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Medien: Cicero wohnt jetzt in Potsdam

Der frühere „Welt“-Chef Wolfram Weimer entwickelt ein „Magazin für politische Kultur“

Vierzehn Jahre nach dem Fall der Mauer gibt es in Deutschland noch immer kein politisches Magazin aus der Hauptstadt. Gut, Hans-Ulrich Jörges plädierte vor anderthalb Jahren, als er für den „Stern“ von der Elbe an die Spree wechselte, sogar für einen Umzug der Illustrierten nach Berlin, weil nur hier die (politische) Musik spiele. Heute referiert derselbe Jörges über die Vereinnahmungen der Journalisten, „embedded in Berlin“. Andere haben es versucht und scheiterten: die gut gemachten, wenn auch selbstverliebten Berlin-Seiten von „Süddeutscher“ und „FAZ“. Gescheitert ist auch Frank Schirrmacher mit seinem Vorhaben, das Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ nach Berlin umzusiedeln. Hinterher maulte er eingeschnappt, die Berliner Republik sei nichts wert, da sie von einem Schweizer Diplomaten, einem Friseur und einer Talkshowdame repräsentiert würde.

Andere glauben weiter an die Strahlkraft dieser Stadt: das vom Sänger Bryan Adams finanzierte Modefotografie-Heft „Zoo“ etwa oder die Avantgarde-Magazine „Achtung“, „Deutsch“ oder „Dummy“ – letztes ein frei von Aktualität konzipiertes Blatt, das mehr experimentellen als professionellen Charakter hat und augenscheinlich glaubt, darin liege die Zukunft.

Ein politisches Magazin aus Berlin ist auch unter diesen neuen, noch in den Anfängen steckenden Projekten nicht dabei. Doch bald wird es „Cicero“ geben. Entwickelt wird das Blatt dort, wo sich die wirtschaftliche, kulturelle und politische Macht von Künstlern, Managern und anderen Strippenziehern mit der Ästhetik der Architektur paart und ballt: in Potsdam.

In der gediegenen Atmosphäre einer Villa nahe der historischen Glienicker Brücke bastelt seit Anfang des Jahres der zuvor beim Verlag Axel Springer wegen Indiskretion in Ungnade gefallene Wolfram Weimer, zuletzt bekannt als ein bisweilen etwas nassforsch auftretender Chefredakteur der „Welt“. Nicht in Eigenregie, sondern im Auftrag des Schweizer Ringier-Verlages entwickelt er „Cicero“. Als was sich das Magazin versteht, verrät der Untertitel: „Magazin für politische Kultur“. „Cicero“, angelehnt an den gleichnamigen Philosophen und Urvater der politischen Debatte, will – typisch Schweiz – ein ausgeruhtes, ein reflektorisches Magazin sein. Als Vorbilder dienen Magazine wie „Atlantic Monthly“ oder „Spectator“. In Deutschland gibt es nichts Vergleichbares. Die Stars von „Cicero“ sind die stets mit Bild vorgestellten Autoren: Einige junge, meist aber prominente Mitglieder der nationalen und internationalen politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Elite. Aber: Gibt es so viele Autoren dieses Kalibers, um jeden Monat 40 bis 50 Beiträge zu einem Magazin zu komponieren? Die Macher glauben daran.

Die Macher – das sind neben Weimer zurzeit ein gutes Dutzend Redakteure. Ihnen zur Seite steht unter anderem der langjährige „Stern“-Journalist Heiko Gebhardt, der Henri Nannen noch aus der Zeit kannte, als der den „Stern“ erfand. Er freut sich, nach so vielen Jahren, in denen er zuletzt mehr frustriert als befriedigt den „Stern“ verließ, noch einmal ein Magazin mitzugründen. Ein Magazin, das, so Gebhardt, ernsthaften Journalismus betreibe, weder anderen nach dem Mund rede noch hämisch sei, sondern „Haltung zeigt“. Und das in Zeiten von Häppchen-Journalismus im Handtaschenformat. Bei „Cicero“, erzählt Gebhardt, der sich selbst „Anreger“ nennt, da sei es wieder möglich, auch mal „bis nachts um drei in der Kneipe“ mit einem Fotografen oder Autoren eine Idee zu diskutieren.

Kurz die Daten: „Cicero“ ist ein monatliches Magazin, das Ende Februar 2004 erstmals erscheinen soll, eventuell am Donnerstag, denn es richtet sich an eine ähnliche Zielgruppe wie die (allerdings wöchentlich und als Zeitung erscheinende) „Zeit“. Mit einem Preis von voraussichtlich sieben Euro spielt es in der oberen Klasse. 100 000 Exemplare werden anfangs davon gedruckt.

Normalerweise kann man davon ausgehen, dass ein Verlag mindestens die Hälfte der gedruckten Auflage verkaufen will. Bei „Cicero“ wären das 50 000 Hefte, vertrieben von Gruner + Jahr und verkauft in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Ringier traut sich dieses ambitionierte, publizistische Projekt zu – und versucht damit erneut den Einstieg in den deutschen Zeitschriftenmarkt, aus dem sich der Verlag 2001 zurückgezogen hatte. Zuletzt hatte es der von Michael Ringier geführte Verlag in Deutschland durch eine Fusion mit dem Verlag Axel Springer versucht. Doch das Vorhaben „Springier“ scheiterte. Ringier wollte die Unabhängigkeit und Identität des Unternehmens nicht aufgeben. Noch etwas anderes will der belesene Kunstliebhaber erreichen: neben dem Erfolg mit Boulevardtiteln wie dem Schweizer „Bild“-Pendant „Blick“ ein publizistisch anspruchsvolles Blatt herauszubringen. Das misslang zuletzt, als Ringier beim Verkauf der „Weltwoche“ nicht zum Zug kam. Nun versucht es Ringier mit „Cicero“.

Blättert man das Heft durch – es gibt eine Nullnummer, die nur intern kursiert – fällt zunächst das Titelblatt auf, das eine Karikatur zeigt und sich damit schon auf den ersten Blick von Bekanntem abhebt. Im Innenteil dann die unverwechselbaren Fotos von Jim Rakete auf den rechten Seiten, die die daneben Porträtierten zeigen. Wobei die Porträts stets nicht nur die Menschen, sondern gesellschaftliche Phänomene erklären.

In vier Ressorts gliedert sich „Cicero“: Das erste nennt sich, zumindest in dieser Entwicklungsphase, „Weltbühne“ – der Name für das außenpolitische Ressort verneigt sich vor dem Berliner Magazin der 20er Jahre. Das zweite Ressort nennt sich „Berliner Republik“, geleitet von Weimers Stellvertreter Martin Hurek, ebenfalls ein aus der „Welt“ Geschasster. Das dritte, „Kapital“, beschäftigt sich mit Wirtschaft und wird vom Ex-„Focus“-Redakteur Wolfgang Glabus verantwortet. Und das gesellschaftlich angehauchte vierte Ressort, der „Salon“, wird von Peter Littger geleitet, der einst für die Medienseite der „Zeit“ nach Berlin geholt wurde und dann mit dem Entschluss der Chefredaktion, Medienseiten für überflüssig zu erklären, die Wochenzeitung verlassen hat.

Porträts, Essays, Interviews, Kolumnen, Karikaturen und literarische Notizen nach dem Vorbild des „talk of the town“ des legendären „New Yorker“ prägen das Magazin. Das Layout wirkt sehr reduziert, noch ein wenig eintönig, aber nicht kalt. Immer wieder wird mit den Farben Schwarz und Rot gespielt. Drei, bei Essays nur zwei Spalten Text stehen auf der Seite, wie beim Vorbild „Atlantic Monthly“. Was kaum ein Leser wissen wird: In je weniger Spalten ein Text gegliedert ist, desto intellektuell anspruchsvoller mutet er an.

„Cicero“ will den Autoren nicht nur gut bezahlte Artikel abgewinnen, sondern auch eine Bühne bieten. Zum Beispiel diskutieren jeden Montag Redakteure und Autoren mit Gästen über ein bestimmtes Thema. Vergangenen Montag zum Beispiel ging es über Islamismus. Das Ganze erinnert ein wenig an eine Einrichtung von Weimers früherem Arbeitgeber, der „FAZ“. Dort gibt es den so genannten „Denkerflügel“: eine Ansammlung honoriger „FAZ“-Redakteure, die die Welt neu erfinden oder wenigstens retten wollen. Bei „Cicero“ geht es um das Praktizieren der freien politischen Rede – ganz im Sinne des Philosophen Cicero.

Das Magazin im Internet:

www.cicero-magazin.de

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