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Ex-IWF trifft IWF. Zanny Minton Beddoes (links) diskutiert mit Währungsfonds-Chefin Christine Lagarde.

© AFP

Britische Zeitschrift goes Germany: Schocktherapie light

Rubriken in anderen Sprachen, Videos, Social: „Economist“-Chefin Minton Beddoes denkt digital. Und will stärker auf den deutschen Markt.

Als Zanny Minton Beddoes noch für den Internationalen Währungsfonds (IWF) arbeitete, war sie damit beschäftigt, wirtschaftliche „Schocktherapien“ für Entwicklungsländer zu konzipieren. Das war vor über 20 Jahren. Seit Februar 2015 ist Minton Beddoes Chefredakteurin des wirtschaftsliberalen „Economist“ – dem sie nach eigener Aussage aber keine allzu radikale Schocktherapie angedeihen lassen will. Zumindest nicht der über 170 Jahre alten Printversion. Ja, der „Economist“ sehe als Zeitschrift etwas bleiwüstig aus; kleinere Änderungen am Layout seien denkbar. Aber der große Relaunch? Nein danke, never change a running system. Dann lieber mit Vollgas ins Digitalgeschäft. So erklärte Minton Beddoes ihre Strategie am Freitag dem Tagesspiegel.

Lange lebte der „Economist“ schlicht davon, hervorragenden Journalismus zu machen. Unter Minton Beddoes Vorgänger John Micklethwait wuchs die Auflage um eine halbe Million von 1,1 auf rund 1,6 Millionen Exemplare. Jüngst gab es leichte Einbrüche, die Minton Beddoes aber nur wenig beeindruckten. Das Digitale scheint ihr dagegen fast schon ein persönliches Anliegen zu sein. Der „Economist“ hat unter ihrer Regie erstmals Social Media- und Analytics-Teams bekommen; auch auf Videos und die Produktion von Grafiken samt kurzen Erklärstücken soll künftig mehr Wert gelegt werden. Und natürlich geht auch beim ehrwürdigen Wirtschafts-Schlachtschiff nichts mehr ohne Social Media: Der meiste Online-Traffic kommt mittlerweile von Facebook oder Twitter. Dort hat das Medium sechs beziehungsweise neuen Millionen Fans und Follower.

Gab ihr Vorgänger Micklethwait noch vor wenigen Jahren die Parole aus, allein in Deutschland rund 80 000 neue Leser gewinnen zu wollen, ist Minton Beddoes vorsichtiger. Sie kennt den deutschen Markt, ihre Mutter stammt vom Bodensee; auch sie selbst machte dort oft Urlaub. Minton Beddoes weiß, dass große deutsche Qualitätsmedien es dem „Economist“ schwermachen, Abonnenten zu gewinnen – weil sich die Zielgruppen zu sehr ähneln. Die „global Neugierigen“ will Minton Beddoes erreichen. Aber das wollen der „Spiegel“, die „Zeit“ und manche deutsche Tageszeitung auch.

Fragt man nach harten Zahlen, weicht die neue Chefredakteurin gerne aus. Aber: 73 Millionen potenzielle „Economist“-Leser weltweit gebe es. Noch nicht erschlossener Kunden-Rohstoff, sozusagen. Dass „Economist“-Leser überdurchschnittlich häufig männlich und wohlhabend sind, weiß Minton Beddoes zwar, möchte es aber nicht zur Regel werden lassen: „Mir ist die Studentin in Süddeutschland als Leser genauso wichtig wie ein Millionär“. Ihr Medium soll keine wirtschaftliche Elite bedienen. Höchstens eine intellektuelle.

Spricht diese Elite Englisch? Meistens, aber nicht immer. Minton Beddoes überlegt, einige Formate auch in weiteren Sprachen zugänglich zu machen. Dieses Vorhaben steht noch am Anfang. „Dass das Printmagazin in einer anderen Sprache als Englisch erscheint, kann ich mir nicht vorstellen“, sagt sie. Was sie sich dagegen gut vorstellen kann, sind mehr gesellschaftspolitische Themen auf der Titelseite. Weil sie eine Frau ist? „Nein. Weil diese Themen interessant und wichtig sind.“ Tatjana Kerschbaumer

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