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Große Gefühle gab’s im Finale von „Germany’s Next Topmodel“ 2011, hier mit Jurorin Heidi Klum (l.), Gewinnerin Jana Beller (M.) und der Zweitplatzierten Rebecca Mir.

© dpa

Casting-Show: Drama, Baby

Jetzt wird’s kritisch: Berliner Studenten nehmen das „GNTM“-Finale wörtlich und haben die Fernsehsendung in Buchform gepackt. Jetzt soll das Stück sogar auf die Bühne kommen.

Der Ort des Geschehens: die Lanxess Arena in Köln. Die Darsteller: drei hoffnungsfrohe Kandidatinnen, die sich vor einer kreischenden Menge im Saal, Millionen TV-Zuschauern, vor allem einer gestrengen Jury beweisen müssen. Die Handlung: Kleidchen vorführen und lächeln, lächeln, lächeln. Später fließen Tränen, denn: Nur eine kann „Germany’s Next Topmodel“ werden.

Große Gefühle perfekt inszeniert, das ist doch genau der Stoff, aus dem Dramen gemacht werden, dachten sich Gregor Weichbrodt und Grischa Stanjek, als sie das Finale der ProSieben-Castingshow mit Chef-Jurorin Heidi Klum und den drei Kandidatinnen Jana Beller, Rebecca Mir und Amelie Klever im vergangenen Frühjahr verfolgten und haben die Fernsehsendung in Buchform gepackt. Jetzt soll das Stück sogar auf die Bühne kommen.

Auf die Idee dazu sind Weichbrodt und Stanjek durch ihr Studium gekommen, in Berlin studieren sie Kommunikationsdesign an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW). Für ihre Semesterarbeit im Fach Typografie und Layout sollten sie ein Buch gestalten – Inhalt frei wählbar, mindestens 50 Seiten sollte es haben. Zunächst wollten sie die „Tagesschau“ transkribieren, dann eine Talkshow – bis sie auf das Finale von „GNTM“ kamen. Die einfache, alltägliche Sprache der Show war genau das, wonach Weichbrodt und Stanjek gesucht hatten.

Zwanzig Stunden brauchten sie für das Transkribieren der zweistündigen Sendung. Die sich ständig wiederholenden Phrasen der Juroren setzen sich in ihren Köpfen fest: „Heidi Klum sagt zum Beispiel unglaublich oft: ,Ich habe es schon ein paar Mal gesagt, aber nur eine kann ,Germany’s Next Topmodel’ werden’“, sagt Weichbrodt. Fürs Erstellen des Storyboards teilen die Studenten das Geschehen der Show in Köln auf: Sie entwickeln ein System, das ihnen diese Arbeit erleichtert. Sobald die „Szene“ wechselt – vom Laufsteg zur Couch oder Backstage – beginnt ein neuer Aufzug, kommen neue Personen hinzu, ein neuer Auftritt. Am Ende entsteht ein Drama in sechs Aufzügen, das auf 123 Seiten die Inhaltslosigkeit der Show entlarvt. „Wir sind keine Hasser oder Fans der Show“, meint Weichbrodt, „aber wir sind schon mit einer medienkritischen Intention da rangegangen.“

Lehrer wollen das Stück schon als Unterrichtsmaterial nutzen

Werbepausen werden in abstrakten, psychedelischen Schwarz-Weiß-Bildern dargestellt. Ursprünglich hatten sie geplant, Bilder von Plattenbauten zu nehmen, so Stanjek: „Aber dann entwickelte sich etwas Abstrakteres daraus. Wir wollten eine Zäsur darstellen, aber auch ein anderes Konzept von Schönheit, als das, was in der Show favorisiert wird.“

Das an die gelben Reclam-Hefte erinnernde Layout verstärkt den Kontrast zwischen Inhalt und Erwartungshaltung der Leser besonders. Mit Reclam verbindet man Weltliteratur – und nicht die Phrasen einer Castingjury. „Das ist der Tag, von dem ihr noch euern Enkelkindern erzählen werdet“ ist der pompöse Titel des Stückes – ein Zitat von Heidi Klum aus der Sendung.

„Hinter diesem Titel kann man alles erwarten – bloß keine Castingshow“, sagt Grischa Stanjek. Diese Überhöhung durch Titel, Dramenform und Layout ist genau das, was die beiden Berliner Studenten erreichen wollten, was den Kontrast zu dem vor „wusch, wusch, wusch“, „super“ und „wow“ nur so strotzendem Text ohne wirklichen Inhalt umso schärfer werden lässt.

Was eigentlich nur ein Uniprojekt sein sollte, hat sich innerhalb weniger Tage rasend schnell über das Internet verbreitet. Stanjek und Weichbrodt bekommen Mails von Lehrern, die das Stück als Unterrichtsmaterial haben wollen, von Literaturwissenschaftlern und von Leuten, die es zu Weihnachten verschenken wollten. Mittlerweile haben sogar zwei große Verlage angefragt, und eine Schule würde das Drama gerne aufführen. Wer sich jetzt schon einhören will, kann am 3. Februar die Actionlesung „Wow, toll – Heidi und die Chicas“ im „Rottstr 5 Theater“ in Bochum besuchen.

Bisher ist das Drama nur online zu lesen, denn Weichbrodt und Stanjek müssen noch rechtliche Fragen klären, die sich bei einer eventuellen Veröffentlichung stellen. Über ein Schulbuch wird aber bereits nachgedacht. Heidi Klum könnte deshalb mit ihrer Prophezeiung gar nicht so falsch liegen, und Enkelkinder erfahren tatsächlich von diesem Tag – im Deutschunterricht zum Thema: Wie Medien wirken.

http://issuu.com/grischka/docs/typo-buch-gntm

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