zum Hauptinhalt
Neben der brennenden Leiche ihres Entführers und religiösen „Erziehers“ wird die 17-jährige Rebecca (Gro Swantje Kohlhof) völlig verstört gefunden.

© SWR/Johannes Krieg

Bodensee-"Tatort": Wolfskind

Ein religiöser Fanatiker,ein Wolfskind, ein Bulle als Psychotherapeut: Der vorletzte Bodensee-„Tatort“ deutet an, dass wir ihn vielleicht noch mal vermissen werden.

Menschen auf einer Einkaufsstraße. Geschäfte. Der offene Himmel. Sonne. Ein Mädchen steht auf dem Bürgersteig und staunt. Dreht sich wie im Taumel. Mit Stöpseln im Ohr. Es kann den Krach der Straße in Konstanz nicht ertragen. Es wurde als Zweijährige entführt, hat über zehn Jahre in der Gewalt eines Mannes gelebt, der es missbrauchte und in seinem Haus von der Umwelt abschottete. Nun liegt der Mann, ihr „Erzieher“, tot am Boden. Das Mädchen ist 17. Es ist endlich frei. Und traumatisiert. Kann es mit dieser Freiheit umgehen?

Eine feine, spannende Ausgangsfrage. Vor allem, wenn man bedenkt, was wir in den vergangenen Wochen am Sonntagabend in der ARD Krachendes gesehen haben. Sollte in der über 40 Jahre alten „Tatort“-Geschichte irgendetwas Sinnvolles, Solides, Gemeinschaftsstiftendes zu finden sein, was über die ewige „Wer war der Mörder?“-Frage hinausgeht, dann haben das die Extrem-Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur) und Nick Tschiller (Til Schweiger) in den beiden jüngsten „Tatort“-Ausgaben philosophisch auszuhöhlen beziehungsweise massenhaft wegzuballern versucht. Das kann man mögen oder auch nicht.

Da kommt nun „Rebecca“ ins Spiel, der neue Bodensee-„Tatort“ mit Eva Mattes und Sebastian Bezzel. Zur Erfüllung klassischer Erwartungshaltungen taugt dieser meistens etwas bieder daherkommende „Tatort“ aber nicht wirklich.

Opfer-Schutz oder Informationen beschaffen

Eine Eingangsszene, bei der ein Mädchen über einem am Boden liegenden, brennenden Mann hockt, der sich noch bewegt, zuckt. Ein Kind, das über ein Jahrzehnt gefangen gehalten und zu einer pseudoreligiös auf ihren Bewacher fixierten Fanatikerin erzogen wird, sodass sie sich hinterher, nach dem Tod des Bewachers, nicht mehr in der normalen Welt zurechtfindet. Eine an den Fall Natascha Kampusch angelehnte, perfide Wolfskind-Geschichte um die Auswirkungen eines religiös verbrämten Extremismus (Buch: Marco Wiersch, Regie: Umut Dag). Kein einziger Schuss im ganzen Krimi und trotzdem harter Stoff.

Die Ermittler stehen im Konflikt zwischen dem Schutz des Opfers und dem Druck, Informationen zu beschaffen, werden mit psychologischen Grenzsituationen konfrontiert. Die Mördersuche gerät in den Hintergrund. Der von Sebastian Bezzel gespielte Kommissar Kai Perlmann darf hier im vorletzten Bodensee-„Tatort“ noch einmal zeigen, dass er mehr kann, als nur den Wagen zu holen und sich mit der Kollegin Klara Blum (Eva Mattes) zu reiben, für die der Begriff „Bodensee-Tatort“ ja erfunden zu sein schien, auch wenn es ihn vielleicht schon vor Eva Mattes gegeben hat.

Preiswürdige Hauptdarstellerin: Gro Swantje Kohlhof

Vorangetrieben wird der Krimi von der Suche nach einem zweiten Mädchen, das vor Jahren ähnlich wie Rebecca entführt wurde und vermisst wird. Was weiß Rebecca? Die Psychologin (Imogen Kogge) ist hilflos. Perlmann muss notgedrungen die Rolle des neuen „Erziehers“ von Rebecca spielen, einen Zugang zu der 17-Jährigen finden, um Informationen über das vermisste Mädchen zu bekommen und ein weiteres Unglück zu verhindern.

Ein Bulle als Aushilfspsychologe, als religiöser Erzieher. Das ist mal gewagt. Damit noch mal ein Blick aufs Label, das auch über dieser Geschichte steht. Der Begriff „Tatort“ ruft uns ja eine bunte Vorstellungsreihe ins Bewusstsein, ein Universum von Dingen, über deren Klassifizierung und Bewertung sich Sonntag für Sonntag mehr oder weniger befriedigend streiten lässt: Manfred Krug und Charles Brauer am Klavier, Schimanski über den Dächern von Duisburg, Currywurst-Buden in Köln, Russen-Mafia, Lars Eidinger als Psycho in Kiel, Ulrike Folkerts als ewige Lena Odenthal, der unzerstörbare Til Schweiger in Hamburg, der Frankfurt zergrübelnde Ulrich Tukur.

Der Bodensee-„Tatort“ mit Eva Mattes und Sebastian Bezzel gehörte nicht unbedingt in diese erste Vorstellungsreihe. Vielleicht hätte es mehr solcher Bücher bedurft. Keiner Event-Programmierungen mit Heike Makatsch, um es im Südwesten der Republik krimimäßig rocken zu lassen. Und einer exzellenten Hauptdarstellerin, Gro Swantje Kohlhof, die im Bremer „Tatort“ schon einmal ein traumatisiertes Mädchen gespielt hat und sich hier für einen Filmpreis empfiehlt.

„Tatort – Rebecca“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15

Zur Startseite