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China: Am Internet-Pranger

Nach einem dummen Youtube-Film begann die Hetzjagd auf eine junge Chinesin. Sogar im realen Leben wird sie seither bedroht.

Keine Frage, es ist dumm, geschmacklos und empörend, was Gao Qianhui über die Erdbebenopfer in Sichuan sagt. „Was glaubt ihr, wie viele von euch gestorben sind? Nur ein paar, in China gibt es sowieso so viele Menschen“, schimpft das 21 Jahre alte Mädchen aus der Provinz Liaoning. Es folgen weitere unsägliche Beleidigungen. Sie hatte sich geärgert, weil ihr Lieblingsinternetspiel während der dreitägigen strikten Staatstrauer in China für die Erdbebenopfer abgeschaltet worden war. Doch ihre Wut hätte sie besser für sich behalten – und nicht als Video ins Internet gestellt.

So ist Gao Qianhui innerhalb von zwei Monaten das dritte Opfer des chinesischen Internetmobs geworden. Millionenfach verbreitete sich ihr Video auf chinesischen Internetseiten, empörte User versuchten jedes Details über sie herauszubekommen. Sie veröffentlichten Namen samt Alter und Wohnort. Laut der Internetseite sina.com hat inzwischen die Polizei in Shenyang Gao Qianhui verhaftet. Sie soll dem Vernehmen nach wegen übler Nachrede und Gefährdung der gesellschaftlichen Stabilität angeklagt werden.

Das Mitleid mit ihr hält sich zwar aufgrund ihrer zweifelhaften Aussagen in Grenzen, doch manchen erschreckt das Ausmaß der Personenjagd im Internet. „Bei der Polizei ist sie sicherer als im Angesicht des Mobs“, schreibt ein User auf Shanghaiist.com, „die Leute rufen auf, sie zu finden und zu töten.“ Einige User nennen diese entfesselte Internethatz „Menschenfleisch-Suchmaschine“.

In China gibt es 228 Millionen Internetbenutzer, so viele wie in keinem anderen Land der Welt. Zwar werden die Seiten von Menschenrechtsorganisationen oder Free-Tibet-Gruppen weiterhin vom Propagandaministerium zensiert, trotzdem ist die Informationsfreiheit im Netz verglichen mit Zeitungen und Fernsehen groß. Womöglich, weil die Olympischen Spiele in Peking nahen, hat die Zensur zuletzt auch die Seiten von BBC, CNN, YouTube und Wikipedia freigeschaltet. Doch die neue Freiheit ist nur geliehen, nach den Unruhen in Tibet waren zahlreiche Internetseiten erneut nicht zu erreichen. Und sie birgt neue Gefahren.

Die Chinesin Wang Qianyuan war das erste Opfer des Internet-Mobs. Die Studentin der Duke-Universität im amerikanischen North-Carolina hatte an einer Pro-Tibet-Demonstration teilgenommen und war dabei gefilmt worden. „Menschenrechte gehen über alles“, sagte die 20-Jährige der „Washington Post“. Doch chinesische Internetnutzer, die sie auf einem Video sahen, beschimpften sie als Verräterin, die bestraft werden müsste. Einer stellte persönliche Informationen über sie ins Netz, darunter Personalausweis sowie die Adresse ihrer Eltern in Qingdao. Diese erhielten einen Kübel mit Exkrementen vor die Tür gestellt.

Nach dem Erdbeben hatten sich die selbst ernannten Internetrichter über drei Jugendliche aus Chengdu empört. Sie waren nach dem Beben der Stärke 8,0 aus ihrer Schule geflüchtet und hatten auf dem Schulhof ein Video aufgenommen. Eine Schülerin sagte, sie hoffe, dass das Schulgebäude einstürzt, dann müsse sie nicht mehr zur Schule gehen. Eine andere erklärte, sie fände es gut, wenn einmal im Jahr ein Erdbeben passieren würde. Nachdem die Internetjäger auch diese Schülerinnen aufgespürt hatten, stellten die in Tränen aufgelösten Schülerinnen ein zweites Video ins Netz. „Wir haben es nicht böse gemeint, wir lieben unser Land und wir denken wirklich an die Opfer des Erdbebens“, sagen sie.

Das Internet als Justizinstanz ist nicht nur ein chinesisches Phänomen. In den USA gab es mindestens einen ähnlichen Vorfall. Auf welcher Basis fällen diese selbst ernannten Richter ihre Urteile? Und wer kontrolliert sie? Im Fall der in den USA studierenden Chinesin kursierte erst tagelang ein anderer Name im Netz. Was diesem Mädchen passierte, ist nicht bekannt.

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