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Da geht es lang. Rudi Dutschke (hier gespielt von Christoph Bach) hatte mit seiner Wortgewalt wenig Mühe, die Hörsäle in Wallung zu versetzen. Foto: ZDF/Jochen Roeder

© Jochen Roeder

Bewegt, bewegend: ZDF zeigt Dutschke-Biopic

Ein zarter ZDF-Spielfilm über den rebellischen Studentenführer Rudi Dutschke: Regisseur Stefan Krohmer und Autor Daniel Nocke retten ganz nebenbei das "Biopic", den biografischen Fernsehfilm.

„Er war der Chauffeur von Rudi“, sagt Bernd Rabehl über Gaston Salvatore. „Im Vietnamkongress war ich der Vorsitzende“, sagt dieser über sich selbst – und zu Rabehl: „Er soll die Klappe halten.“ Weißhaarig sind beide inzwischen und noch immer raufen sie darum, wer Rudi Dutschke näher gestanden hat. Beide monologisieren prächtig und sind sich nur darin einig: An dieser Frage entscheidet sich auch, wer politisch bedeutsamer war.

Keiner bezweifelt diese Einheit von Politik und Persönlichkeit. Schon deswegen ist die warmherzige Helga Reidemeister sich sicher: „Rudi kann man nicht fiktionalisieren.“ Und schon trägt sie mit diesem Votum dazu bei, dass es doch gelingt. Humor fehlte ihm, Ironie, dieser Dutschke habe alles so „brutal beim Nennwert“ genommen, gibt der Journalist Claudius Seidl für die Nachfolgegeneration zu Protokoll. Damit ist er selber mittendrin in einem historischen Film, der auch noch unterhaltsam ist. „Attentat, Ende – dann fünf Zeilen. Das ist ein Film, ein toller Film“, weiß der sich mittlerweile herrlich als Hedonist in Szene setzende Gaston Salvatore.

Und es wird ein toller Film! Aber nur, weil Regisseur Stefan Krohmer und Autor Daniel Nocke diese Voten der Zeitzeugen zwar registrieren und harmonisch in ihren Film einflechten, sich aber mitnichten an die jeweilige Besserwisserei halten. Sie haben einfach ihren eigenen Film gemacht und keinen, der den Zeitzeugen gefallen will. Vielleicht ist er deswegen beides geworden, so menschlich und so widersprüchlich. Die Weggefährten Rudi Dutschkes kommen nur vor, sie bilden eine Schicht dieses Films, der ansonsten durch und durch ein Spielfilm ist.

Ähnliche Formen kennen wir von Heinrich Breloer. Aber selbst wenn dieser meisterlich inszenierte, konnte man gelegentlich noch denken: „Aha, das soll also der Walter Scheel sein.“ Bei Krohmer/Nocke ist es anders. Anfangs mag man noch kritisch schauen: Spielt Pasquale Aleardi die Mischung aus Hilfsbereitschaft und unterschwelliger Eitelkeit des Gaston Salvatore nicht ein wenig zu pointiert? Gestaltet Matthias Koeberlin den jungen Rabehl nicht ein wenig zu streng und verkniffen?

Und dann geschieht das Unglaubliche: Gretchen Dutschke taucht erstmals in diesem Film auf und beglaubigt mit jeder Geste, mit jedem Wort die Fiktion. Dieser kleine, zarte Film ist präzise bis hin zu den Nebenfiguren wie Joscha Schmierer vom Heidelberger SDS, der später einer der großen Maoisten wurde. Von der Blechmülltonne im Berliner Hinterhof bis zum Klappreisewecker auf den Nachtisch ist er akribisch ausgestattet und dennoch keine 68er-Puppenstube geworden. Er lebt vom Tempo und von den lakonischen Dialogen. Diese Verdichtung ist große Kunst.

Und selbstverständlich lebt der Film von dem einzigen, dessen Darstellung nicht mehr beglaubigt werden kann. Aber das ist auch nicht nötig. Denn da spielt zwar der Schauspieler Christoph Bach, aber keinem kommt es so vor. Er imitiert nicht, er äfft nicht nach. Da redet und agiert, rennt und überlegt Rudi Dutschke. Da ist sein Strickpullover, die drängende Rhetorik, der Singsang mit heiserer Stimme, die Leidenschaft. Wir sind mitten drin im Audimax, in den SDS-Beratungen, den Demonstrationen und Debatten. Dennoch ist es kein Film der großen Dimensionen. In engen Räumen und vollgestopften Küchen wird viel Kammerton gesprochen. Wir spüren, wie diszipliniert und dennoch getrieben dieser Dutschke ist, wie sehr er Projektion, Inkarnation und Stimme dessen ist, was er „die Bewegung“ nennt. Selbstverständlich ist er es, der reden muss nach dem Tod von Benno Ohnesorg. „Du bist der, dem die Leute glauben“, sagt ihm Gaston Salvatore.

Vieles in diesem Film geschieht beiläufig. Er erklärt nicht die Ansichten Rudi Dutschkes, nicht die Beziehung zu Gretchen, nicht die Zankereien der Linken. Aber er hilft zu verstehen, in welchen historisch gedrängten Zeiten Charisma entstehen kann. Und er gibt Rudi Dutschke den Nachgeborenen zur Ansicht frei, zum Streit, zum Gedankenaustausch.

Und der Film hat eine Haltung. Sie zeigt sich allein daran, dass er eben nicht nach dem Attentat endet. Rudi Dutschke wird nicht reduziert auf den kurzen Sommer des SDS. Die Spanne des Lebens wird ausgemessen. 1964 mit der Demonstration gegen den Diktator Tschombé geht es los, das letzte Wort hat der Tod, wie ihn Gretchen erzählt. Ganz nebenbei retten Krohmer und Nocke das „Biopic“, den biografischen Fernsehfilm, das ermattet schien, spätestens seitdem Heiner Lauterbach einen konturlosen Axel Springer gab. Hier sehen wir einen für sein Leben gezeichneten Rudi Dutschke – gejagt, gehetzt, vertrieben aus Berlin, dieser Frontstadt der Anständigen, die so wenig verstanden haben und noch weniger gefühlt.

Schon seit längerem ist der Film fertig. Jetzt hat das ZDF einen Sendeplatz gefunden, sogar zur Primetime. Leider an einem Tag, an dem die meisten Zuschauer Fußball sehen werden.

„Dutschke“, ZDF, 20 Uhr 15

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