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Medien: Der älteste Krimi der Welt

Ötzis Leben und Tod als wirkungsvolles Dokudrama „Mord im Eis“

Ein markantes Gesicht, lange, blonde Haare, ein kräftiger Vollbart, blaue Augen – so also sah Ötzi aus? Zumindest dass er blaue Augen hatte wie Schauspieler Mark Noble, den die Produzenten von „Mord im Eis“ in die Rolle des vor rund 5300 Jahren gestorbenen Steinzeitmenschen schlüpfen ließen, gilt als sicher. Im September 1991 fanden zwei Bergsteiger eine im ewigen Eis der Ötztaler Alpen konservierte Mumie – „ein Diamant für die moderne Menschheitsgeschichte“, sagt Archäologe Tom Loy. Kleidung, Ausrüstung, Tätowierungen, Verletzungen, Mageninhalt: Die Leiche des als Mittvierziger verstorbenen Mannes erwies sich als Fundgrube für die Wissenschaft und, nebenbei, auch als eine Touristenattraktion im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen.

Wer war Ötzi? Wie lebte er – und wie starb er? In dem Dokudrama „Mord im Eis“ der britischen Produktionsfirma Dangerous Films („Im Reich der Urmenschen“) wird im Stile der populären „CSI“-Krimis „der älteste Kriminalfall der Welt“ verhandelt. Die Indizien für drei Szenarien werden nacheinander diskutiert: Ötzi als Schafhirte, der in den Bergen von einem Wettersturz überrascht wurde; Ötzi als umherziehender Händler, der einem Mord zum Opfer fiel; Ötzi als bei einem Kampf verwundeter Siedler, der in die Berge floh. Seltsam wirkt zwar, dass die ersten beiden Theorien gleich wieder verworfen werden, aber die Fernsehdramaturgie folgt dem Verlauf der wissenschaftlichen Diskussion.

Erst 2001 waren eine Pfeilspitze in Ötzis Schulter und weitere Verletzungen entdeckt worden. Auch Blutspuren von vier verschiedenen Menschen an Waffen und Kleidung lassen annehmen, dass der Steinzeitmensch nicht allzu lange vor seinem Tod in einen Kampf verwickelt war. Es zeigt sich erneut, dass der tiefgefrorene Tiroler ein prächtiges Futter für die modernen Massenmedien abgibt. Schon der Boulevardpresse hat Ötzi zahlreiche Schlagzeilen beschert, nun ergötzt sich auch das Fernsehen wirkungsvoll an den Rätseln um seine Existenz.

Bei „Mord im Eis“ funktioniert dies ähnlich wie bei den „CSI“-Krimireihen, die auch deshalb so erfolgreich sind, weil sie die Zuschauer mit den Details der akribischen Aufklärungsarbeit verblüffen. „Da schau her“, dieses Gefühl stellt sich hier ebenfalls ein: Nach über 5000 Jahren lässt sich sagen, wo Ötzi sein Trinkwasser zu sich genommen hat, wie alt er war, was er zuletzt gegessen hat, wie oft er in seinem Leben bettlägerig war, was ihn chronisch plagte (Arthritis) und wie er sein Leiden behandelte – mit einer frühzeitlichen Form von Akupunktur. Einige der wichtigsten Ötzi-Forscher haben sich vor der Kamera versammelt, um die bisher gewonnenen Erkenntnisse über die älteste Mumie der Welt vorzustellen.

Zugleich wird das Leben in einem Dorf der Kupfersteinzeit aufwändig und einigermaßen ansehnlich inszeniert. Vor allem in den durch Fundstücke gesicherten Details hat dies beinahe dokumentarischen Wert: Zu sehen ist etwa, wie Ötzi vor seiner letzten Reise die mit Heu ausgestopften Schuhe überstreift, wie er die Gefäße aus Birkenrinde, gefüllt mit Blättern vom Spitzahorn und mit Holzkohle, einpackt und die Tierfelle überwirft. Auch vom sozialen Leben unserer Vorfahren haben die Wissenschaftler einige klare Vorstellungen, und so kann das Fernsehen mit halbwegs ruhigem Gewissen Ötzis Leben im Steinzeitdorf ausschmücken. Allein die Tatsache, dass Ötzi eine damals noch seltene Kupferaxt mit sich trug, lässt darauf schließen, dass er eine herausragende Position innehatte. Zur Stellung der Frauen erfährt man ebenfalls einiges, also darf eine kleine Liebesgeschichte nicht fehlen. Ohne „Sex and Crime“ geht es auch im Steinzeitfernsehen nicht.

Dass Regisseur Richard Dale in dieser Koproduktion von BBC, Discovery Channel, Pro 7 und France 2 die Fabulierlust packt, entspricht dem Trend solcher prähistorischer Dokudramen. Das Ergebnis ist achtbar, aber nicht durchgehend überzeugend. Manche Bilder und Figuren sind wohl allein der Fantasie entsprungen. Und selbst wenn es als sicher gilt, dass sich Ötzis Zeitgenossen bereits durch Sprache miteinander verständigten, sollte man besser auf brummende Schauspieler in Tierfellen verzichten.

„Mord im Eis“, Donnerstag, Pro 7,

20 Uhr 15

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