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Medien: Das Wunder von Saarbrücken

Kumpel-Drama à la Schimanski: Der kleinste „Tatort“ überrascht mit einer großen Geschichte

Fast hatte man ihn schon wieder vergessen: Maximilian Brückner als Kriminalhauptkommissar Franz Kappl, der jüngste „Tatort“-Kommissar aller Zeiten, seit 2006 Nachfolger von „Palu“ Jochen Senf im „Tatort“ des Saarländischen Rundfunks (SR). Das ist ja auch eine undankbare Programmplanung im Ersten. Manchmal fragt man sich, wer alles mitspricht bei der Entscheidung: Welcher „Tatort“ wann kommt. Anderthalb Jahre ist es her, dass Kappl seinen letzten Fall gelöst hat und damit die Figur des Neuen, des zugezogenen Bayern im Saarland bei den neun, zehn Millionen „Tatort“-Fans etabliert werden konnte. In dieser Zeit wurde viel über andere prominente Zugänge geschrieben, über Martin Wuttke und Simone Thomalla in Leipzig, Richy Müller in Stuttgart oder Mehmet Kurtulus, der als erster „Tatort“-Kommissar mit Migrationshintergrund in Hamburg ermittelt. Da muss sich der kleine SR im ARD-Verbund noch stiefmütterlicher vorgekommen sein, als er es mit dem einen „Tatort“ pro Jahr ohnehin schon tut.

Dafür lassen es die Saarbrückener heute so richtig krachen. Der „Tatort“ geht in den Untergrund. „Das schwarze Grab“ ist klassischer Detektiv-Krimi, Actionfilm, Familien- und Bergwerksdrama in einem. Eine der ungewöhnlichsten „Tatort“-Folgen seit langem. Dabei lag das Thema im Saarland so nah. Nach all den Zahnarztvillen und Derrick-artigen Geschichten aus der „Tatort“-Periode mit Jochen Senf sei der Bergbau „einfach mal dran gewesen“, sagt Schauspieler Gregor Weber. Kappls Kollege, Kommissar Stefan Deininger, ist aus der Zeit mit dem alten, gemächlichen Kommissar Palu übrig geblieben. Das hatte man ja auch schon fast wieder vergessen.

Genauso wie das Elend rund um die Bergwerksgruben. Die letzte Grube im Saarland wird in diesem „Tatort“ geschlossen. Ein makabres Fest unter Tage soll das traurige Ereignis mit Streichern, Politikerreden und kaltem Büffet verschönen. Gleichzeitig ermittelt Kommissar Kappl am Mord an einer jungen Bergmannsfrau, in der ein Eisen steckt, Teil des Bergmannswerkzeugs. Kappl lässt sich zur Zeugenbefragung in 1200 Meter Tiefe nach unten in die Bergwerksgrube fahren. Selten passte dieses Bild so gut: Es wird eine Fahrt, ein Blick in den Abgrund der menschlichen Seele zugleich. Plötzlich eine Gruben–Explosion, die Menschen sind eingesperrt. Unten gibt es noch einen Toten, einen Staatssekretär. Ein Mörder geht um, offenbar auch noch ein Verräter, der für die Explosion verantwortlich ist, und das unter Kumpels. Die Luft wird knapp …

Autor Thomas Kirchner hat sich viel vorgenommen. Es geht um Ehre, Bergmanns-Kodex, den Niedergang einer Region samt Diskurs über Strukturwandel, zwei Mordfälle, eine Bruderliebe, Vater-Sohn-Geschichte, Eifersuchtsdrama, dazu noch ein bisschen Dynamit, Action und Trash wie einst beim „Wunder von Lengede“. All das verdichtet sich mit den Eingeschütteten auf engstem Raum. Selten wurde es einem „Tatort“-Zuschauer vor dem Bildschirm so dunkel und eng. Während Neu-Bergmann Kappl mit den Kumpels auf Rettung wartet, führt der klaustrophobische, schwitzende Kommissar Kappl unter Tage seine Vernehmungen durch.

Eine grandiose Leistung der Regie (Gregor Schnitzler) und eine Paraderolle für Brückner. Der Schauspieler kommt von der Otto-Falckenberg-Schule in München, vom Theater. Das sieht man in jeder Szene. Brückner ist gewohnt, mit wenig Raum umzugehen und schon mal, wie er sagt, mit 40 Grad Fieber auf der Bühne zu stehen. Nicht nur wegen dieser Kumpelromantik – man muss an den frühen „Schimanski“ zurückdenken, um sich eines derart körperlichen Einsatzes eines deutschen TV-Kommissars gewärtig zu sein. „Wie die hier unter Tage ein Team sind, jeder für den anderen einsteht, mit ihrem Ehrenkodex, ihrer eigenen Sprache – das ist schon eine Welt für sich und hat mich tief beeindruckt“, sagt Brückner. Auch erstaunlich an diesem „Tatort“: Komparsen waren Bergleute aus der Region, mit oder ohne Arbeit.

Das Ganze geht natürlich gut aus. So anders ist der Saarland-„Tatort“ dann doch wieder nicht. Nach einem Shootdown in Bruce-Willis-Manier krabbelt ein anderer Kommissar Kappl ans Tageslicht: weniger nassforsch. Mit mehr Milde gegenüber dem Kollegen Deininger, den Kappl nur duzte, wenn er eine kleine Verächtlichkeit ausdrücken wollte. Jetzt lässt sich der Chef von Deininger in die nächste Bergbaukneipe schleppen. Es würde einen übrigens nicht wundern, wenn da Schimanski herumsitzt.

Im nächsten „Tatort“ wollen beide Kommissare aber wieder auf den alten Ton zurückgreifen: „Ich kann die ewige Harmonie zwischen anderen Kommissarsgespannen auf die Dauer nicht mehr ausstehen“, sagt Weber. Solch sture Kollegialität kommt unter „Tatort“-Kommissaren äußerst selten vor. Die Schenks und Ballaufs, die Batic’ und Leitmayrs, die Ritters und Starks, die Odenthals und Koppers, sie sollen nach ihrem Job gemeinsam gemütlich Currywürste essen gehen. Das erwartet der Fan. Nicht so beim Saarländischen Rundfunk. Die neben Radio Bremen wohl unbedeutendste Rundfunkanstalt der ARD, die ansonsten nur mit der Betreuung der „Tour de France“ auf sich aufmerksam macht, pflegt beim „Tatort“ weiter ihre Eigenwilligkeiten. Schade, dass man darauf wieder mindestens ein Jahr warten muss.

„Tatort“, ARD, 20 Uhr 15

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