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Medien: Der Mach-mal-Mann

Hugo Egon Balder kann den Sendern vorschlagen, was er will – es kommt immer Comedy heraus

Man kann nicht behaupten, dass Hugo Egon Balder keinen Sinn für absurden Humor hätte. Als Produzent von „RTL Samstag Nacht“ waren über seinen Schreibtisch nur jene Gags gegangen, über die er selbst lachen konnte. Und er lacht nicht eben selten. Dass nun Sat 1 ausgerechnet dem ZDF-Unterhaltungschef Manfred Teubner seine neue Comedy-Show „Genial daneben“ verdankt, findet nicht einmal der einstige RTL-Spaßbeauftragte lustig.

Die Sache mit Balders Idee, die eigentlich „Die schlaue Stunde“ hieß, und dem ZDF ist aber auch dumm gelaufen. Drei Jahre hatten diverse Sender abgewinkt. Eine Sendung ohne festes Drehbuch: zu heikel. Erst Teubner ließ ihn im vergangenen Herbst zwei Pilotfolgen drehen. Und ihm gefiel, wie Balder als Moderator, Hella von Sinnen, Herbert Feuerstein oder Bernhard Hoecker über abseitige Zuschauerfragen der Art, weshalb die Mona Lisa keine Augenbrauen hat, drauflos parlieren ließ. Was Balder fehlte, war eine schriftliche Bestätigung aus der ZDF-Chefetage. Mehr nicht. Doch auf dem Lerchenberg schacherte man gerade um den neuen Programmdirektor. Alles andere musste warten. Auch Balder. Mitte November war seine Geduld am Ende. Sat 1 hatte die nötigen Unterschriften binnen Stunden zusammen.

Womöglich war einigen Mainzelobermännchen seltsam zumute geworden, als Balder Barbara Schöneberger in der ersten Pilotfolge nach zwei Minuten ein freundliches „Halt den Mund, du Schlampe“ zurief. Jedenfalls hatte sich das ZDF erkundigt, ob man schon über einen anderen Moderator nachgedacht habe. Bloß nicht diesen Balder.

Hühner-Hugo. Herr der Möpse. Schamhaarspezialist. Oder wie man Balder sonst so titulierte, als er Anfang der 90er Jahre mit schräger 3-D-Brille, zeitgeistresistenter Vokuhila-Haartracht und rauem Zoten-Charme für RTL plus „Tutti Frutti“ verzapfte, wo sich Damen von ihrer Unterwäsche befreiten und ein sparsam bekleidetes Cin-Cin-Ballett herumhüpfte. Bei seiner zweiten Scheidung – der 52-Jährige ist zum vierten Mal verheiratet – ließ „Bild“ einen Münchner Psychologen klagen, wie man bei so vielen nackten Brüsten überhaupt eine normale Ehe führen solle.

Beharrlich nennt Balder „Tutti Frutti“ eine „Satire“. Dass Medienwächter und kirchliche Würdenträger – so oder so – darob schlaflose Nächte durchlebten, „Emma“ der „Erniedrigung der Frau“ zürnte? Na, wenn schon. Am Anfang, 1990, hatte „Tutti Frutti“ vier Millionen Zuschauer pro Sendung, das zählte. Und die kostenlose Promotion für RTL plus erst recht. Gerade war dem Privatsender mit 70er-Jahre-Sexfilmen, Erika Bergers Beischlafhilfe und eben Balder der Nachweis geglückt, wie dehnbar Geschmack sein kann.

„Die Prügel waren natürlich erwünscht“, sagt RTL-Gründer Helmut Thoma. „Wir brauchten damals ein Gesicht. Balder war die Idealbesetzung.“ Hatte sich Balder nicht schon mit Hella von Sinnen in „Alles Nichts Oder“ ungenießbare Eiweißschaumtorten ins Gesicht feuern lassen? Hatte er nicht seit 1979 für Radio Luxemburgs damaligen Hörfunkchef Frank Elstner Hunderte von Besuchern in Freilichtbühnen mit Kalauern in Grund und Boden gequatscht? „Meinen Hugo“, so nennt ihn Elstner heute noch, „können Sie morgen auf einem Bahnhof freilassen und sagen: Hier ist das Mikro, da sind die Menschen: Nun mach mal. Er ist der beste Mach-mal-Mann.“

Als Balder zum Gespräch ins Café des Kölner Gloria-Theaters kommt, läuft über die Raumbeschallung ein alter „Animals“-Klassiker: „Please don’t let me be misunderstood.“ Zufall, natürlich. Balder selbst würde nie zugeben, dass er sich manchmal missverstanden fühlen könnte. Nur kein Selbstmitleid. Dass Kollegen ihn für die drei Seiten in der „Bunten“ beglückwünschten, als sich zwei Ex-Partnerinnen und seine aktuelle Gattin Canan ein befremdliches Scharmützel lieferten, hat ihn mäßig amüsiert. Selbst als der „Wiener“ schrieb, Balder sähe aus wie ein „Kokainist“, hielt er still. „Alles Pippikram“, sagt Balder schulterzuckend. Doch natürlich taten ihm die Fernsehpreise und Lobeshymnen gut, mit denen man ihn später für „RTL Samstag Nacht“ zuschüttete. „Er ahnte den Geschmack von Millionen“, huldigte selbst die „Zeit“.

„Manche denken ja, ich wäre auf die Welt gekommen, dann habe ich mir erst mal Torten ins Gesicht schmeißen lassen, dann nackte Busen gezeigt, und das war’s dann“, bilanziert Balder nüchtern. Er knipst diesen von ironischer Irritation umwehten „Äh, wie bitte“-Blick an, mit dem er mit Glitzersternen zugeklebte Brustwarzen der „Tutti- Frutti“-Delinquentinnen inspizierte und später durch seichte Unterhaltungsgewässer wie „Fata Morgana“ (RTL) oder „Tanzmarathon“ (Neun Live) paddelte. „Dass ich beim Berliner Schillertheater war, dass ich mit Harald Schmidt politisches Kabarett im Düsseldorfer Kom(m)ödchen gemacht habe, das weiß keiner. Interessiert auch keinen.“

Von 1973 bis 1979 spielte Balder am Schillertheater. Ein dürrer Schlacks, der andächtig danebenstand, wenn Regie- und Schauspiel-Götter wie Beckett oder Minetti probten. Der lernen wollte, immer und überall, und in der Revue-Inszenierung „Haus Vaterland“ seines Schauspielkollegen und Lehrmeisters Stefan Wigger sogar in New York gastierte. Ein zurückhaltender und bescheidener Mensch sei er gewesen, der obendrein unglaublich musikalisch gewesen sei, erinnert sich Wigger. In Wiggers Programm „Musikalischer Kitsch“ im Capitol Dahlem bearbeitete Balder 30 Instrumente. Schließlich hatte der gebürtige Berliner in seiner Jugend mal eine Krautrockband gegründet. „Birth Control“ wurde 1972 mit dem Hit „Gamma Ray“ bekannt. Da war Balder freilich längst ausgestiegen, ausgelaugt von bis zu vier Gigs pro Nacht am Schlagzeug und aufputschenden Appetitzüglern. Nach seiner bestandenen Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule der renommierten Else Bongers wusste diese: „Du bist ein Komiker.“ Mitten im sonntäglichen Fußballmatch der Thekentruppe der Charlottenburger Künstlerkneipe „Diener“ stiefelte Balder gern mal rasch zur Würstchenbude. Kein Wunder, dass die Spiele „2:18 oder so“ endeten. Balder war der Torwart.

„Eine tolle, unbeschwerte Zeit“, sagt Balder mit leiser Wehmut. Seine jüdische Mutter hatte das KZ Theresienstadt überlebt, zusammen mit seiner Großmutter und seinem Halbbruder. Als Kind verstand er nicht, weshalb die Mutter so hart zu ihm sein konnte. Ihn links liegen ließ, wenn er Mist gebaut hatte. Kam Egon Hugo – seine Vornamen drehte eine Plattenfirma um, für die Balder schon in den 70ern skurrile Schlagerplatten besang – mit Liebeskummer an, tangierte das die Mutter wenig. „Pippikram“ eben.

Vielleicht hat etwas von dieser Gelassenheit, wenn nicht gar Gleichmut, auf Balder abgefärbt. Kurzerhand hat er sich vom Schillertheater verabschiedet, als ihm 1979 der neue Intendant Boy Gobert keine größeren Rollen gab, und ging zu Elstner nach Luxemburg. Ließ sich von Thoma „die Tittensendung“ andrehen, obwohl er mit einer Nachwuchskabarett-Idee in dessen Büro marschiert war. Mimte unlängst in einem „Tatort“ einen schmierigen Polizeireporter, wenngleich er damit doch unterfordert gewesen sein muss. „Etwas Ernstes würden mir die Leute nicht abnehmen“, glaubt Balder. „Die würden immer denken: Wann kommt der Hammer?“

Nach dem Tod der Mutter fand Balder in einem Holzkästchen ihren gelben Stern. Er habe sich setzen müssen und den Stofffetzen eine halbe Stunde angestarrt. Wahrlich, es gibt wichtigere Sachen als drei Seiten in „Bunte“ oder eine neue Comedy.

Erik Heier

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