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Der fesche und freche Albert Göring (Barnaby Metschurat, l.) brachte seinen Bruder Hermann (Francis Fulton-Smith) immer wieder aus der Fassung.

© NDR/Vincent TV/Beate Wätzel

"Der gute Göring": Wohltäter ohne Glück

Er rettete Juden, hasste Nazis und war doch von seinem Bruder Hermann abhängig – ein ausgezeichneter Film über den „guten Göring“ Albert.

Der Dicke stand immer im Licht der braunen Öffentlichkeit. Ein Wanst in weißer Uniform. „Links Lametta, rechts Lametta, in der Mitte immer fetter“, spotteten die Regimegegner, bis ihnen im Konzentrationslager das Lachen ausgetrieben wurde. Hermann, der Berserker, trug Jagdflinte, Marschallstab und Orden auf der Brust, als käme er gerade von der Operettenbühne. Die Nazi-Propaganda stilisierte das Erste-Weltkrieg-Fliegerass als volkstümliche Version des braunen Asketen Hitler – mit blonder Frau (Ex-Filmstar Emmy Göring als „erster Frau des Reiches“) inmitten protziger Landsitze mit zusammengestohlenen Kunstwerken. Ein Traumpaar, passend zu den Sehnsüchten brauner Kleinbürgerlichkeit, schöner Schein, hinter dem sich Nazibrutalität verstecken ließ.

Noch in Nürnberg spielte er Hitlers Mordgesellen bühnenreif

Nicht nur der dicke Hermann, auch seine Emmy hatten sich häuslich im Propaganda-Nobelheim eingerichtet. Alles Theater. Noch in Nürnberg, beim Kriegsverbrecherprozess, spielte er Hitlers Mordgesellen bühnenreif und gab den unschuldigen Märtyrer inklusive dramatischem Abgang: Er entzog sich durch Selbstmord dem Strang. Emmy blieb trotz alliierter Bestrafung ganz „Hohe Frau“ und ließ 1967 in der Zeitschrift „Quick“ ihr schönfärberisches Buch „An der Seite meines Mannes“ abdrucken. Es gab Kritik, aber das Bild des gemütlich- glamourösen Hitlerhelfers wich nicht aus den Hirnen der Öffentlichkeit.

Spät ergab sich die Möglichkeit, den selbst ernannten Renaissance-Fürsten im Reich des Schreckens auch vor der nicht wissenschaftsinteressierten Öffentlichkeit zu entlarven. Der aus dem australischen Sydney stammende Historiker William Hasting Burke erforschte, angeregt durch seine BBC-Dokumentation, die Rolle des bis dato weitgehend unbekannten Hermann-Bruders Albert Göring. 2013 erschien sein Buch auf Deutsch und siehe: Der studierte Bruder des charakterlosen Hermanns war das genaue Gegenteil des feisten Hitlerspezis. Er rettete Juden, er äußerte seinen Hass auf das Regime, er verbat sich den Hitlergruß im Büro. Die Angehörigen der zahlreichen von Albert Geretteten setzten sich zeitlebens für ihren Helfer ein. In der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem läuft ein Verfahren, Albert Göring als „Gerechten unter den Völkern“ anzuerkennen.

Fiktionale Szenen voller Erklärkraft

Welch eine Chance tat sich da auf, den Kampf von Gut gegen Böse historisch einigermaßen abgesichert als fiktives Kammerspiel über einen Bruderzwist zu schildern. Begegnungen zwischen dem 1893 geborenen Hermann und seinem jüngsten Bruder Albert (1895–1966) sind historisch belegt. Der Norddeutsche Rundfunk (NDR) griff zu. Regisseur Kai Christiansen („Ein blinder Held – Die Liebe des Otto Weidt“) als behutsamer Inszenator ergreifender Nazi-Tragödien ausgewiesen und die Drehbuchautoren Jörg Brückner und Gerhard Spörl schufen ein kluges Dokumentationsspiel.

Den kleineren Teil des Films füllen historische Wochenschauaufnahmen und Aussagen von Zeitzeugen. Die fiktionalen Szenen überwiegen. Sie sind voller Erklärungskraft. Da vibriert es unter dem Eis der Etikette. Der braune Paladin ringt mühsam nach Fassung, wenn der fesche und freche Bruder Albert, ein Frauenschwarm, wider die Amoral der Judenverfolgung stichelt, das kriegslüsterne Gehabe der braunen Bonzen verulkt, Hermanns sklavische Unterwerfung unter seinen Gott Hitler aufspießt.

Albert darf es nicht zum Bruch mit seinem Bruder kommen lassen

Allerdings muss sich Albert in Zurückhaltung üben, darf Hermann reizen, aber es nicht zum Bruch kommen lassen. Er braucht den Namen seines mächtigen Bruders, um bei seinen riskanten Aktionen als Manager eines jüdischen Filmproduzenten in Wien und später als Exportdirektor der kriegswichtigen tschechischen Skoda-Werke der Verfolgung durch den NS-Sicherheitsapparat zu entkommen. Im Reich der Amoral muss sich auch der Moralist gelegentlich der Einschüchterung durch die vermeintliche Nähe zum bösen Bruder bedienen. Auch wahr, dass Hermann den aufmüpfigen Albert das eine oder andere Mal rettete.

Es ist das große Glück des Films, dass Barnaby Metschurat („KDD“, „Helen Dorn“-Krimi) den guten Göring spielt und Francis Fulton-Smith (der grandiose Franz-Josef-Strauß-Darsteller im Film über die „Spiegel“-Affäre) den bösen Hermann. Metschurat verliert nie ganz den spöttischen Zug um den Mund. Jede seiner kleinen Gesten vermittelt Fassungslosigkeit über die sittliche Verkommenheit seines Bruders.

Ein beeindruckendes Kain- und Abel-Duell

Fulton-Smith lässt hinter allem Reichsjägermeister- und Ordensgepränge in entlarvenden Großaufnahmen (Kamera: Jan Kerkhart) nicht selten die Gesichtszüge entgleiten. Dann schaut er glasig – ein von der eigenen Macht selbstbesoffener kindischer, aber immer gefährlich bleibender Verlorener, der zur Hölle fahren wird und keines Mitleids wert ist.

Eine Szene des ungleichen Kain-und Abel-Duells ist besonders beeindruckend: Wenn Hermann in der nach seiner ersten Frau benannten Protzburg Carinhall den damals populären Filmstar Henny Porten (Natalia Wörner) zu bezirzen versucht. Unterstützt von seiner törichten Emmy (Anna Schudt) wird deutlich, was das Getue soll: Hermann will die Porten, wegen ihres jüdischen Mannes in Ungnade gefallen, elegant entsorgen. Porten-Darstellerin Wörner gibt mit langen verzweifelten Blicken zu verstehen, dass sie das erniedrigende Manöver durchschaut. Der ebenfalls eingeladene gute Göring-Bruder Albert „rettet“ die Situation und bietet der Porten ein Engagement in seinem Wiener Studio an. Ein ritterlicher Akt angesichts eines gnadenlosen Antisemitismus, der sich hinter elegantem Ambiente und pseudoliberaler Weltläufigkeit verstecken will. Hermann lügt großspurig: „Wer Jude ist, bestimme ich.“

Er gibt dem Bruder einen letzten Befehl

Noch einmal begegnen sich die Brüder. Kurz vor dem Nürnberger Prozess in einem Augsburger Gefängnis: Die Alliierten verhören den Feldmarschall, der Bruder Albert sitzt auch dort ein. Die Siegermächte misstrauen der Geschichte des integren Bruders. Hermann verabschiedet sich – unbelehrbar selbst auf dem Weg zum Ende – und gibt dem Bruder den letzten Befehl, er solle sich um Emmy und die gemeinsame Tochter kümmern. Albert sagt widerstrebend zu. Diese Bruderschaft ist immer Knechtschaft.

Großer Lohn ist dem Wohltäter im weiteren Leben nicht vergönnt. Von den misstrauischen West-Alliierten in die Tschechoslowakei überstellt, wird er zwar dank des Zeugnisses der von ihm vor Nazi-Verfolgung Geretteten freigesprochen, aber zurück in Deutschland stirbt der mutige Helfer Albert Göring 1966 verarmt in München. Witwe Emmy konnte sich selber helfen.

- „Der gute Göring, ARD, Sonntag, um 21 Uhr 45

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