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"Der Kriminalist": Lizenz für das Grobe, Lizenz für das Weiche

Im Keller seines Hauses hat Christian Berkel sich einen Lebenstraum verwirklicht. Er hat ein Kino bauen lassen, in schwarzen und scharlachroten Farben. "Ich sehe gerne Filme", sagt er, "aber eigentlich bin ich jemand, der lieber macht als guckt." Im ZDF spielt er den "Kriminalisten" und für Tarantino den Franzosen.

Gerade wird eine neue Folge für die ZDF-Reihe „Der Kriminalist“ gedreht. Christian Berkel steht in einem Berliner Krankenhaus am Bett eines jungen Mannes. Sein Hemd ist zugeknöpft, der Schlips sitzt akkurat und der dunkle, derbe Mantel verleiht ihm einen Hauch von Bedeutung. Seit drei Jahren spielt Christian Berkel diesen LKA-Beamten, der Bruno Schumann heißt. Den Namen hat er selbst ausgewählt, er fand ihn für diese Figur passend.

Schumann ist anders als viele seiner Fernsehkollegen, ein markanter Typ mit sanftem Wesen, introvertiert und geheimnisvoll. „In dem Moment, wo man eine Serienfigur spielt“, sagt Berkel, „muss man sie näher als andere Rollen an sich heranlassen.“ Für den Ermittler hat er eine Methode gesucht, mit der er gut umgehen kann. Er nennt sie „Viktimologie“, eine Strategie, die den Blickwinkel des Opfers einnimmt. Warum ist jemand an einem bestimmten Punkt seines Lebens zum Opfer geworden? Was hat den Täter angezogen? Seinen Fällen nähert sich Schumann in einer Mischung aus Intuition und Analyse. Manchen Zuschauern mag er zu besonnen sein, aber in der unspektakulären Beharrlichkeit liegt genau seine Stärke. Christian Berkel sagt über ihn: „Er ist jemand, der mit Leib und Seele seinen Job macht.“

Nach Drehschluss setzt sich Christian Berkel ins Produktionsauto. Der Fahrer reicht ihm das Lunchpaket, Brot mit Schinken und Käse. Er trägt jetzt Lederjacke, Jeans und Boots. An seiner linken Hand blinken drei dicke Silberringe. Das Auto fährt ihn zum Interview in die „Fischerhütte“ am Schlachtensee, in dessen Nähe der Schauspieler wohnt. „Sind Sie nicht der Mann aus dem Fernsehen?“, begrüßt ihn der Kellner. „Ja“, antwortet Berkel. „Und wie heißen Sie noch mal?“

Christian Berkel ist einer der wenigen deutschen Schauspieler, die auch international bekannt sind. Er hat mit Ingmar Bergman gedreht, mit Spike Lee, Paul Verhoeven, Bryan Singer. Gerade hatte bei den Filmfestspielen in Cannes Quentin Tarantinos Film „Inglourious Basterds“ Premiere, in dem er einen Franzosen spielt. In Kalifornien vertritt ihn eine Agentin, die Daniel Day Lewis, Naomi Watts und Penélope Cruz betreut. Die Begegnung mit dem Kellner beschreibt vielleicht die größtmögliche Distanz, die ein Schauspieler haben kann: die zwischen seinem Namen und seinem Gesicht.

Seit mehr als dreißig Jahren ist Christian Berkel im Geschäft. Die hohe Stirn, die hellblauen Augen, die vollen Lippen, der kahlrasierte Schädel – sein Gesicht hat eine Lizenz für das Weiche und das Grobe. Es kann den Liebhaber genauso wie den Nazi spielen, das Opfer genauso wie den Täter. Es hat Effekt.

Schon als Berkel sechs Jahre alt war, wollte er auf der Bühne stehen. Damals hatte er in den Berliner Kammerspielen „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“ gesehen. Von da an war ihm klar geworden, dass er mit diesem Beruf alles sein konnte: Feuerwehrmann, Stierkämpfer, Pilot. Geschichten einfach nur zu lesen, das war ihm zu „passiv“. „Ich wollte mir nicht nur vorstellen, ein anderer zu sein“, sagt er, „ich wollte ein anderer sein.“

Vielleicht hat dieses Bedürfnis mit der Familiengeschichte des gebürtigen Berliners zu tun. Seine Mutter ist eine deutsche Jüdin, die 1938 erst nach Frankreich und nach dem Krieg nach Buenos Aires ging. Dort hat sie Berkels Bruder geboren, der zwölf Jahre älter ist. Zurück in Berlin, kam 1957 Sohn Christian auf die Welt. Er wuchs umgeben von spanischen Lauten auf, die er nicht verstand. Mit ihm sprach seine Mutter Französisch. Kein Wunder, dass sich ein Junge mit dieser bunten Biografie nur schwer irgendwo einordnen konnte. Er war es einfach gewöhnt, anders zu sein.

Als im September 1965 die „Rolling Stones“ in der Waldbühne spielten, ließ sich der gerade Siebenjährige aus dem gestreiften Pyjama seiner Mutter eine Schlaghose nähen. Er war fest überzeugt, abends auf dem Konzert seiner Lieblingsband dabei zu sein. „Das Wetter war schön“, erzählt er, „und ich bin durch Frohnau gelaufen und habe allen, die es hören oder auch nicht hören wollten gesagt: ‚Heute gehe ich alleine zu den ,Stones’.“ Als er dann abends in seiner Schlaghose zu Hause auf dem Sofa saß, war er mächtig enttäuscht. Er besaß weder eine Karte, noch hätte man ihn ohne seine Eltern reingelassen. Die Wirklichkeit hatte seine Vorstellungskraft eingeholt.

Mit 14 zog er für zwei Jahre zu Freunden seiner Eltern nach Paris. Dort ließ er sich die Haare bis zur Schulter wachsen, was sein Vater ihm vorher verboten hatte. Die plötzliche Freiheit schien ihm auch die Angst zu nehmen. Er bat den französischen Schauspieler Jean-Louis Barrault so lange, bis dieser ihm Unterricht bei seinem Kollegen Pierre Bertin vermittelte. 1976 stand er erstmals für Ingmar Bergmans Film „Das Schlangenei“ vor der Kamera. Darin spielte er einen Studenten, dem in einem Versuchslabor eine Droge gespritzt wird, die paranoide Schübe hervorruft. Es war eine stumme Rolle. Er spielte sie so lebhaft, dass er dabei eine Glasscheibe zerschlug. Mit zerschnittenen Händen und einem Splitter im Bauch wurde er ins Krankenhaus gebracht.

Man könnte das als Übermut bezeichnen. Christian Berkel rechnet nicht, auch nicht mit dem Schlimmsten. Ist er mal knapp bei Kasse, geht er erst recht mit seiner Lebensgefährtin Andrea Sawatzki, mit der er zwei Kinder hat, ins Restaurant „Borchardt“. Als er einmal im KaDeWe für ein Abendessen Trüffel kaufen wollte, bestellte er versehentlich 300 Gramm. Bei dem Preis dafür stockte Andrea Sawatzki der Atem. Tröstend nahm er sie in die Arme und sagte: „Dann laden wir eben noch zehn Leute mehr ein.“ Wahrscheinlich ist diese Art Leichtigkeit ein gutes Prinzip, mit dem Leben klarzukommen: Es wirft einen nicht um.

Christian Berkel meint, dass man eine Figur nie in ihrer Ganzheit spielen könne. Sie werde sonst zur Parodie. Er sucht immer nur einen Ausschnitt, einen Aspekt, der ihm besonders naheliegt. Bereits zwei Mal hat er Helmut Schmidt gespielt, erst als Hamburger Innensenator in „Die Sturmflut“ (2006) und dann als Kanzler in dem Geiseldrama „Mogadischu“ (2008). An dem Politiker hat ihn der Widerspruch zwischen „Disziplin und Disziplinlosigkeit“ interessiert. Dieses innere Chaos verwandelte er in einen bestechenden Ausdruck. In „Mogadischu“ sieht man ihn als einsamen Mann, der zu seiner Entscheidung stehen muss. Und man erahnt die innere Zerrissenheit hinter dem regungslosen Gesicht, die Angst, die sich der Staatsmann verbietet. 80 Mentholzigaretten am Tag rauchte Berkel während des Drehs.

Der amerikanische Regisseur Bryan Singer hatte ihn in den Kinofilmen „Das Experiment“ und „Der Untergang“ gesehen, bevor er ihn für das Stauffenberg-Drama „Operation Walküre“ engagierte. Die Arbeit in Hollywood hat Berkel sehr geschätzt. Es ist dort wie beim Domino, ein Baustein ergibt den nächsten: Ein Regisseur mit einem bekannten Namen bekommt viel Geld, Zeit und gute Drehbedingungen. „Luxus“ sei das, sagt er.

Gerade hat er für seine schauspielerischen Verdienste den Medienpreis „Goldene Feder“ verliehen bekommen. Die Kuratorin Gudrun Bauer betonte bei der Vergabe, dass der Preis an jene Menschen ginge, die einerseits durch ihre Leistung bestächen, andererseits Bescheidenheit und Bodenhaftung behielten.

Christian Berkel würde gern einmal in die Wüste fahren. In keiner anderen Landschaft sei man so stark mit sich selbst konfrontiert. Er sagt: „Die Wüste ist etwas, was lange vor dir da war und lange nach dir da sein wird. Sie gibt einem das Gefühl, nur begrenzt zu existieren. Das rückt einen irgendwie zurecht.“

„Der Kriminalist“, ZDF, Freitag, um 20 Uhr 15

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