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Medien: „Das ist ein Mann vor einem Haus“

Wo das Fernsehen sich zum Offenen Kanal hin weitet, wird das Zuschauen zur Therapie

Sind das jetzt verschrumpelte Kondome? Oder getrocknete Pflaumen? Kandiszuckerstückchen? Was es auch ist, es tanzt schon seit einer halben Stunde auf dem Lautsprecher, zur immer gleichen Musik, die sinnigerweise „Nonstop“ heißt. Und es wird eine weitere halbe Stunde tanzen, eingefangen von einer Kamera, die zwischen einzelnen Farbtönen nur unwesentlich unterscheidet. Willkommen in der Welt der Offenen Kanäle, die es jetzt seit genau 20 Jahren gibt.

Das Schöne an dieser Welt: Um sie zu betreten, ob durch die Zuschauertür oder durch den Artisteneingang, braucht man keine Schranken zu passieren. Man muss nicht gebildet oder interessiert sein oder eine Meinung zu einem bestimmten Thema haben. Man muss nur die richtige Stimmung mitbringen: Es muss einem alles egal sein.

Das war einmal anders gedacht: Als in Ludwigshafen 1984 der erste Offene Kanal gegründet wurde, sollte er ein Forum für den mündigen Bürger sein, der aktiv an der Demokratie partizipiert. Funktionieren sollte das so: Jeder bannt das auf Video, was er zu sagen hat, schickt es ein, und dann – sofern es nicht gegen geltendes Recht verstößt – wird es gesendet. In Zeiten des Nato-Doppelbeschlusses erschien das sogar sinnreich. Die Offenen Kanäle, heißt es beim Verband aller Offenen Kanäle, garantieren das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung.

Heute, genau 20 Jahre später, erfüllen sie längst eine andere Aufgabe. Der Offene Kanal ist kein Medium, kein Forum im herkömmlichen Sinne mehr. Er transportiert keine Inhalte, es gibt hier keine Zusammenhänge zu verstehen oder Handlungsstränge nachzuvollziehen. Selbst die Zwei-Stunden-Übertragung der Konferenz „Demografischer Wandel – Notwendige Flankierung einer nachhaltigen Sozialpolitik“ erfüllt trotz des protzigen Titels keinerlei politischen Zweck. Es ist eine Art schwarzes Brett, auf dem ganz groß „Ich bin ein Freak“ steht. Hier darf man alles draufpappen, vom „Klang des Waldes“ bis hin zu „Reisevideos von Herta und Otto Haubner“.

Wer aber soll dieses Brett betrachten? Eigentlich kommen nur zwei Typen in Frage: Der MTV-Schnellschnitt-Geschädigte kann es als therapeutische Maßnahme nutzen, und der Dauerpartygänger erfreut sich am leichten Chillout-Flimmern, wenn er morgens um halb zehn ermattet auf der Couch darniedersinkt. Einfach einschalten und abschalten. Sendezeiten spielen keine Rolle, Aussagen stören nicht. Man kann seine Therapie an einem beliebigen Punkt beginnen und das Programm an einem anderen Punkt bedenkenlos wieder verlassen. Folgeerscheinungen sind nicht zu befürchten. Der Offene Kanal ist sozusagen die 24-Stunden-Version des ORB-Aquariums – nur dass das Aquarium durch einen charakteristischen schwarzen Hintergrund ersetzt wurde und die Fische aufgrund der Farbarmut nicht ganz so bunt sind. Dafür können sie reden und sind nicht minder exotisch.

Wie die Theaterkritiker, die sich im Offenen Kanal Berlin zum „Spitzen Kreis“ zusammenfinden. Sie nutzen das Schutzschild der Kultur, um darunter einen Wettbewerb für ausgefallene Frisuren auszutragen. Der Sieger steht schon vorher fest: Es ist der Mann, dessen weiße Haarpracht zwei Gletscher darstellt, die von einer tiefen Schlucht getrennt werden.

Wer solche Extremitäten nicht sein Eigen nennt, muss dennoch nicht auf Sendezeit verzichten. Er hält seine V8-Kamera einfach auf jedes Ereignis von lokaler Bedeutung, das noch nicht vom kommerziellen Fernsehen ausgebeutet wurde (oder dafür schlicht zu uninteressant ist). Eine fünfstündige Theaterinszenierung zum Beispiel oder eine von Potsdamer Jurastudenten zur Veranschaulichung des späteren Berufsalltags dargebotene Gerichtsshow erfüllen diesen Zweck.

Etwas anstrengender ist die Variante „Werkschau“. Dazu bedarf es einer gewissen Vorarbeit. Am meisten Sendezeit erarbeitet hat sich der Maler im Offenen Kanal Berlin, den man niemals zu Gesicht bekommt. Seine linke Hand führt durch die verschiedenen Bände seiner Schaffenskraft, und er hat viele Bände vollgemalt in seinem Leben. Stundenlang darf er sie als Belohnung präsentieren und mit einer hypnotischen Schnodderstimme kommentieren: „Das ist ein Mann vor einem Haus.“ Und da, mitten in dieser 3-Stunden-Exhibition, passiert es plötzlich: Beim Durchblättern eines Bandes von 1986 blitzt kurz die ursprüngliche Idee des Bürgermediums auf. „Abrüsten für uns“, steht da, groß und deutlich. Verlegen entschuldigt sich der Urheber der Parole und blättert weiter: „Na ja, das war damals noch ein aktuelleres Thema.“ Wie wahr: Solche Inhalte haben im Offenen Kanal nichts mehr zu suchen.

Auch die Macher des Magazins mit dem etwas irreführenden Titel „Uniwut“ wissen das. Anstatt schwere Themen zu wälzen, geben sie in bester Harald-Schmidt-Manier launige Tipps, wie man beispielsweise das Event Castor-Transport möglichst unvergesslich gestaltet und veranstalten ihr „Konzernbashing“. Dabei verfremden sie Werbeanzeigen großer Unternehmen auf niveauvolle Art, meist, indem sie Wörter wie „nicht“ oder „Scheiße“ hinzufügen.

Die höchste Form von politischer Bedeutsamkeit erreicht der Offene Kanal beim „Uniwut“-Unterformat „Indymedia“. Der arglose Aquariumsfreund muss sich doch sehr anstrengen, sich nicht von dem „alternativen Medium in der Tradition Martin Luthers“ aus dem Konzept bringen zu lassen. Wer nicht aufpasst, saugt am Ende gar noch Informationen auf, die „Mainstreammedien wie der Tagesspiegel zum Beispiel“ angeblich vorsätzlich verschweigen.

Konkret sind das News darüber, wie „Indymedia“ organisiert ist und wie man auf der Webseite das findet, was man sucht. Außerdem erfährt man, dass die neue EU-Verfassung in Wahrheit eine Aufrüstungsvereinbarung und ein Aufforderung zum Kriegführen ist, was man ja so wirklich noch nicht wusste. Eine weitere Störerin der konzeptionellen Leere ist Dr. Noelle Solange Nzimegne, die morgens um elf für die Integration von Ausländern kämpft.

Glücklicherweise gehört sie einer Minderheit an. Denn Menschen mit Anliegen tummeln sich nur selten im Offenen Kanal.

Christian Hönicke

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