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Crowdfunding: Wer zahlt, schafft an

„Hotel Desire“ oder wie ein PorNEO-Film mittels „Schwarmfinanzierung“ zustande kommen soll.

Vor zwei Jahren saß Sergej Moya zusammen mit seiner Frau in einem Restaurant. Sie warteten auf das Essen, plauderten und stellten plötzlich fest, dass sie sich nie gemeinsam Pornofilme anschauen. Sie fragten sich, warum das so ist, und entdeckten, was sie ja eigentlich auch wussten, dass es daran liegt, wie Sexualität in diesen Filmen dargestellt wird, als reduzierter, unmenschlicher Vorgang.

Aus der Erkenntnis dieses Restaurantabends entstand ein Filmprojekt. Und Sergej Moya ist sein Regisseur. Er ist 23, ein hübscher Kerl mit sanften, braunen Augen. Mit zwölf Jahren fiel er einer Casterin auf, die sich in der Wohnung eines Freundes befand, mit dem er gerade einen Boxkampf nachspielte – den, in dem Mike Tyson seinem Kontrahenten das Ohr abbiss. Seitdem steht er vor der Kamera, er hat in „Emil und die Detektive“ mitgespielt, im „Tatort“ und im WDR-Fernsehfilm „Mein Vater“, an der Seite von Götz George und Klaus J. Behrendt. Seit zwei Jahren arbeitet er auch als Regisseur. Seine Kurzsatire „Hollywood Drama“ lief im letzten Jahr auf der Berlinale in der Perspektive Deutsches Kino.

„Hotel Desire“ heißt Moyas neues Vorhaben: ein 45-minütiger Film, der den Porno zu einem PorNEO umfunktionieren will. „Pornografie bedeutet ja letzten Endes nur die explizite Darstellung des Beischlafs mit dem Ziel, den Betrachter zu erregen. Was ohne Dramaturgie kein besonders schöner Weg ist“, meint er. Mit seinem Film möchte er einen einfühlsamen Weg finden. Sexualität ist für ihn ein Prozess und kein Fleischwolf, in den zwei Menschen hineingeworfen werden. Er will vom ersten Blick erzählen, der ersten zaghaften Berührung, dem Nahekommen bis zum Akt.

Das Drehbuch für „Hotel Desire“ ist schon fertig geschrieben, die Drehorte sind festgelegt, das Schauspielerensemble ist gebucht. Saralisa Volm spielt Antonia, Clemens Schick spielt Julius, und in den Nebenrollen treten Anna Maria Mühe, Herbert Knaup, Frederick Lau und Jan Gregor Kremp auf. Ende August soll es losgehen, eine Woche lang wird dann in Berlin gedreht. Das ist der Plan.

Sergej Moya, der seit kurzem ein Büro in Mitte hat, schaut auf sein iPhone. „Wieder 400“, sagt er. Gemeint sind Euro, 170 000 braucht er, 6300 hat er momentan zusammen. Und stündlich werden es mehr. Darauf setzt Sergej Moya, er sammelt über das Internet Geld für seinen Film. Dafür gibt es auch einen Begriff – Crowdfunding, was im Deutschen so viel heißt wie „Schwarmfinanzierung“. Auf der Web-Plattform www.hotel-desire.com werden Nutzer dazu bewegt, den Film mitzufinanzieren. Als Gegenleistung erhalten sie, je nach Höhe der eingezahlten Summe, einen Gutschein, um sich den Film später umsonst im Internet anschauen zu können (fünf Euro), einen Credit ihres Namens im Abspann (250 Euro) oder sogar eine private Vorstellung mit den Machern des Films (ab 5000 Euro). „Ich finde diese Methode total zeitgemäß und zukunftsträchtig, das Internet als einen Ort zu nutzen, um gemeinschaftlich Ideen umzusetzen“, sagt Moya. „Das ist auch viel liberaler, weil die breite Masse entscheiden kann, ob sie etwas gut findet. Ich würde normalerweise auch nicht mein Geld für einen Rosamunde-Pilcher-Film hinblättern.“

Im Ausland, vor allem in den USA, ist Crowdfunding längst zu einer gängigen Praxis geworden, besonders bei Dokumentarfilmern. Auch Musiker wie die Band Public Enemy haben so schon eigene Platten produziert. In Deutschland, sagt Moya, sei „Hotel Desire“ der erste Film, der zu 100 Prozent über diesen Weg entstehen soll. 80 Tage hat der Regisseur für sein Vorhaben Zeit, bis zum 23. August. Ist bis dahin das Geld nicht zusammen, geht die bereits vorhandene Summe an den deutschen Nachwuchspreis „First Steps“, der jährlich an junge Filmemacher in Berlin vergeben wird. Ein Unterstützer des Preises ist Nico Hofmann von Teamworx. Die Firma produzierte teure und aufwendige Fernsehmehrteiler wie „Hindenburg“ oder „Die Grenze“. Sie sitzt als Koproduzent auch in Moyas Filmprojekt mit im Boot. Warum hat sie nicht seinen Film ganz produziert? Ist die Webkampagne nur ein Medienevent? „Ich bin jung und ich bin unbekannt“, sagt Sergej Moya. „Dazu kommt, dass ,Hotel Desire‘ ein mittellanger Film mit einem ungewöhnlichen Thema und daher weder wirklich kino- noch fernsehtauglich ist, dafür aber sehr kostspielig.“ Fernsehsender ließen sich als Geldgeber für einen Film, der später vorzugsweise im Internet und auf dem DVD-Player laufen soll, nicht gewinnen. Moya sieht in den Absagen eine Chance: „Wenn wir es schaffen, den Film so zu finanzieren, haben wir eine unglaubliche Freiheit, das zu machen, was wir wirklich machen wollen. Uns sitzen keine Redaktionen, keine Sendeanstalten oder zwanzig Produzenten im Nacken, sondern wir werden nur von Leuten unterstützt, die an unsere Idee glauben.“

Einige Namen der Leute, die bereits Geld gegeben haben, kann man auf der Website nachlesen. Man weiß nicht, wer sich dahinter verbirgt, aber es gibt die Theorie der drei großen Fs – Family (Familie), Friends (Freunde) und Fools (Narren). Sie sollen diejenigen sein, die sich an so einer Aktion beteiligen. Sergej Moya aber hofft, dass sein Projekt wie ein Schneeball funktioniert und immer größer wird, rollt man ihn gut durchs Land. Durch Mundpropaganda, Facebook, Twitter. Bis jetzt gehen etwa 1000 Euro am Tag auf sein Konto, da muss noch was passieren. Der Regisseur ist sich jedoch so gut wie sicher, dass er auf das geplante Geld kommen wird. Er will den Film unbedingt drehen. Sollten es am Ende 20 000 Euro zu wenig sein, sagt er, würde er einen Kredit aufnehmen. Oder alles verkaufen, was er besitzt.

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