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Am 10. Mai 1933 fand in Rostock eine Bücherverbrennung statt. Heute steht dort ein Parkhaus.

© Jan Schenck

Bücherverbrennungen der Nazis: Die kaum bekannten "verbrannten Orte"

Vor 85 Jahren verbrannten die Nazis Zehntausende von Büchern verfemter Autoren. Der Fotograf Jan Schenck dokumentiert großteils vergessene "verbrannte Orte".

Von Matthias Meisner

85 Jahre liegen die Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten zurück - und die Erinnerung an 1933 muss täglich neu wachgerufen werden. Der Fotograf Jan Schenck, 36 Jahre alt, will seinen Beitrag leisten: Vor fünf Jahren startete er mit einer Crowdfunding-Kampagne das Projekt "Verbrannte Orte". Entstanden ist ein Online-Atlas, der dokumentiert, dass es mehr als 90 Orte in Deutschland gibt, an denen die Nazis verfemte Literatur verbrannten. Er machte Fotos, um zu zeigen, wie diese Orte heute aussehen. Er recherchierte die Hintergründe, nach Möglichkeit mit örtlichen Helfern, sammelte Spenden. Anfang 2014 ging die erste Testversion des Atlasses online.

Schenck ist in Hamburg geboren und aufgewachsen. Wie die meisten hatte er von der "Aktion wider den undeutschen Geist" gehört, bei der die braunen Machthaber in 22 deutschen Universitätsstädten Zehntausende Bücher von Autoren anzündeten, die ihnen missliebig waren. Dazu gehörten Werke etwa von Bert Brecht, Erich Kästner und Kurt Tucholsky, aber auch wissenschaftliche Schriften von Sigmund Freud und sowie Albert Einsteins Relativitätstheorie. Bekannt war ihm natürlich die aufwendig inszenierte Veranstaltung auf dem Berliner Opernplatz, dem heutigen Bebelplatz, bei der 70.000 Menschen am 10. Mai 1933 zusahen, wie allein dort entsprechend den Instruktionen des Reichspropagandaministeriums und mit Hilfe der regimetreuen "Deutschen Studentenschaft" etwa 25.000 "undeutsche" Bücher verbrannt wurden.

Mahnmal zur Erinnerung an die nationalsozialistischen Bücherverbrennungen auf dem Berliner Bebelplatz.
Mahnmal zur Erinnerung an die nationalsozialistischen Bücherverbrennungen auf dem Berliner Bebelplatz.

© Kai-Uwe Heinrich

Dass es allein in Hamburg mindestens fünf Orte gab, an denen nationalsozialistische Bücherverbrennungen gab? Dass sich das Schwimmbad, in dem Schenck als Kind war, an der Stelle einer Bücherverbrennung befand - die Alsterschwimmhalle in der Ifflandstraße im Stadtteil St. Georg? Das wusste Schenck lange Zeit nicht. "Dort gibt es keinen Gedenkstein", sagt er, so wie an vielen anderen Orten von Bücherverbrennungen auch nicht. "Für mich war das der Anlass, etwas zu schaffen, das an alle Orte erinnert." Auf dem Grundstück an der Ifflandstraße hatte die Bücherverbrennung am 30. Mai 1933 stattgefunden, eine vorangegangene Aktion in Hamburg war - verglichen vor allem mit Berlin und München - relativ klein geblieben.

Auch in der Universitätsstadt Greifswald gab es am 10. Mai 1933 eine "Aktion wider den undeutschen Geist".
Auch in der Universitätsstadt Greifswald gab es am 10. Mai 1933 eine "Aktion wider den undeutschen Geist".

© Jan Schenck

14 Orte von Bücherverbrennungen hat Schenck, der inzwischen nach mehreren Jahren als Fotograf in Berlin in einem kleinen Ort im Wendland lebt, inzwischen selbst fotografiert - es sind eindrucksvolle Dokumentaraufnahmen, die den Besuchern der Internetseite ermöglichen sollen, sich den "verbrannten Orten" zu nähern. 92 Orte sind inzwischen im Online-Atlas verzeichnet, vom fränkischen Bamberg bis Zwickau in Sachsen. Hintergrundtexte und Berichte von Zeitzeugen sollen eine inhaltliche Auseinandersetzung ermöglichen.

"Aktion wider den undeutschen Geist" am 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz in Berlin, dem heutigen Bebelplatz.
"Aktion wider den undeutschen Geist" am 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz in Berlin, dem heutigen Bebelplatz.

© epd

Im Eintrag zu jedem Ort zitiert Schenck einen der mindestens 131 Autoren, deren Werke "ausgemerzt" werden sollten. Weil ihre Schriften kommunistisch, liberal, pazifistisch oder auch anarchistisch waren. Weil ihre Bücher als erotisch oder "sittenlos" galten. Oder weil die Autoren Juden waren oder jüdische Themen behandelten. Insgesamt als "undeutsch" galten. Joseph Roth beispielsweise kommt im Online-Atlas so zu Wort: "Ich schätze alle Schriftsteller, die vom III. Reich verbrannt worden sind, selbst jene unter ihnen, die mir vorher fremd waren. Denn das Feuer hat sie geläutert, veredelt und mir nahegebracht." Roth hatte die Bücherverbrennungen schon vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten erahnt: "Sie werden unsere Bücher verbrennen und uns damit meinen."

Auf der Buchmesse Partner der "Verlage gegen rechts"

Jan Schenck ist seit Jahren mit seinem Projekt und für sein Projekt unterwegs. Er suchte sich Partner und Förderer wie die Anti-Rassismus-Initiative Akubiz im sächsischen Pirna, die Rosa-Luxemburg-Stiftung oder den Landesbeauftragten für Politische Bildung in Schleswig-Holstein. Er präsentierte den Online-Atlas bei Veranstaltungen beispielsweise in Neubrandenburg und Greifswald.

Auf der Leipziger Buchmesse im Frühjahr hatte "Verbrannte Orte" einen eigenen Stand, das Projekt war an den Aktionen der "Verlage gegen rechts" beteiligt. Schenck und seine Helferinnen und Helfer verteilten rund 4000 Postkarten. Erst diese Woche trat der Fotograf in Frankfurt am Main bei der Veranstaltung "Lesen gegen das Vergessen" des Börsenvereins des deutschen Buchhandels auf, bei denen Autorinnen und Autoren ihren Kolleginnen und Kollegen von 1933 ihre Stimme gaben.

Ein großer Teil der Bevölkerung von Hamburg-Lohbrügge zog am 25.Juni 1933 in die Boberger Dünen, um dort im Rahmen einer Sonnenwendfeier Bücher zu verbrennen.
Ein großer Teil der Bevölkerung von Hamburg-Lohbrügge zog am 25.Juni 1933 in die Boberger Dünen, um dort im Rahmen einer Sonnenwendfeier Bücher zu verbrennen.

© Jan Schenck

Der Großteil der mehr als 90 Bücherverbrennungen sei der Allgemeinheit kaum bekannt, sagt Schenck. Wer weiß noch von den ersten Bücherverbrennungen im März 1933, beispielsweise in Dresden, Flensburg, Bochum, Braunschweig und Kaiserslautern? Schenck fragt: "Was passiert dort heute und betrachten wir diese Orte anders, wenn wir wissen, was dort passiert ist?" Er hofft das. Er selbst wird immer wieder gefragt, ob denn nun schon alle Orte im Atlas seien. Seine Antwort lautet: nein. Regelmäßig gibt Hinweise zu neuen Orten. Schencks Projekt ist erfolgreich, aber noch nicht vollendet.

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