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Medien: Brandt, Becker, Bach

Das ZDF fragt nach den größten Deutschen – und ist sich selbst nicht so sicher, ob man das ernst nehmen soll

Was haben Richard Wagner und Peter Kraus, Albert Schweitzer und Karl May, Friedrich von Bodelschwingh und Dieter Bohlen gemeinsam? Sie stehen alle auf der Liste. Auf der Liste des ZDF mit „Unseren (hundert) Besten – Wer ist der größte Deutsche?“ Dabei ist doch längst klar, wer die Beste ist, nämlich Mutti. So sagte es unzweideutig unser aller Heino, selber nominiert auf Platz 47.

Oje, was da im ZDF die Köppe geraucht haben müssen, als es um die Titelfindung für diese Sendung ging. Man merkt das schon daran, dass zwei Titel rausgekommen sind und dass Co-Moderator Steffen Seibert immer mit den Schultern zuckt, wenn er nach „unseren Besten“ noch „die größten Deutschen“ hinterhersagen muss. Wortführender Moderator Johannes B. Kerner weiß wahrscheinlich, dass es heute üblich wäre, nach „der größte Deutsche“ auch noch „die größte Deutsche“ zu sagen, lässt aber die weibliche Form immer öfter weg, je länger die Mammutshow (210 Minuten) dauert. Worum geht es überhaupt?

In Kopie eines britischen Formats schickt das ZDF die Nation los, um ihre „Besten/Größten“ zu ermitteln; nach sendereigenen Vorgaben (300 Nennungen) kamen durch landesweite Nominierungsaktivität 90 000 Kandidaten zusammen, die dann auf hundert eingedampft und Freitagabend vorgestellt wurden. Da tummelten sich Bach neben Beckenbauer, Robert Bosch neben Beate Uhse, Sebastian Kneipp neben Albert Einstein und Herbert Grönemeyer. Am Schluss blieb eine TopTen-Liste übrig, die in sechs weiteren Folgen per Volksabstimmung einem Ranking unterworfen wird. Und worum geht es eigentlich? Darum, dass das Mitmach-Fernsehen nicht mehr aufzuhalten ist. Dass das Fernsehpublikum sich weigert, nur noch passiv zu glotzen und stattdessen nominieren, abstimmen, rauswählen, vorschlagen und Knöpfe drücken will. Haben sich im Kommerzfernsehen die „Superstars“ vom Volk wählen lassen, sind es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gleich sämtliche Würdenträger der Geschichte, die gegeneinander antreten: Da kommt Bildung ins Spiel, und außerdem verlangen Kant und Schiller kein Geld. Dass es so gut wie unmöglich ist, die Verdienste eines Max Schmeling gegen die eines Friedrich Nietzsche abzuwägen, stört die Macher nicht. Alice Schwarzer, die als Kommentatorin neben Kerner saß, erklärte: „Die Menschen sind doch vielfältig.“

Interessant immerhin, dass das Publikum weiß: So ernst ist das alles nicht gemeint. Also nominiert es mit Vergnügen „große Deutsche“ wie Günter Jauch, Thomas Gottschalk und Nena, und auch die Spitzensportler, die es vom Bildschirm kennt, kommen alle vor. Fast so, als hätte es einen Untertitel gegeben: „Nennen Sie uns die größten Deutschen, die Sie aus dem Fernsehen kennen.“ Damit klar wird, in welcher Tradition die Sendung steht, wird auch Daniel Küblböck aufgestellt, der es beim „Superstar“ nicht geschafft hat und bei „Unseren Besten“ eine zweite Chance kriegt. Kerner, Schwarzer, und wer sonst noch dabei war: Sie alle hatten an Küblböck auf Platz 16 ordentlich zu schlucken. Dabei war der Einsatz seiner Fans für ihn auch nichts anderes als das Getue der „Paten“ um Einstein und Luther. Das verriet indirekt, worum es wirklich geht: dass auch das ZDF seine Casting-Show haben will und dass man, wenn die Jungtalente alle durch sind, auf Oldies wie Mozart und Roy Black zurückgreift.

Bei den Top Ten wurde es staatstragend. Gutenberg, Adenauer, Brandt, Marx – kein Popidol dabei, kein Sport-Ass, stattdessen viel Politik. Wird aufschlussreich sein zu erfahren, wer das Rennen macht. In ersten Ted-Umfragen soll Albert Einstein (aus den Top 10) vorne liegen. Aber die Engländer haben einen Staatsmann auf den Sockel gehoben, einen Sieger der jüngeren Geschichte. Was werden die Deutschen tun? Auf Willy Brandt (aus den Top 10) ausweichen? Regine Hildebrandt (Platz 23) den Preis geben? Oder gar Boris Becker (Platz 35)? Dass sie sich überhaupt wieder trauen, nach „großen Deutschen“ Ausschau zu halten, im Rahmen einer reichlich durchgeknallten Show, ist vielleicht kein so schlechtes Zeichen.

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