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Medien: Dachau oder „Lebensborn“

„Sie ist meine Mutter“, heißt ein ARD-Drama um Vergebung und Liebe

Wir sollen ja nun eine Altenrepublik werden, und darauf muss das Fernsehen programmatisch reagieren. Mit einem gewissen Grausen erwartet man eine Flut von TV-Movies, in denen pflegebedürftige Omis ihre auch nicht mehr jungen Töchtern volljammern oder bärbeißige Greise zur Revolte im Seniorenstift aufstacheln. Zu schweigen von all den Geschichten, in denen Demenz und Inkontinenz die konfliktauslösenden Motive abgeben. Schaut man auf das Titelblatt des Pressehefts von „Sie ist meine Mutter“, auf dem zwei betagte Damen skeptisch gucken, die eine, mit Hut und Brille (Kyra Mladeck), im höheren Alter, die andere, mit Windstoßfrisur und Rolli (Thekla Carola Wied), auf dem Weg dahin, dann befürchtet man spontan, dass das so ein Film sei: mit Alten, von Alten, über Alte, für Alte.

Aber das ist ein riesiger Irrtum! „Sie ist meine Mutter“ hat nichts mit politisch korrekter TV-Altenpflege zu tun, sondern mit der Verknüpfung von Politik und Leben, von Geschichte und Biografie. Der Film thematisiert nicht das Alter und schon gar nicht die üblichen Gebrechen, sondern die disparaten Wirklichkeiten, die in den Köpfen entstehen und die selbst bei einander so nahe stehenden Menschen wie Mutter und Tochter gegensätzlich ausfallen können. Wie verstehen wir Menschen uns überhaupt, fragt der Film, wo doch jeder andere Details aus der Realität beachtet und auch noch auf eigenwillige Weise interpretiert? Es ist ein philosophischer Film, der dennoch (oder deshalb) voller Spielfreude und Fantasie steckt, ein kleines Meisterwerk über die Qualen des Missverstehens und die Einsamkeit, die daraus erwächst.

Die Geschichte beginnt so: Edith (Mladeck) reist mit der auch schon reifen Tochter Rena (Wied) nach Oslo, denn dort kam das Mädchen während des Krieges zur Welt. Sie möchte so gern ihr Geburtshaus sehen. Aber das Haus ist das falsche, die Großmutter verwickelt sich in Widersprüche, und nach und nach erfährt Rena die Wahrheit.Ihre Mutter sollte einst im von den Nazis besetzten Norwegen ein „Lebensborn“-Heim gründen. In einer Parallelhandlung sucht ein Herr aus Renas Generation Kontakt zu Edith. Er wurde seinerzeit an Adoptiveltern vermittelt, Edith hat ihre Unterschrift unter das Dokument gesetzt, nur sie kann dem Mann bei der Suche nach seinen Wurzeln helfen. Rena ist entsetzt. Ihre Mutter hat immer gesagt, sie sei nur eine kleine Sekretärin gewesen und jetzt das!

Wusste sie denn nicht, was das war, der „Lebensborn“? Dass dort Kinder ihren Eltern entrissen und politisch genehmen Zieheltern zugeteilt wurden? „Ich war bei der SS angestellt“, sagt Edith müde, „ich bin da doch gar nicht mehr rausgekommen“. Was sie gemacht habe, sei das Normalste der Welt gewesen: für Waisen neue Eltern suchen. Es gab damals nicht viele Jobs für Frauen. Die Alternative hätte Dachau geheißen. Dann lieber „Lebensborn“. Rena bricht zusammen. Ihr Mann (Rüdiger Vogler) tröstet sie behutsam: „Sie war nie die Mutter, die du dir ersehnt hast.“

Was sich in der Kurzfassung wie die x-te Version eines Vergangenheitsbewältigungsfilms ausnimmt, ist viel mehr und ganz etwas anderes. Wir sehen Menschen dabei zu, wie sie das, was für sie Wahrheit ist, nebeneinander stellen und entdecken, dass da nichts passt und nichts passend gemacht werden kann. Dass es nur einen Weg gibt, trotzdem miteinander zu leben: Vergebung und Liebe. Eine eigentlich christliche Botschaft, die schlicht und klar, in weltlicher Sprache, aus dem Film herausschallt.

Die sorgsame Regie von Dagmar Hirtz ist ebenso zu loben wie die glänzende Darstellung aller Mitwirkenden und das herausragende Drehbuch von Hannah Hollinger (nach dem Buch „Das endlose Jahr“ von Gisela Heidenreich). Die Dialoge besitzen endlich mal die jeder Rolle angepasste persönliche Färbung und Feinheit, die man im Fernsehfilm so oft vermisst. Die Nebenhandlungen um das Schicksal von Renas Söhnen aus zwei Ehen sind überzeugend, weil endlich mal originell. Wenn es so weitergeht mit Filmen, in denen die ältere Generation die Hauptrollen stellt, dann kann man nur sagen: Glück auf!

„Sie ist meine Mutter“, ARD, 20 Uhr 15

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