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Bezugsperson. Lena Faber (Romy Seitz) hört ihrer Puppe Senta zu. Was sie nicht weiß: Senta ist außer mit einem Lautsprecher auch mit einem Mikrophon ausgestattet.

© dpa

Bayern-"Tatort": Die Spur der Puppe

Ein Selbstmord, ein Doppelmord, ein kleines Mädchen. Der Bayern-„Tatort“ setzt auf das Motiv Rache und die Puppe Senta hat glühende Augen.

Verlorene oder kaputte Puppen sind beliebte Motive in Horrorfilmen, Krimis und Thrillern. Das Liebliche verweist auf das Schreckliche, die Unschuld auf die Schuld. Eine schmutzige Puppe im Unterholz bedeutet, dass im Wald ein Kind missbraucht wurde. Eine zerbrochene Puppe im Kinderzimmer bedeutet, dass hier ein Kampf stattgefunden hat. Und in „Chuckie, die Mörderpuppe“ ist das scheinbar harmlose Spielzeug von einem bösen Geist besessen. Was aber nun hat es mit Senta auf sich, einer Puppe mit glühenden Augen, die sprechen kann?

Das aufzuklären, ziehen Udo Wachtveitl als Franz Leitmayr und Miroslav Nemec als Ivo Batic in ihren 80. „Tatort: Wir kriegen euch alle“. Sie stehen zu Beginn am Sofa einer alten Frau, die offenbar Selbstmord begangen hat. Ein Abschiedsbrief liegt vor, ein Giftfläschchen steht auf dem Tisch. Wer war sie? Wie kam sie um? Recherchen ergeben, dass sie Frida hieß und auf dem Spielplatz des Viertels Puppen mit glühenden Augen verschenkte, auch dass sie eine Selbsthilfegruppe gegründet hat, in der sich erwachsene Missbrauchsopfer im Gespräch ihrem Leid und seinen Folgen stellen.

Da passiert ein Doppelmord, ganz in der Nähe. Ein Ehepaar, Eltern der fünfjährigen Lena, wurde regelrecht hingerichtet, an der Wand ein Hinweis auf Missbrauch, mit Blut geschrieben. Lena hat überlebt, sie hat nichts mitbekommen, weil sie betäubt war. Und sie war es, die den Mörder reingelassen hat – er war als Weihnachtsmann verkleidet und sprach von Geschenken. Auf dem Revier verlangt die Kleine nach ihrer Puppe. Die heißt Senta. Und hat glühende Augen.

Senta führt die beiden Kommissare auf eine wichtige Spur. Sie ist die digitale Variante der Grusel-Puppe, eine Smart-doll. Eingebaut sind ein Mikrophon, ein Lautsprecher und ein Chip, wer den Code kennt, kann mithören und sich einmischen. So was ist in Deutschland verboten, die Puppen wurden in Österreich gekauft – von Frida, gleich en gros.

Franz ermittelt undercover

Jetzt ist klar, dass einer der beiden Ermittler undercover in die aus lauter Männern bestehende Selbsthilfegruppe muss. Leitmayr und Batic wären nicht Leitmayr und Batic, wenn sie sich nicht auch in diesem gruseligen „Tatort“ einen kleinen Spaß gönnten. Keiner von beiden will in die Gruppe, also knobeln sie es aus, aber Franz sagt dann: „Ich mach’s!“, und am Ende geht Ivo.

Er trifft den Gruppenleiter, fragt, wo es denn zu den Missbrauchsopfern gehe und wird sanft gemaßregelt: „Wir sagen Überlebende“. Ivo darf mitmachen, er muss sogar irgendwann seine Legende, also seine erfundene Missbrauchsgeschichte, erzählen und windet sich dabei, aber er macht wertvolle Beobachtungen. Die Rede kommt auf den Rachegedanken. Und der Überlebende Ralf, von Martin Feifel mit viel Mut zur Wut und zur Hässlichkeit gespielt, gesteht, dass er davon besessen sei.

Dieser Jubiläumskrimi zieht alle Register. Regisseur Sven Bohse („Ku’damm 56“) spielt virtuos mit den Insignien der Kindheit – Puppe, Weihnachtsmann –, um dann die Grausamkeit des Missbrauchs dagegen zu setzen. Dennoch erlaubt das Drehbuch von Michael Comtesse und Michael Proehl keinerlei Parteinahme für die Selbstjustiz, auch nicht auf der Ebene spontaner Gefühle. Dafür wird hier zu nüchtern erzählt, dafür kommen stets rechtzeitig die Gesetzeshüter dazwischen, die auf ihre gewohnt draufgängerische Weise ihren Job machen und dabei angesichts der Szenerien und der Schicksale immer auch die nötige Melancholie zulassen.

Wer einen verwickelten Krimi mag, der sich einen ausgeklügelten tollen Look leistet, ein Thema der Zeit aufgreift und hin- und her wendet – Missbrauch, Selbsthilfe – und dennoch nicht darauf verzichten will, die guten alten Männerfreunde Franz und Ivo in Hochform und durchaus humorfähig zu erleben, der ist mit diesem „Tatort“ gut bedient.

„Tatort: Wir kriegen euch alle“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15

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