinnfrei lächeln und en passant Informationen sammeln. Schon in den anschließenden sechs Monaten Praktika verstanden viele von uns, wofür das gut war. Ein Journalist muss sich in verschiedenen Kreisen bewegen können: in der Vorstandsetage eines Weltkonzerns genauso wie im Vereinsheim einer Laubenkolonie.Wir wurden zu „Allroundern“. Zeitung, Fernsehen, Radio? Wir haben eine (dunkle) Ahnung von allem. Etwa davon, welche Winkel ein Kameramann beachten muss oder woran man misslungene Reportagen erkennt. Jeder hat irgendwann festgestellt, wohin er gehört und wohin nicht. Es war anstrengend, aber unterm Strich kann ich mir keine bessere Ausbildung vorstellen.

Ferda Ataman war nach der Ausbildung Redakteurin bei Spiegel Online und arbeitet seit 2009 in der Berlin-Redaktion des Tagesspiegel.

Henri-Nannen-Schule, Hamburg: Vom Nachtzug an die Schreibmaschine

Die Journalistenschule hat – jetzt kommt ein großes Wort – mein Leben verändert. Beruflich sowieso. Ende 1990 hatte ich keine Vorstellung, wie es weitergehen sollte. Ich war 25 Jahre alt, Studium und Zivildienst lagen hinter mir, ich lebte in einem Abbruchhaus in Amsterdam und arbeitete für die Anne-Frank-Stiftung. Samstags fuhr ich Gemüse aus, ab und zu schrieb ich Artikel für die „taz“. Vor mir lagen vier Monate auf einer Farm in Vermont. Und dann? Ich war ratlos. Ein Kollege bewarb sich in Hamburg, ich dann auch, zum zweiten Mal. Aufnahmeprüfung im Interconti, 100 Schreibmaschinen in einem Saal, Abgründe des Unwissens, Verzweiflung. Im Nachtzug nach Amsterdam schrieb ich Hamburg ab – und hatte es dann doch geschafft. Die Schule machte aus der Berufung einen Beruf. Wolf Schneider lehrte mich das Handwerk, und von seinen Grundsätzen zehre ich bis heute. Unerbittlich war er, aber doch zugewandt. Ich fand zu einer neuen Haltung: dem unbedingten Willen, mein Bestes zu geben. Die Praxisstationen waren fantastisch: „FR“, „Zeit“, „Stern“ und dpa Washington, mitten im ersten Wahlkampf von Bill Clinton. So viele Chancen und ein erstklassiges Netzwerk: Besser hätte ich es nicht treffen können.

Moritz Döbler ging nach der Schule zu dpa, dann zu Reuters und ist seit 2005 Ressortleiter Wirtschaft beim Tagesspiegel. Nebenbei unterrichtet er unter anderem an der Henri-Nannen-Schule.

Evangelische Journalistenschule, Berlin: Torschuss beim Bischof

Beim Aufnahmegespräch mit der Schulleiterin, Kirchenvertretern und Journalisten ging es um Fußball. Jürgen Leinemann schrieb gerade an seinem Buch über Sepp Herberger, die – katholische – Bewerberin, einst leidenschaftliche, aber untalentierte A-Klassen-Kickerin, sammelte bei einem Münchner Lokalblatt Zeilengeld mit Berichten über Regionalligafußball. Die Nervosität im Gespräch, die groß gewesen war nach gescheiterten Versuchen an den Schulen in München und Hamburg (hier fehlte am Ende ein halber Punkt), verflog schnell bei all der Fachsimpelei. Auf die Zusage folgte die Zuteilung der Mentoren: Leinemann/Ruwald hieß prompt eines der Gespanne, während der gesamten Ausbildung stand er mit Ratschlägen zur Seite – und natürlich kamen wir am Thema Fußball weiterhin nicht vorbei. Zur Lehrredaktion gehörte ein 34-jähriger ehemaliger Genossenschaftsbauer und studierter Theologe (der sich als genialer Reportageschreiber entpuppte) ebenso wie eine Mutter mit Kleinkind. Das „evangelische“ an der Ausbildung neben dem ganz normalen Curriculum: Interviews mit Bischöfen, viele Gedanken über Ethik und ein Praktikum bei einer Kirchenzeitung. Nicht evangelisch, aber außergewöhnlich: Die Reise nach Rumänien zum Recherchieren der Abschlussarbeiten über Roma, Entwicklungshilfe deutscher Abfallexperten oder die Träume der jungen Elite.

Helen Ruwald ist seit 1999 freie Miarbeiterin im Sportressort des Tagesspiegels.

Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses, München: Über erste Klippen

Anders als viele Mitschüler wusste ich sehr früh, dass ich Journalist werden wollte. Bloß wie, war die Frage. Ich kam aus tiefster fränkischer Provinz, hatte keinerlei Kontakte – und neben Vereinsmeierei in der Lokalzeitung grade mal einen „Zeit“-Artikel über meinen Bundeswehrfrust vorzuweisen. Erst mal studieren, rieten mir Redakteure, die meine Naiv-Bewerbungen zu beantworten hatten. Irgendeiner muss mir den Tipp mit dem Institut gegeben haben. Es war ein Glückgriff. Die kleine Journalistenschmiede bot, obwohl katholisch und von der Bischofskonferenz finanziert, nicht Missionierung, sondern Studienbegleitung vom Feinsten. Mehrwöchige Intensivseminare, mit Praktikern aus Zeitungen, Hörfunk und Fernsehen. Ein dickes Kursangebot, von Rhetorik bis zum Drehbuchschreiben. Und, ganz wichtig: Praktika bei Medien, an die man sonst nie gekommen wäre. In meinem Fall waren es gleich fünf, und überall gab es Ansprechpartner, die dem Institut verbunden waren. Das alles half beim Reinkommen in den Job. Für dessen Ausübung gab es zudem etwas besonders Wertvolles: ethische Grundierung und das Wissen, was Journalismus anrichten kann. Im Positiven wie im Negativen.

Rainer Woratschka war zwölf Jahre bei den „Nürnberger Nachrichten“, zuletzt im Reporterteam. Seit 2000 ist er Politikredakteur beim Tagesspiegel, seit 2007 arbeitet er in der Parlamentsredaktion.

Institut für Journalistik, Dortmund: Unterbau mit Realitätstest

Die erste Begegnung als vordiplomierte Volontärin vom Dortmunder Institut für Journalistik mit den Politikkollegen der „Aachener Nachrichten“ war nicht eben aufbauend. „Verbildet sind die Dortmunder nicht gerade“, begrüßte der amtierende Chef die Neue. Für ihn waren die Volos von der Uni nur eingebildet. Zwei Jahre zuvor - nach ein paar Monaten als feste Freie bei der „WR/WAZ“ - hatten sie einen zum Start an der Uni DO schräg angeguckt, wenn in Berichten über die Redaktion, die einem die ersten journalistischen Schritte beigebracht hatte, ein „Wir“ vorkam. Und alle bekamen zu hören, sie sollten mit einer Stelle im Lokalen rechnen, anderes sei rar. Das war 1981, der Studiengang ein sehr junges Modell mit großen Ambitionen, teils aggressiver Selbstbehauptung, aber auch noch auf der Suche nach dem eigenen Weg. Letzten Endes hat es dann doch geklappt mit der Versöhnung von Praxis und Theorie. Das zeichnet Dortmund aus. Was dürfen, was sollen Journalisten tun, welches sind die Grundlagen, wo ethische wie rechtliche Grenzen? Der theoretische Unterbau im steten Realitätstest und umgekehrt, das bietet ein solides Fundament. Das Studium lehrt systematische Analyse, und immer wieder das eigene Tun zu hinterfragen, auch wenn kaum jemand täglich über Max Weber oder Jürgen Habermas räsoniert. Längst gehören „die Dortmunder“ überall dazu. Wahrscheinlich kennt jeder sogar einen: Jörg Schönenborn war dort, Friedrich Küppersbusch, Michael Steinbrecher.

Ingrid Müller arbeitete nach dem Diplom als freie Mitarbeiterin für die dpa, bevor sie als Parlamentskorrespondentin zum ddp in Bonn ging. 1990 wechselte sie als Politikredakteurin zum Tagesspiegel. 1999 wurde sie Ressortleiterin, seit 2005 ist sie Leitende Redakteurin (Politik)

Deutsche Journalistenschule, München: Mitschüler im Kopf

Der Nachbar klopfte besorgt an, so laut schrie ich in meinem Göttinger Studentenappartement vor Freude, als die Nachricht kam: aufgenommen in die 44. Kompaktklasse an der Deutschen Journalistenschule München. Seit meinem 16. Lebensjahr wollte ich Journalistin werden, hatte mich darauf bei Schützenvereinen, Kindergartenfesten und Seniorentanztees vorbereitet. „Schreiben lernt man nur durchs Schreiben“, hatte mir der Redakteur bei den „Westfälischen Nachrichten“ eingeschärft und schickte mich, so oft es neben der Schule ging, auf Termine. Aber Journalismus ist nicht nur ein Handwerk. Als Journalist übernimmt man Verantwortung: Weil man über Menschen und ihre Erlebnisse berichtet, weil Leser, Zuschauer und Zuhörer nicht nur informiert und unterhalten werden.

An der DJS bekam ich die beste Ausbildung für den Beruf und habe noch mehr über die Verantwortung gelernt, die er mit sich bringt. Ob nun im Print-, Hörfunk-, Fernseh- oder Online-Block, stets diskutierten wir zusammen mit den Dozenten über die Beiträge, wie sie wirken, welche Haltung sie vermitteln und welche Konsequenzen sie haben könnten. Diese intensive Auseinandersetzung ist neben der crossmedialen Ausbildung einer der entscheidenden Vorteile gegenüber einem Volontariat, dem zweiten Ausbildungsweg zum Redakteur. Noch heute halte ich manchmal beim Schreiben inne und überlege, wie wir über den Text diskutiert hätten. Meine Mitschüler sind Freunde fürs Leben geworden.

Sonja Pohlmann ist nach Stationen bei Spiegel Online und „Spiegel“ Pauschalistin in der Medienredaktion des Tagesspiegels.

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