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Medien: Der Altersweise

Johannes B. Kerner traf den "Parteisoldaten" Helmut Kohl (so nannte er sich selbst) in einer guten Stunde und in einer guten politischen Stimmung.

Johannes B. Kerner traf den "Parteisoldaten" Helmut Kohl (so nannte er sich selbst) in einer guten Stunde und in einer guten politischen Stimmung. Kohls Rat ist wieder gefragt, er hat Angela Merkel beraten, bevor sie, den Zwang der Verhältnisse vor Augen, Edmund Stoiber die Kandidatur zum Frühstück anbot - und alles ist für die CDU/CSU bestens gelaufen. Und so sitzt Kerner ein Helmut Kohl mit großer Gelassenheit gegenüber, ruhig, in sich ruhend, entspannt und doch angespannt und voller Neugier - ein Wahlkampf-Erfahrener, der die Chance des Sieges wittert, der ahnt, dass es zum ersten Mal seit Jahren wieder "fifty - fifty" steht, mindestens, mit steigender Tendenz.

Und zum ersten Mal freut er sich, oder besser: ist er zufrieden, obwohl die Zukunft mit ihm persönlich nichts mehr zu tun hat. Und wenn er sagt, dass er 72 sei, dann klingt das weder kokett noch resignierend oder gar wehleidig, sondern sachlich "so ist es".

Und der massige Mann sitzt da, zurückgelehnt, seine Miene bleibt ruhig, er hört zu, lauert nicht, wie früher, misstrauisch auf die Fragen, sondern wägt sie ab: keine vorgestanzten Antworten, keine Winkelzüge, kein taktisches Hakenschlagen: Der Kohl, der in jedem Interview-Ansinnen eine Kriegserklärung sah, auf die es galt, loszugehen wie auf den Eierwerfer in Halle, der Kohl, der sein Gegenüber einfach qua Masse zu erdrücken suchte, dieser Kohl scheint der Einsicht des Alters gewichen.

Wer mit guten Gründen meint, das Altwerden, das Älterwerden, sei nur ein Fluch, man werde allein gelassen mit seinen Gebrechen, mit seinem Verlassensein, einer wachsenden Einsamkeit, einer Sentimentalisierung des "Früher" - hier, bei Kohl, sah er sich eines Besseren belehrt. Hier weiß einer, was er erlebt, bewegt, geleistet hat. Und so erlebt er das neue Jahr, voll Freude und Stolz über den Euro und dass er so angenommen wurde - allen Unkenrufen zum Trotz. Da zeigt sich der "Altkanzler" ("Langzeitkanzler" nannten mich die "Hamburger", spottet er) zufrieden, da ist er stolz, und doch verschweigt er nicht, dass er Silvester zum ersten Mal ohne seine Frau war, ohne Hannelore. Ein Witwer, ein Hinterbliebener.

Er ist, bei all seiner Gelassenheit, dem Tod zwar nicht nah, aber sich des Todes bewusst. Er hat ihn erlebt bei Willy Brandt - ihr "Freund?", fragt Kerner: "Wir waren auf dem Weg dorthin" -, der sich für "seinen Bundeskanzler", obwohl sterbenskrank und selber ehemaliger Kanzler, noch einmal anzog, aus Respekt vor der demokratischen Institution. Er hat ihn bei Mitterand erlebt.

Er hat ihn bei seiner Frau erlebt. Es sind die ergreifendsten und bewegendsten Momente dieser Sendung, wobei Kohl nie auf die Tränendrüse drückt, obwohl er selbst für einen Augenblick seiner Tränen nicht Herr wird: Wie er seine Ehe schildert, wie beide für den Hausbau schuften mussten, wie sie ganz selbstverständlich als Mutter zu Hause blieb, wie er stolz auf sie war, besonders im Ausland, besonders in Frankreich, wo sie, die ausgebildete Dolmetscherin, seinen Freund Mitterand allein schon sprachlich eroberte. Wie sie ihm mit ihrer Menschenkenntnis half, wie sie sich stumm verständigten über andere. Ohne sie wäre er nie Kanzler geworden, und sie hat mit Alleinsein bezahlt, dass er es wurde: Kohl beschreibt es sachlich, voller Liebe und Trauer, frei von falscher Zerknirschung - er macht noch einmal klar, dass seine Generation im Nachkrieg eine große Lücke übersprang und füllte, die von allen Traditionen und schrecklichen Erfahrungen (dem Krieg, dem Bombenkrieg) bestimmt war. Die Passagen über seine Frau und den Verlust seiner Frau sollte man sich beim "Stern" von Zeit zu Zeit vorspielen: als Warnung zur Besonnenheit vor dem politischen Gegner.

Insofern war Kohl eine Lehrstunde eines Deutschland, das ein demokratisches Gemeinwesen ist, wie Kohl denn auch voller Respekt von seinen politischen Gegnern sprach und die Einheit als Resultat der Arbeit aller seiner Amtsvorgänger sah. Da hatte er Respekt, Ärger hatte er mehr mit Parteifreunden. Kohl, ganz Realist, weiß auch warum, weil die über ihn zu Recht dachten: "Der sitzt und sitzt und ist immer noch da."

Nur einmal wurden Kohls Augen unruhig wie früher und huschten voller Bosheit hin und her. Als er sich über Kanzler Schröder mokierte und wie der den Euro als sein Verdienst einheimsen wolle. Da war er wieder, für einen Augenblick, im Wahlkampf, auf den er sich freut, wenn auch aus Distanz. Denn nichts macht dem Machtmenschen so viel Spaß wie die Aussicht aufs Gewinnen.

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