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BÜRGERTALK: „Untertanen-TV“

Miese Quote, harte Kritik: das Town Hall Meeting mit Kanzlerin Merkel bei RTL

Stell’ dir vor, die Bundeskanzlerin geht zu RTL – und kaum einer guckt hin. Das mit großem medialen Aufwand beworbene Town Hall Meeting mit Angela Merkel am Sonntagabend war für den Privatsender ein echter Reinfall. Nur 1,55 Millionen Zuschauer ab drei Jahren wollten die Bürgersprechstunde bei der Kanzlerin sehen. Das sind dürftige 5,9 Prozent Marktanteil im Gesamtpublikum. Auch das Kalkül von RTL, mit einem populären „Meeting“ parallel zur ARD-Talkshow „Anne Will“ politisch interessiertes Publikum herüberzuziehen, war ein Trugschluss. Will gewann mit dem Thema „Praxisgebühr“ 3,64 Millionen Zuschauer (13,3 Marktanteil), mehr als doppelt so viel wie RTL. Ein RTL-Sprecher nannte die Akzeptanz „ausbaufähig“ und betonte, der Sender halte an dem Plan fest, auch mit dem SPD-Kanzlerkandidaten ein „ Meeting“ zu veranstalten.

Es geht offensichtlich ein Riss durchs Publikum. Wer in der Regel RTL einschaltet, der füttert im politikfernen Privatprogramm seinen Unterhaltungshunger – und zeigt sich selbst an einer direkten TV-Begegnung mit der Bundeskanzlerin nicht interessiert. Umgekehrt hat der politikaffine Fernsehzuschauer bei den Öffentlich-Rechtlichen und damit bei „Anne Will“ eingeschaltet. Bedenklich nur ist die quasi „stalinistische“ Grundhaltung. Einmal „Anne Will“ oder „Maybrit Illner“, immer „Will“ und „Illner“, da kann anderswo laufen, was will.

Für alle Sender und die gesamte Politikerkaste stellt sich schärfer denn je die Frage, ob Politik und Politikerauftritte beim jüngeren Fernsehpublikum überhaupt etwas „reißen“ können. 830 000 Zuschauer zwischen 14 und 49 Jahren schalteten bei RTL den Merkel-Talk ein, 590 000 den Will-Talk (Marktanteil: 7,2 Prozent bei RTL, 4,9 Prozent bei der ARD). Was Jugend und Mittelalter am Sonntag präferiert haben: „The Da Vinci Code – Sakrileg“ bei Pro 7 (3,94 Millionen/31,3 Prozent) oder „The Mentalist“ bei Sat 1 (1,94 Millionen/14,1 Prozent). Generell gilt die Beobachtung, dass der „Kanzlerbonus“ kein „Fernsehbonus“ sein muss. Auch Merkels März-Solo bei „Anne Will“ lag mit 4,17 Millionen nur im zufriedenstellenden Bereich.

Sensationelles, gar Streitkultur hatte die von RTL-Chefredakteur Peter Kloeppel und Maria Gresz („Spiegel TV“) moderierte Bürgersprechstunde der Bundeskanzlerin auch nicht zu bieten. Das lässt das Format nicht zu. Ein ausgewähltes Studiopublikum, 100 Gäste, lieferte brav seine vorbereiteten Fragen ab. Dazu ein paar Video-Einspieler mit Fragen von der Straße, die man sich genauso hätte sparen können wie die Split-Screen-Technik, der geteilte Bildschirm, mit dem die Kanzlerin und ihr Fragevolk von der Regie in ein Bild gebracht wurden und die Danksagung der Kanzlerin am Ende („Sie waren ein großartiges Publikum“).

Simulierte Bürgernähe, zu viel Raum für Politikerselbstdarstellung im Superwahljahr, kritisieren die einen. Andererseits wurde die Kanzlerin mal konkret mit den von ihrer Politik Betroffenen konfrontiert. Alleinerziehende Mutter mit drei Kindern, Hartz IV, der Sinn der Abwrackprämie, privater Waffenbesitz, vom Gesundheitssystem genervte Ärzte und Patienten – Merkel hörte aufmerksam zu, antwortete meistens sattelfest, fragte hier zurück („Was wollen Sie lernen?“), gab dort einen Wink. Sie wirkte, anders als ihr Amtsvorgänger, zumindest nicht abgehoben. Sie ist und bleibt die Erklärkanzlerin. Angela Merkel kommt diese Art Bürgerbefragung, das Town Hall Meeting, besonders entgegen.

Bei der schlechten Zuschauerquote dürfte es allerdings fraglich sein, ob sich RTL aber auch ARD, ZDF und Sat1 mit weiteren Runden dieses mit großen Erwartungen (Mediendemokratie! Junges Publikum!) verbundenen Formats einen Gefallen tun. ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender sah sich in seiner Skepsis bestätigt. Das Town Hall Meeting bei RTL „war eine Selbstdarstellungsbühne für die Kanzlerin, eine schöne Show“. Weder Zuschauer noch Journalisten hätten die Chance zum Nachfragen, zum Nachhaken gehabt. Brenders Resümee ist hart: „Das war Untertanen-TV, der Bürger hat dem Format eine Absage erteilt.“ Das ZDF werde auf die bewährte „Berliner Runde“ setzen. Dort sollen alle Spitzkandidaten miteinander diskutieren. „Auch in unseren anderen Wahlforen, so hoffen wir, wird der Zuschauer Argumente vergleichen und Alternativen für seine Wahlentscheidung erkennen können.“

ARD-Chefredakteur Thomas Baumann sagte, das Erste verfolge mit seinen Town-Hall-Formaten ein anderes Konzept als RTL. „Wir setzen auf ein größeres Publikum vor Ort, das unseres Erachtens besser zum Begriff ,Town Hall’ passt.“ Die ARD würde eine „Arena“ anstreben, die „mehr Spontaneität zulässt und den direkten Wortwechsel zwischen dem Publikum und der zu befragenden Person beflügelt“, sagte Baumann. Deshalb bestehe kein Grund, sich an dem RTL-Format vom Sonntagabend zu orientieren.

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