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Kurt Landauer auf den Trümmern des FC-Bayern-Stadions.

© dpa

Biopic über FC-Bayern-Präsident Kurt Landauer: Liebe lässt sich nicht ermorden

Er war der Mann, der den FC Bayern zwei Mal erfand: Die ARD setzt dem jüdischen Vereinspräsidenten Kurt Landauer ein filmisches Denkmal.

Fahren zwei Juden mit dem Zug. Sie kommen aus Genf, wollen nach München, um ihre Visa für die USA zu holen. Sagt der eine zum anderen: „Ich freue mich auf unsere erste Partie Schafkopfen in New York.“ Der andere lächelt, fast lacht er. „Schafkopfen in New York.“ Vorstellbar? Ein Münchner sitzt am Hudson und spielt Karten nach bayerischer Art. Nie ist er dort gewesen, in dem Land, das seine neue Heimat werden soll: Amerika. Für einen Juden 1947 auf dem Weg durch Deutschland ein Versprechen, eine Verheißung, ein Flucht- und Ruhepunkt. Nie wieder Nazis, nie wieder Angst, endlich.

Aber der Kurt Landauer (Josef Bierbichler) muss erst einmal nach München. Er ist Münchner von Geburt, ein Bayer durch und durch, weiß-blauer geht es kaum. Und er ist bekannt, vielleicht berühmt. Er war seit 1913 der Präsident des FC Bayern München, vorher Spieler, später Funktionär, 1932 gewann der Klub seine erste deutsche Meisterschaft. Das war alles andere als Zufall, Landauer hatte den Klub professionell ausgerichtet. Gefeiert wurde mit einem Triumphkorso.

Die Nazis sperrten Landauer ins KZ, zwangen ihn ins Schweizer Exil

Das sollte nach 1933 dringend vergessen gemacht werden. Die Nazis verfolgten den Juden Landauer, er verlor sein Präsidentenamt wie seine Arbeitsstelle bei einer Zeitung, nach der „Reichspogromnacht“ sperrten sie ihn ins KZ Dachau, trieben ihn ins Exil in die Schweiz. Der FC Bayern, angepöbelt als „Judenklub“, wurde „arisiert“, da war der ewige Stadtrivale der Roten, die Blauen von 1860 München, längst schon der „Naziverein“.

1947, und da setzt das Biopic ein, fährt Kurt Landauer mit dem Zug nach München. In das Land der Mörder, die seine Geschwister umgebracht haben, die ihm seine Heimat und seinen Verein geraubt haben. München ist ein Trümmerfeld, dito der Verein. Es gibt ihn noch, den FC Bayern München, aber nur noch als verzweifelten Haufen. Wie ein Magnet zieht er Landauer an. Der wird sagen: „Der FC Bayern und ich gehören nun mal zusammen und sind untrennbar voneinander“, und auch das wird ihn umtreiben: Die Maria Baumann (Jeanette Hain), langjährige Hauswirtschafterin im Haus seiner Eltern und ehemalige Geliebte, die liebt ihn noch, die will mit ihm nach Amerika.

America, the beautiful? Schafkopfen in New York? Alles intakt, Schluss mit Anfeindung und Lebensgefahr. Alles anders: Kurt Landauer erfindet den FC Bayern München neu. Der Film von Hans Steinbichler geht damit auf eine zweite Ebene: Da sind der Klub und der Präsident, da sind das Nachkriegsdeutschland und der Jude Landauer. Er ist die Herausforderung, das personifizierte schlechte Gewissen, die mannsbildhafte Erinnerung an die Nazi-Gräuel, die leibhaftige Frage: Wo warst du, als ich im KZ und Exil war, hast du meine Geschwister wenn nicht selber umgebracht, so doch weggeschaut, als sie abgeholt wurden?

Drehbuchautor Dirk Kämper, der gerade auch das Buch „Kurt Landauer – Der Mann, der den FC Bayern erfand“ veröffentlicht hat, holt Szene auf Szene zusammen, um diese Konfrontationen des Denkens, Fühlens und Sprechens zu zeigen. Es sind Misstrauenserklärungen auf beiden Seiten, wie sie, um ein anderes, literarisches Beispiel zu nennen, in Ursula Krechels Roman „Landgericht“ stattfinden. Gibt es bei dieser Vergangenheit eine neue Form des Zusammenlebens oder gibt es nur Arrangements?

Landauer glaubte vor allem an eines: An die verbindende Macht des Fußballs

Der Jude Landauer aktualisiert bei anderen neue alte Anfeindung. Bekommt der FC Bayern nur seinetwegen eine Lizenz der Amerikaner, anders als 1860 München? Landauer selbst sieht Nazis, wo vielleicht gar keine waren, so beim Trainer Conny Heidkamp (Andreas Lust), der bei einem Spiel des FC Bayern in der Schweiz nicht den Mut hatte, auf den vertriebenen Landauer zuzugehen und sich damit der Gestapo zu widersetzen. Das hat Landauer dem Heidkamp nicht verziehen, die beiden kommen nicht zueinander, selbst dann nicht, als Landauer erfährt, dass Heidkamp den FC Bayern mit Tricks und Vereinsvermögen durch die Nazizeit gebracht hat.

Wo Kurt Landauer auftaucht, wird nach hinten geschaut – und geglaubt an die verbindende Kraft des Fußballs, an die positive Macht dieses Sports, so sehr er auch missbraucht worden sein mag. Wenn eine Mannschaft gewinnen will, ist die Herkunft der jungen Spieler zweitrangig, erstrangig sind Teamgeist, Respekt vor der Leistung des einen für die anderen. Elf Freunde könnt ihr sein. Und die Roten brauchen sie Blauen, ein Stadtderby muss her, also gibt es bei aller Feindschaft eine neue Freundschaft (auf Zeit). Landauer findet einen, seinen Weg zwischen Selbstaufgabe und Selbstfindung, zwischen Scheitern und Siegen, mit und für Maria, mit und für den Klub in einem Deutschland, wo untergetauchte SS-Mitglieder im großen Teich mitschwimmen. Und dann, nach Irrungen und Wirrungen: Stadtderby. Ein Sieg über Landauers Zweifel: „Die Sechziger kapieren’s wieder erst, wenn alles zu spät ist.“

Regisseur Steinbichler verfilmte schon "Winterreise" und "Hierankl"

Regisseur Hans Steinbichler hat mit Josef Bierbichler bereits die Filme „Hierankl“ und „Winterreise“ zu Ereignissen gemacht. „Landauer – Der Präsident“ ist das nächste. Bierbichler, 66, ist famos. Er zwingt die Figur zu nichts, er bezwingt sie nicht, er formt eine Persönlichkeit, eine Respektsperson. Münchner Grant, bayerische Wucht, Denken muss sein, Lenken muss sein, ein Mann mit vielen Antennen und einem Kompass, der sich erst dreht und wendet und dann einen klaren Kurs findet. Bierbichler stellt mit seinem Landauer nichts an, was ihn über diesen einen Menschen hinaus zu einem Lebendplakat machen könnte. Nehmt ihn so, oder nehmt ihn gar nicht. Eine Innenschau, die sich nach außen darstellt. Josef Bierbichler und Kurt Landauer nicken einander zu.

Zerstörtes München, verstörte Menschen. Herbert Knaup spielt Landauers ältesten Freund Siggi Hermann, lange Jahre Vize-Präsident und dann pro forma erster Mann im Verein, als die Nazis Landauer wegdrängen. Hermann, am besten als zweiter Mann, leidet fast mehr, als er Landauer und Trainer Heidkamp nicht wieder zusammenbringen kann. Und Heidkamp, von Andreas Lust zurückhaltend gezeichnet als camouflierter Charakter in einer charakterlosen Zeit, sagt Landauer, dass der als personifiziertes Gewissen Menschen daran hindere, nach vorne zu sehen. Landauer ist Heidkamps Sollbruchstelle, und Heidkamp Landauers Herausforderung, ob jedes seiner Urteile über Menschen Bestand haben kann.

Für den Erfolg des Films ganz entscheidend: Knaup und Lustig halten mit Bierbichlers Menschengestaltung mit. Wie Jeannette Hain, die Maria, die mit Kurt leben will, doch nicht so, wie er will, dass sie mit ihm lebt. Drehungen, Wendungen auch hier. Neue Wunden im neuen Leben.

„Landauer – Der Präsident“ ist auch filmisches Denkmal für einen Vordenker und Lenker des FC Bayern München, für Kurt Landauer, der den FC Bayern München erfand. Der vergessen war, bis ihn die Fans des Klubs, die Ultra-Fangruppe „Schickeria“, wiederentdeckten.

„Landauer – Der Präsident“, ARD, Mittwoch, 20 Uhr 15

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