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Medien: Der Mann, der zu viel wusste

WDR-Dokumentation über geheime Menschenversuche der CIA

Downtown Manhattan. Eine kalte Novembernacht im Jahre 1953. Armand Pastore, Manager des „Hotel Pennsylvania“, sitzt auf seinem Platz hinter der Rezeption. Es ist relativ ruhig. Plötzlich, um 2 Uhr 30, stürzt der Portier in die Lobby und berichtet völlig aufgelöst, jemand sei gerade aus einem der Hotelfenster gestürzt. Pastore eilt hinaus und sieht einen Mann, nur mit Unterwäsche bekleidet, auf dem Gehsteig liegen. Er scheint noch zu leben, denn er röchelt leise. Pastore kniet nieder, um ihn verstehen zu können – doch dann stirbt Frank Olson.

Long Island, New York State, im November 2001. Der CIA-Veteran Ike Feldman erhält einen überraschenden Anruf von einem Mann, der seinen Besuch ankündigt. Tags darauf steht der Mann vor der Tür und gibt sich als Regierungsbeamter aus. Ob er kurz mit Feldman sprechen könne. Es ginge um Milzbrand – und den ehemaligen CIA-Wissenschaftler Dr. Frank Olson, jenen Mann, der 48 Jahre zuvor offiziellen CIA-Angaben zufolge Selbstmord begangen hatte und aus dem dreizehnten Stock des „Pennsylvania“ gesprungen war.

Feldman wurde schnell klar, dass die anonymen Anthrax-Briefe nach den Terroranschlägen aus ehemaligen CIA-Labors stammen mussten. Der Supergeheimdienst experimentierte bereits seit den 50er Jahren mit chemischen Kampfstoffen, tödlichen Keimen und gefährlichen Psychodrogen an Menschen. Eines der geheimsten Projekte mit tödlichen Menschenversuchen fand sogar im ehemaligen Nazi-Deutschland, in Berlin und Kronberg im Taunus, statt – sein Deck: „Artischocke“.

In der gleichnamigen WDR-Dokumentation, die das Erste heute um 21 Uhr 45 in seiner Reihe „die story“ ausstrahlt, gehen die Autoren Egmont R. Koch und Michael Wech den geheimen Menschenexperimenten der CIA in den USA und in Deutschland nach. Und der Frage, warum der US-Chemiker Frank Olson als Leiter der deutschen Geheimoperation „Artischocke“ in jener Novembernacht 1953 sterben musste. Im Zeitraffer rekonstruiert der Film, warum er die grausamen Experimente nicht länger mittragen wollte.

Außerdem legen Koch und Wech eine Vielzahl an Beweisen vor, dass Olson als wichtigster Geheimnisträger des Kalten Krieges ganz offensichtlich von den eigenen Leuten ermordet wurde. Norman Cournoyer, sein ehemaliger CIA-Kollege und bester Freund, verletzt zum Beispiel vor laufender Kamera die US-Geheimhaltungspflicht und bricht das jahrzehntelange Schweigen – um Olson einen letzten Dienst zu erweisen.

Eineinhalb Jahre dauerte die Recherche für diese aufwändige historische Dokumentation: Die Autoren trafen sich mit früheren Mitarbeitern von der CIA und US Army, wälzten bislang unveröffentlichte Akten und Geheimpapiere aus CIA-Archiven und arbeiteten eng mit Olsons Sohn Eric zusammen, der das komplette Foto- und Filmmaterial aus dem Nachlass seines Vaters zur Verfügung stellte. Herausgekommen ist ein investigatives Meisterwerk, das die menschenverachtenden Methoden einer der mächtigsten Behörden der Welt ans Licht bringt; für den amerikanischen Markt produziert der WDR zurzeit eine internationale Fassung.

„Wir hoffen, durch den Film den öffentlichen Druck auf die zuständigen Ermittlungsbehörden zu verstärken, damit dieser Mord nicht länger gedeckt wird und der Familie Olson endlich Gerechtigkeit widerfährt“, sagt Autor Wech. Erst vorige Woche hat Eric Ohlson den 1994 exhumierten Leichnam seines Vaters ein zweites Mal begraben. Damit ist für ihn der Fall jedoch lange nicht abgeschlossen. Stephan Alexander Weichert

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