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Medien: Dem Tod so nah

Der Film „September“ zeigt, wie Menschen in Deutschland auf den Terroranschlag in New York reagieren

Die Zwillingstürme von Manhattan – das waren wir alle, war unsere seelische Verfassung, unsere Selbstsicherheit, unsere Lebensfreude, unser Alltagsbewusstsein. Die Flugzeugbomben der Al Qaida donnerten mitten hinein. Eine überzogene These? Eine triviale Feststellung? Nicht, wenn sie so bewiesen und bildmächtig demonstriert wird wie in Max Färberböcks Film „September“.

„Plötzlich ist der Tod so nah“, sagt die Maklergattin auf dem Elternabend. Sie sagt auch: „Alle Menschen glauben, dass nur sie im Recht sind.“ In normalen Zeiten kommen wir irgendwie damit klar, dass wir sterblich und das wir verschieden sind, aber wenn ein Anschlag wie der von 9/11 uns zwingt, das Verhängnis zur Kenntnis zu nehmen, wandeln sich die Prioritäten und alles, die Geschäfte, die Liebe, die Arbeit, die Ehe, alles wird in eine veränderte Beleuchtung getaucht. Und die Routinen des Alltags lösen sich in albtraumhafte Menetekel auf, unter deren so bedrohlicher wie geheimnisvoller Botschaft sich nichts mehr von selbst versteht.

Der Börsenhai verliert Millionen und entdeckt plötzlich seine Familie, ein verschuldeter Polizist muss erkennen, dass sein Ami-Schlitten, den er abstoßen wollte, von jetzt auf gleich wertlos ist. Die hochschwangere Freundin eines Pakistani wartet vergeblich darauf, dass der Vater ihres Kindes, der brav mit ihr zum Geburtsvorbereitungskurs geht, ein Wort des Bedauerns für die Opfer findet. Und ein Journalist ist für niemanden mehr zu sprechen, weil er die ultimative Amerika-Schelte verfassen muss, die dann keiner drucken will.

In allen nach Short-Cuts-Manier nebeneinander und teilweise auch aufeinander zu geführten Episoden kommt es zu Gewaltausbrüchen – die Bomben des Terrors zünden sozusagen im Kleinformat wieder und immer wieder. Der Börsenhai muss sich von einem ruinierten Investor an der Hemdbrust packen lassen; der Bulle wütet gegen die Dingwelt, weil er sein Auto nicht los wird; der offenbar mit dem Terror sympathisierende Pakistani fordert mitten im friedvollen Schwangerenkurs einen Co-Vater zum Zweikampf heraus; und der Journalist verwüstet das Büro seines Chefredakteurs. Und dann die Kinder. Sie laufen von Zuhause weg, verstört und verzweifelt, weil sie die Angst riechen, die in der Luft hängt. Wie ein Katalysator bringt der Terroranschlag die Furcht, den Hass und die Leidenschaften zum Glühen; aus dem Alltagstrott wird ein Drama mit täglich neuen niederschmetternden Wendungen.

„September“ verdient volle Aufmerksamkeit und große Anerkennung nicht nur wegen der Idee, der multiplen Story und der überzeugenden Charaktere, sondern vor allem wegen der Umsetzung. Mit sämtlichen technischen Mitteln wird gearbeitet: Splitscreen und Slowmotion, mit atemberaubendem Schnitttempo, mit der dumpfen Stille des schwarzen Bildschirms, mit gewagten Kameraeinstellungen und Schwindel erregenden Überblendungen von Dokumentar- und Spielmaterial hat Färberböck die Umwälzung technisch nachvollzogen, die 9/11 in Herzen und Hirnen seiner Filmfiguren ausgelöst hat.

Dabei hat er einen Erzählrhythmus entwickelt, der von bedrückenden Ruheinseln aus in Kaskaden wüster Schocksequenzen führt, ohne dem Zuschauer die Orientierung zu rauben. Das oft wiederholte „Nichts-ist-mehr-wie-es-war“ gewinnt in diesem Film und durch ihn eine bestürzende Evidenz.

„September“, 22 Uhr, ZDF

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