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Der Ball ist ECKIG: Sehnsucht nach dem Bolzplatz

Pöttlerisch, das ist die wahre Sprache des Fußballs, ne?

Normalerweise haben Fernsehleute keinen Akzent. Das lernen sie ja schon in der ersten Klasse der Fernsehschule. Ausnahme: Manche Fußballkommentatoren kultivieren Anklänge eines Kohlenpottakzents. Das ist bestimmt deshalb gestattet, weil es so gut zu dieser Sportart passt. Jedenfalls erinnert es an die Anfänge des Fußballs im Ruhrgebiet, vor dem Aufstieg vom Steiger-Sport zum Fest für die Welt. Und weil die Menschen Erfolgsstorys lieben, ist es nicht nur gestattet, sondern sogar erwünscht, daran mit Hilfe der Sprache subtil zu erinnern. Fußball, das war der Erholungssport junger Bergleute, das war Tageslicht gegen das Dunkel des Pütts.

Damals rümpften die Etablierten noch die Nase und fanden, das sei ein Prollsport. Das war sogar nach 1954 noch so. Der Pott hat sich längst zur Kulturlandschaft gewandelt, aber die Sprache ist erhalten geblieben. Sie steht für Erdverbundenheit, Heimatgefühl, Understatement, grundsoliden Lokalpatriotismus und einem herzlichen Humor mit Akzenten von Selbstironie. Diese Mentalität des Ruhrgebietlers hat den Sport in seinen frühen Jahren geprägt. Vieles davon ist dem Fußball abhanden gekommen, seit er zum Popstar unter den Sportarten wurde und auch die Arrivierten fasziniert.

Vielleicht ist es die Sehnsucht nach dieser schönen alten Bolzplatzwelt, die mitschwingt, wenn ein Moderator im breitesten Pöttlerisch die Spielzüge analysiert. Vielleicht muss es wenigstens gelegentlich ein Kontrastprogramm geben zur Lifestylekomponente des Sports, vertreten durch den immer vorbildlich adretten Joachim Löw und seinen zum ewigen Partnerlook verdonnerten Kotrainer. Mag Fußball heute auch ein Lifestylethema sein, das seine Helden in den Himmel hebt und dort auch schnell verglühen lässt. Er kommt aus einer Welt, in der man loyal war und treu. Daran muss gelegentlich erinnert werden. Zur Not mit diesem Gänsehautakzent. Elisabeth Binder

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