zum Hauptinhalt

Debatte über Paid-Content-Modelle: „Die Politik ist der falsche Adressat“

Schluss mit gratis: Was Print- und Qualitätsjournalismus rettet. Ein Gespräch mit Medienforscher Stephan Ruß-Mohl

Herr Ruß-Mohl, was lehrt uns das Jahr 2009 über die Devise „Print goes online“?

Es lehrt uns, dass sich Qualitätsjournalismus nicht refinanzieren lässt, wenn er gratis online angeboten wird. Bislang haben die Abonnenten und Käufer, vor allem aber die Werbetreibenden, die in Print-Produkte „investiert“ haben, die Onlineangebote mitfinanziert. Aber als Zeitungsleser komme ich mir doch blöd vor, wenn ich online alles gratis kriege, was ich gedruckt kaufen soll. Selbst der Ex-Chefredakteur von „Time“ hat unlängst gestanden, dass er die „New York Times“ längst abbestellt hat, weil er nicht für Papier und Druckerschwärze bezahlen mag und die journalistischen Inhalte ja umsonst im Netz zugänglich sind.

Die Printverlage, nicht nur die deutschen, waren lange überzeugt, mit Onlinewerbung ließen sich die Onlineportale der Blätter finanzieren. Ist dieser Traum spätestens an Silvester 2009 ausgeträumt?

Ja, wer den amerikanischen Markt beobachtet, wusste das im Grunde schon 2008. Hubert Burda hat es jüngst auf den Punkt gebracht: Man kriegt nur „lausige Pennies“ für Onlinewerbung, weil das große Geschäft im Internet die Suchmaschinen machen, weil online Wettbewerb herrscht und die Medienhäuser ihre einstigen Monopol- oder Oligopolstellungen verloren haben und keine Preise mehr diktieren können. Und weil das gesamte Kleinanzeigengeschäft wegbricht: Bei Craigslist und Kijiji kann man außerdem online gratis Kleinanzeigen aufgeben, um sich eine neue Wohnung, einen Gebrauchtwagen oder eine Freundin zu suchen – und das nicht nur in den USA, auch in Berlin.

Zeitungen und Zeitschriften sind von mehreren Seiten unter Druck geraten. Die Anzeigenerlöse sind zurückgegangen, die Auflagen leiden, zugleich müssen die Onlineportale bezahlt werden. Reicht da die Hoffnung auf bessere Werbezeiten?

Nein, auch wenn die Hoffnung zuletzt stirbt. Das alte Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr.

Der Springer-Konzern will sich nicht länger mit der Gratiskultur im Internet abfinden. Seit kurzem testet er zwei Modelle: die überregionalen Blätter „Bild“ und „Welt“ als App für das iPhone, die regionalen Zeitungen „Berliner Morgenpost“ und „Hamburger Abendblatt“ als Paid-Content. Zwei Modelle – ein Erfolg?

Das bleibt abzuwarten. Den ersten Schritt muss natürlich ein großes Haus wie Springer tun. Spannend ist, ob die anderen Anbieter von Qualitätsjournalismus schnell nachziehen werden – und ich empfehle ihnen nachhaltig, das zu tun.

Laut einer aktuellen Umfrage sind gerade mal neun Prozent der Deutschen bereit, überhaupt für Informationen im Netz zu bezahlen. Können Verlage deswegen nur im Trial-and-Error-Verfahren herausfinden, wofür und wie viel Nutzer für journalistische Inhalte ausgeben wollen?

Auch ich würde natürlich gerne weiterhin gratis online meine Lieblingszeitungen lesen, und in Umfragen behauptet deshalb jeder, dass er für Online-Content niemals bezahlen würde. Kluge Marktforscher stellen solch blöde Fragen erst gar nicht. Trial and Error ist wohl der einzige Weg, herauszufinden, was funktioniert. Wichtig wäre allerdings wohl auch mehr Aufklärung über den Medienbetrieb. Qualitätszeitungen, die die Berichterstattung über Journalismus und Medien vernachlässigen, sind selbst daran schuld, wenn ihre Leser keine Qualitätsmaßstäbe haben und gar nicht wissen, weshalb guter Journalismus Geld kostet.

Hinter einer Zahlschranke, hinter einer Paid-Content-Mauer sinken die Reichweite und die Relevanz eines Mediums, behauptet US-Medienwissenschaftler Clay Shirky. Stimmt diese These?

Ich befürchte eher, dass Medien, die alle erreichen wollen, ihre Identität und ihre Qualität preisgeben. Aber irgendwie entscheiden zwischen Masse und Klasse müssen sich auch Medienunternehmen …

Wer hat die größeren Chancen auf Refinanzierung: Printjournalismus online oder Onlinejournalismus ohne Print-Backup wie huffingtonpost.com?

So lange, wie die „Huffington Post“ für die Inhalte, auf die sie verlinkt, und für die prominenten Blogger, die für sie tätig sind, nicht bezahlen muss, ist sie das erfolgsversprechendere Modell. Schlanke eigene Redaktion – und möglichst viel free riding auf Kosten Dritter, ökonomisch funktioniert das wohl schon.

Verleger Alfred Neven DuMont hat die Politik dringend zum Handeln aufgefordert. Was kann die Politik wirklich tun? Die Mehrwertsteuer vom ermäßigten Siebenprozentsatz auf null runterfahren?

Die Politik ist der falsche Adressat – bis auf die Tatsache, dass der hoch subventionierte öffentlich-rechtliche Rundfunk natürlich online zu einem gefährlichen Wettbewerber der privaten Medienhäuser wird. Da muss die Politik wohl handeln, aber wohl eher indem sie die Onlineaktivitäten der Öffentlich-Rechtlichen drosselt, als dass sie neue Milliarden ausschüttet, um auch Zeitungsverlage aufzublähen und durchzufüttern.

Sie haben dieses Jahr in den USA geforscht, speziell über den Printmarkt. Ist die Entwicklung tatsächlich so desaströs?

Ja, leider. Ich habe im Übrigen das Gefühl, dass die Nachrichten aus den USA in ihrer vollen Tragweite noch gar nicht angekommen sind, respektive man sie nicht so richtig wahrhaben will. Was in Amerika bereits an der Tagesordnung ist: Redaktionen werden halbiert, selbst große Zeitungen wie die „Chicago Tribune“, die „Los Angeles Times“, der „Philadelphia Inquirer“ sind pleite.

Zukunft des Qualitätsjournalismus: Sind Sie da pessimistisch oder optimistisch?

Optimistisch, weil wir ihn dringender denn je brauchen. Pessimistisch, wenn es den Medienhäusern nicht gelingt, trotz all ihrer Medienmacht und ihrem direkten Zugang zur Öffentlichkeit uns alle davon zu überzeugen, dass unabhängiger Journalismus sein Geld wert ist, und dass er nur dann unabhängig bleiben wird, wenn wir selbst – und nicht der Steuerzahler und auch nicht wohlmeinende Stifter – für ihn bezahlen.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

Stephan Ruß-Mohl: Kreative Zerstörung. Niedergang und Neuerfindung des Zeitungsjournalismus in den USA. 284 Seiten, 29,90 €. Konstanz: UVK 2009

Zur Startseite