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Medien: Der falsche Horst

Wie Horst so da steht in der bunten Fernseh-Kulisse, erinnert er an US-Präsident Bill Clinton. Neben ihm steht ein hübsches Mädchen, das sagt: "Horst hat mich befummelt.

Von Barbara Nolte

Wie Horst so da steht in der bunten Fernseh-Kulisse, erinnert er an US-Präsident Bill Clinton. Neben ihm steht ein hübsches Mädchen, das sagt: "Horst hat mich befummelt." Ihm gegenüber die Moderatorin Nicole. Unduldsame Miene. Der Kenneth Starr des Nachmittagsfernsehens. Starr war der Sonderermittler in der Affäre Clinton/Lewinsky. Mit der linken Hand schwenkt Nicole die Unterhose des Mädchens samt Sperma-Spuren durch die Luft, mit der rechten das Ergebnis des DNA-Tests. "Du hast noch einmal die Chance, dich zu reflektieren!", sagt Kenneth Starr. Und während man sich noch wundert, dass dieser so intellektuell aussehende Mann Horst heißen und ein Mädchen sexuell belästigt haben soll; während man sich wundert, dass neuerdings offenbar die Mittelschicht ihre Abgründe in Nachmittags-Talkshows vorführt, was bislang fast ausschließlich die Unterschicht machte, kommt die Einblendung: "Die vorgestellten Fälle und Personen sind frei erfunden."

Seit Anfang Oktober überschreitet die Pro 7-Talkshow "Nicole - Entscheidung am Nachmittag" in manchen Folgen eine Grenze, die Medienkritiker in dem Genre noch nie so klar gezogen sahen: Die Geschichten stimmen so nicht. Die Kandidaten auf der Bühne sind Schauspieler. Und Horsts DNA-Test-Überführung ähnelt nicht zufällig der von Bill Clinton. Die Redaktion hat sich wohl vom prominenten Vorfall inspirieren lassen.

Pro-7-Specherin Diana Schardt hat keinerlei Bedenken wegen der "gefakten" Talkshow. "Bei den Gerichtsshows, die es neuerdings am Nachmittag gibt, ist es doch genauso." Ulrich Hansbuer, der die Sat 1-Talkshows "Vera am Mittag" und "Peter Imhof" produziert, findet den Vergleich mit den Gerichtsshows unzulässig: "Denen bleibt ja nichts anderes übrig. Bei Strafrechtsprozessen darf eben nicht gefilmt werden." "Nicole" mache hingegen mit ihren fiktionalen Sendungen "das ganze Format kaputt". Hansbuer und andere Produzenten haben lange gegen Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit gekämpft, die ihnen so genannte Talkshow-Hopper wie Oliver von Geldern einbrockten. Der plauderte erst bei "Arabella" über verwöhnte Frauen, dann bei Ilona Christen zum Thema: "Warum sind alle neidisch auf mich?" Und am Ende plauderte er alles in der Presse aus. Hansbuer lässt heute alle Gäste einen Vertrag unterschreiben, dass sie im letzten halben Jahr in keiner anderen Talkshow aufgetreten sind. Und wer vor der Kamera lügt, wird angezeigt. "Authentizität", sagt er, "ist das Wichtigste für uns."

Warum gibt "Nicole" dieses Prinzip so einfach auf? Sind der Redaktion etwa die echten Fälle ausgegangen? Natürlich nicht, sagt Pro-7-Sprecherin Diana Schardt. Hier würden die Geschichten verwertet, die die Redaktion über die Jahre erfahren hat, für die aber keiner vor der Kamera einstehen wollte. Die "Nicole"-Drehbücher muss man sich als ein Patchwork daraus vorstellen. "Kein Betroffener soll sich wieder erkennen", sagt Schardt. Die RTL-Talkerin Bärbel Schäfer erkennt darin eine Methode, den Jugendschutz zu umgehen. Denn 13-, 14-Jährige dürfen nur unter großen Einschränkungen im Fernsehen befragt werden. "Nicole" ersetzt sie durch Laienschauspieler - schon können drastische Kinderschicksale dargestellt werden. Für ihre eigene Sendung hält das Bärbel Schäfer aber für keine Option: "Die Wahrheit ist doch immer spannender als das, was man sich ausdenken kann."

Beispiel: "Sex mit dem Freund der Tochter" - eine Tragödie zwischen zwei Werbeblöcken. Die Darsteller: Sabine, ihr Freund - zwei hübsche Mittzwanziger, Typ Student. Der Gaststar: Hildegard, die Mutter, eine blonde Angela Merkel. Hildegard schwärmt: "Er ist die Liebe meines Lebens." Sabine stöhnt: "Aber sie ist meine Mutter!" Und der Freund sagt bloß: "Sabine, Du und ich, wir sind zwei Welten." So stellt es sich also die "Nicole"-Redaktion vor, wie es ist, wenn die Mutter der Tochter den Freund ausspannt.

"Ob die Zuschauer das neue Format akzeptieren?", fragt sich der Medienpsychologe Uwe Hasebrink vom Hamburger Hans-Bredow-Institut. "Bisher standen die Daily-Talk-Geschichten doch immer unter dem Motto: Die sind wahr." Dabei fasst Hasebrink den Begriff Wahrheit sehr weit: "Dass da an manchen Tagen Selbstdarsteller vorne stehen und irgendwelche Geschichten erzählen, ist den Zuschauern sehr wohl bewusst." Seine Kollegin Sabine Trepte findet sogar, dass die Unsicherheit darüber, was stimme und was nicht, den "Sehspaß" der Shows ausmachten. Bei "Nicole" hat sich das Raten erübrigt.

Pro-7-Sprecherin Schardt hat ein Argument gegen solche Zweifel: die Quoten. Die Folge vom 29. Oktober mit Horst hatte exakt eine Million Zuschauer. Eine authentische "Nicole"-Sendung kommt durchschnittlich auf 600 000 bis 700 000. Künftig, so der Sender, werden alle Folgen fiktional sein.

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