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Medien: „Bilder zeigen, wie es wirklich war“ Guido Knopp über das Entstehen der ZDF-Dokumentation „Der Bombenkrieg“

Die aktuelle Debatte über die Luftangriffe auf deutsche Städte im Zweiten Weltkrieg wurde durch die Buchveröffentlichung „Der Brand“ des Historikers Jörg Friedrich ausgelöst. Ist das Leitmedium Fernsehen diesmal etwa nur Nachzügler?

Die aktuelle Debatte über die Luftangriffe auf deutsche Städte im Zweiten Weltkrieg wurde durch die Buchveröffentlichung „Der Brand“ des Historikers Jörg Friedrich ausgelöst. Ist das Leitmedium Fernsehen diesmal etwa nur Nachzügler?

Wir sind eigentlich sehr froh, dass wir in dieser Debatte als Erste einen filmischen Markstein setzen können. Wir sammeln ja seit Jahren systematisch Materialien und ZeitzeugenInterviews. Deswegen können wir im Gegensatz zu anderen recht schnell vorlegen, was es bisher nicht gab: eine ausführliche Fernseh-Dokumentation anhand ausgewählter Beispiele, von der „Luftschlacht über England“ bis zu den Angriffen auf Dresden und Würzburg im Frühjahr ’45. Zu Beginn erinnern wir daran, was sich am 4. Februar jährt: der bedeutendste Luftangriff auf Berlin im Jahr 1945.

Aber wie kommt es, dass das Medium Buch es geschafft hat, dies ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, und nicht Guido Knopp und seine Redaktion, die die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg in zahlreichen Reihen thematisiert haben?

Es ist ja nicht so, dass wir das nicht behandelt hätten. In unserer Reihe „Der Jahrhundertkrieg“ haben Fälle wie Dresden und Hamburg, auch die „Luftschlacht über England“ schon eine Rolle gespielt, aber eben in einem größeren und abgewogenen Kontext. Aber nicht Abwägung heizt eine Diskussion an, sondern Provokation. Und die Provokation kam in diesem Fall vom Buchmarkt.

Sie verstehen das Buch von Friedrich als Provokation?

Von den Fakten her bietet es nichts Neues, aber in der zugespitzten Form und Thematik wird es von vielen als Provokation empfunden, vor allem in Großbritannien. Mich beeindruckt an dem Buch besonders, dass der Autor neben dem menschlichen Leid sehr detailliert beschrieben hat, welche historischen Kulturgüter unwiederbringlich verloren gegangen sind. Jörg Friedrich wurde natürlich auch von unseren Filmautoren befragt. Er und Ralph Giordano, der ja einerseits Verfolgter des Nazi-Regimes und andererseits in Hamburg Opfer des Bombenkriegs war, sind sozusagen die Dioskuren der Diskussion.

Die Technik der Zuspitzung ist auch dem Medium Fernsehen nicht fremd. War es wirklich ein Tabu, über Deutsche als Opfer zu reden? Hatten Sie den Vorwurf gescheut, deutsche Schuld aufrechnen zu wollen?

Das sind für mich keine Kriterien, nach denen ich historische Programme präsentiere. Wichtig ist, dass man inhaltlich und filmisch etwas beizutragen hat. Moralische Fragestellungen stehen ganz am Ende der Programmentscheidung.

Sehen Sie die Gefahr, dass das Primetime-Fernsehen mit seinen emotionalen Bilderwelten, der dramatischen Musik und den nicht unbedingt differenzierten Kommentaren die Diskussion anheizt statt sie zu versachlichen?

Das Gegenteil ist der Fall. Unsere Autoren sind darauf mehr als trainiert, dass ihre Filme historisch exakt gestaltet und trotzdem verständlich sind. Außerdem war die Diskussion bisher recht theoretisch. Erst die Bilder zeigen, wie es wirklich war. Hinzu kommen die zum Teil kontroversen Zeitzeugen- Aussagen. Zum Beispiel sagen britische Bomberpiloten und auch Ralph Giordano, dass das Ziel gerechtfertigt gewesen sei, den Krieg zu verkürzen. Es ist ja belegbar, dass sich die deutsche Rüstung im Zweiten Weltkrieg zu vierzig Prozent auf die Abwehr der alliierten Bombardements konzentriert hat. Wenn diese vierzig Prozent im Bodenkrieg eingesetzt worden wären, hätte dies den Krieg vor allem im Osten möglicherweise verlängert. Und wenn im Sommer 1945 der Krieg nicht beendet worden wäre, hätten die alliierten Strategen vor der Frage gestanden: Werfen wir die erste Atombombe über Japan ab oder über Nazi-Deutschland? Das sind makabre, aber notwendige Gedankenspiele.

Die Gretchenfrage scheint zu sein: Haben auch die Alliierten Kriegsverbrechen begangen? War Churchill ein Kriegsverbrecher?

Das ist nicht die Frage, die sich der Film stellt. Der Film will zeigen, wie es war, welche Bilder es gibt und wie die Geschehnisse von den Betroffenen beider Seiten heute empfunden werden.

Es scheint viele Menschen zu geben, die in dieser Intensität das erste Mal darüber sprechen.

Wir erleben dieses Phänomen fast täglich: Nachdem Menschen diese Grenzerfahrungen lange verdrängt haben, wollen sie am Ende ihres Lebens Zeugnis ablegen. Zumal sie gelegentlich das Gefühl haben, dass ihr Erleben mit dem jeweiligen Schwerpunkt des historischen Diskurses nicht übereinstimmt. Wir greifen das natürlich auf, denn die Summe von vielen tausend einzelnen Erlebnissen ist auch historisch relevant.

Was ist die Lehre aus all dem mit Blick auf die aktuelle weltpolitische Lage?

Dass das, was am Ende herauskommt, oft unkontrollierbar ist und nicht immer dem entspricht, was die Strategen am Anfang wollten. Churchill hat im Februar ’45 gesagt: „Die Strategie, deutsche Städte zu bombardieren, einfach um den Terror noch zu steigern, sollte überdacht werden, sonst übernehmen wir am Ende ein total ruiniertes Land.“

Das Gespräch führte Thomas Gehringer.

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