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Medien: Der König, der zuhört

Von Larry Zeiger zu „Larry King Live“: Der US-Talkmaster wird heute 70

Rein statistisch gesehen hat er die oberen Zehntausend schon viermal durch. Mehr als 40 000 Interviews, errechneten die Programm-Macher des amerikanischen Nachrichtensenders CNN, führte Talkmaster Larry King in seiner mittlerweile 46 Jahre währenden Karriere bei Funk und Fernsehen. Heute wird „der König, der zuhört“ („Time Magazine“) 70 Jahre alt – und geht seiner üblichen Beschäftigung nach. Auf dem Programm steht ein Gespräch mit dem Talkmaster und Schauspieler Regis Philbin. Am nächsten Tag dann Nelly Connally, der einzige noch lebende Fahrer aus der Motorradkolonne, die Präsident John F. Kennedy bei seinem Besuch in Dallas schützen sollte. Und sobald sie ihren Schnupfen überstanden hat, natürlich auch Jessica Lynch, die neue Anti-Kriegs-Heldin der US-Medien.

So geht das fünf Tage die Woche, jeweils eine Stunde lang von 21 bis 22 Uhr New Yorker Zeit. Im Juni 1985 strahlte CNN das erste Mal „Larry King Live“ aus, und mittlerweile hat der Bariton aus Brooklyn in seinen Hemdsärmeln und mit den auffälligen Hosenträgern längst Fernsehgeschichte geschrieben. Kein US-Präsident seit Gerald R. Ford ist ihm durch die Lappen gegangen. Die von ihm geleitete Präsidentschafts-Debatte zwischen Al Gore und Ross Perot brach mit 16,3 Millionen Zuschauern alle bis dahin gekannten Rekorde. Auch ausländische Staatsoberhäupter gaben sich die Klinke in die Hand – inzwischen adelt meist nicht mehr der Besucher die Sendung, sondern die Sendung den Besucher.

Getragen von einer Welle internationaler Popularität und stilprägend für Generationen von TV-Talkern, glaubte sich King 1995 gar berufen, selbst Politik zu machen. In einer von CNN als „historische Stunde im Friedensprozess des Nahen Ostens“ beschriebenen Sendung holte er PLO-Chef Jassir Arafat, den jordanischen König Hussein und den israelischen Premierminister Jitzhak Rabin an einen Tisch. Natürlich verfügt der Moderator keineswegs über die „außergewöhnlichen Fähigkeiten in internationaler Diplomatie“, die ihm seine PR-Abteilung heute andichtet, aber trotzdem hat King eine besondere Art, die seine Besucher dazu verleitet, ihm ihr Herz auszuschütten. Verglichen mit den schrillen Tönen und lautstarken, inhaltsleeren Debatten, die im US-Fernsehen den Ton bestimmen, geht es bei „Larry King Live“ beschaulich zu. Der Gastgeber pflegt seine Gäste nach vorne zu streicheln, statt an die Wand zu nageln.

Doch wenig deutete dereinst darauf hin, dass aus Larry Zeiger einmal so ein Großer werden würde. In der Schule war er so faul, dass der Vater den Lehrer aufforderte, seinen Sohn als Tafelputzer zu beschäftigen - so musste Larry am Morgen als Erster erscheinen und durfte am Nachmittag erst als Letzter gehen. Als er zehn ist, stirbt der Vater, die Mutter schlägt sich als Näherin in den „Sweatshops“ New Yorks durch. An eine College-Ausbildung ist nicht zu denken. Larry ist Gelegenheitsarbeiter für dies und jenes, bis er eines Tages beschließt, sein Glück in Florida zu machen. Tatsächlich bekommt er in Miami einen Job als Radio-DJ – und nennt sich fortan „King“.

So lebt der Spross einer jüdischen Einwandererfamilie auch – immer eine Spur zu groß. Vier Hochzeiten folgen vier Scheidungen, die Honorare reichen hinten und vorne nicht. King veruntreut Geld und landet nur deshalb nicht im Gefängnis, weil sein Fall verjährt ist, bevor er vor Gericht kommt. „Ich dachte, Larry King verdient es, mit wunderschönen Frauen gesehen zu werden. Die Regeln, nach denen die anderen leben, galten für mich nicht“, sagt er rückblickend. 1978 leistet er einen Offenbarungseid und fängt wieder ganz von vorne an.

Kings zweite Blüte ist eng mit dem Aufstieg des Newssenders CNN Anfang der 80er Jahre verknüpft. Er wird mit seiner Show zu einem Markenzeichen und lockt regelmäßig die meisten Zuschauer an. Politiker befragt er nach Privatem, Popstars nach Politischem. Stets ist er mehr an Motiven und Gefühlen interessiert als an Fakten. „Ich sehe mich selbst nicht als Journalist“, hat King einmal dem „Time Magazine" gesagt, „aber Journalismus entsteht von dem, was ich tue.“ Soll wohl heißen: Oft genug erwächst aus dem, was seine Besucher preisgeben, eine neue nationale Debatte.

Dass sie alle bei ihm Schlange stehen, hat aber auch damit zu tun, dass sie selten etwas Schlechtes zu befürchten haben. Präsident Bill Clinton beschrieb den Nutzen der Sendung vielmehr so: „Larry King hat mich davon befreit, zu Reportern freundlich zu sein, weil ich mich in seiner Sendung ohne Filter direkt den amerikanischen Menschen zeigen kann.“ Medienkritiker werfen King denn auch eine simplizistische Sichtweise vor und dass seine Sendung mehr verschleiere als enthülle. Mehr noch schmerzen dürfte ihn das Urteil, er gehöre inzwischen zum alten Eisen in der Branche. Neil Hickey urteilt in der „Columbia Journalism Review“: „Larry Kings Stil macht aus ihm mehr und mehr einen Rentner, der sich in einem Heavy-Metal-Konzert verlaufen hat.“ Wenigstens entlohnt ihn CNN dafür mittlerweile fürstlich – mit 14 Millionen Dollar pro Jahr bis 2006. Das reicht sogar für den König.

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