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Guter_Junge

© WDR

Brisanter Film: Der Blick der Neigung

Der Vater will seinen Sohn nicht an die Perversion verlieren: Der Film "Guter Junge" erzählt vom Kampf gegen Pädophilie - innerhalb einer Familie.

„Was guckst denn so?“, fragt der kleine Junge den großen. „Wie guck ich denn?“, fragt Sven zurück. „Irgendwie komisch“, sagt der hübsche kleine Patrick und meint damit: Du guckst fasziniert, du guckst verlangend. Aber das sind Worte und Gefühle, die dem Zehnjährigen noch nicht zur Verfügung stehen.

Der fast achtzehnjährige Sven hingegen kennt ihren Gehalt und könnte sie aus- und ansprechen. Aber er wird sich hüten. Solange es irgend möglich ist, will er Patricks Unbefangenheit intakt lassen – die kindliche Albernheit, die unschuldige Frechheit, all das, was ihn so tief berührt. Seinem Vater versucht Sven sich mitzuteilen. Der denkt, als er von der Neigung seines Sohnes erfährt, was alle denken: dass ein Pädophiler halt Missbrauch treibt und keine Gefühle kennt. „Ich hab ganz viel Liebe“, sagt Sven verzweifelt. Er möchte die kleinen Jungs berühren und küssen, er möchte gut zu ihnen sein. Die Welt aber hält ihn für einen Schänder.

Und das ist er auch. In dem Moment, in dem er Berührungen aller Art gegen den Willen der Kinder durchsetzt. Für die mädchenhaften Zehnjährigen, die Sven bevorzugt und denen er durch die Rasur seiner Achsel- und Schamhaare zu gleichen versucht, ist er eben nur ein älterer Freund, der „irgendwie komisch guckt“. Die Faszination, die von ihnen ausgeht und das Verlangen, das sie wecken, können die Patricks um ihn herum nicht verstehen. Sven ist mit seinem Eros allein.

Der aber will, wie jeder Eros, Vereinigung. Die schiebt Sven auf, indem er die Knaben filmt und sich an den Bildern ergötzt. Doch er weiß, dass ihm das nicht genügt. Sven legt seinem Vater den Schlüssel auf den Tisch. „Ich möchte, dass du mich einschließt.“ Der Vater weigert sich. „Papa, du willst mich nicht verstehen“, sagt Sven – „Gut, dann erklär’s mir“. Sven spricht von der Liebe, die in ihm ist. Die gehört nun mal diesen Knaben in all ihrem kindlichen Reiz. „Verdammt noch mal, du sollst aufhörn damit“, sagt der Vater. Doch Sven kann nicht. Die Tragödie tut, was sie tun muss, sie nimmt ihren Lauf.

Und der Film tut das einzig Richtige: er zieht den Zuschauer an die Seite des pädophilen jungen Mannes (Sebastian Urzendowsky), dessen Erscheinung und Sinnlichkeit das Prisma bilden, durch das der Film auf seine Welt schaut. Er, der Film, seine Dramaturgie, postiert auch Vater Achim (Klaus J. Behrendt) an der Seite des Jungen. Achim hat nach dem Tod seiner Exfrau den Sohn aufnehmen müssen, und er will mit der Vaterschaft Ernst machen. Er will nicht zusehen, wie sich Sven noch einmal von ihm entfernt, er will ihn nicht an eine Perversion verlieren. Er kämpft mit allen Mitteln um ihn. Vor allem mit denen, die ihm, dem eher grob gestrickten Taxifahrer, nahe liegen und die furchtbar falsch sind: Verbote, Drohungen, Schläge. Sven muss alle Videos, Heftchen und Bilder, die zu seiner Pädophilie gehören, rausrücken, ein Scheiterhaufen wird errichtet und niedergebrannt, Spielplatzverbot erfolgt im Anschluss, und jetzt, meint der Papa, könne alles gut werden. Er unterschätzt, mit welcher Gewalt seine „Neigung“ Sven in ihren Fängen hält. Als Achims Freundin (Gabriela Maria Schmeide) von Therapie spricht, wirft er sie raus. Er will es mit Sven allein schaffen. Er gibt nicht auf, er macht viele Fehler – aber er lernt dazu. Die Botschaft lautet: Da sein für den Abgeglittenen, den Perversen, den Ausgestoßenen, auch wenn man seine Taten noch so sehr verurteilt, das ist Humanität. Unter all den Mitteln, mit denen Achim um seinen Sohn kämpft, findet sich eins, das nicht furchtbar falsch ist: Beständigkeit.

Dem Drehbuchschreiber Karl-Heinz Käfer und dem Regisseur Torsten C. Fischer ist ein bestürzender, leiser, fast lyrischer Film gelungen, der sich einem Thema von großer Brisanz ganz ohne Aufregung, dafür mit Gespür für die dramatischen und psychologischen Implikationen widmet. Auf seine bescheidene Weise spricht der Film von der Unzulänglichkeit sowohl der Therapiegesellschaft als auch der Vaterliebe, er wirbt für Respekt vor einem jungen Menschen, dessen verstiegene Sinnlichkeit ihn dazu verdammt, am Glücksversprechen der Normalität „komisch“ vorbeizugucken.

„Guter Junge“, ARD, 20 Uhr 15

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