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Medien: Der Methusalem-Komplex

Die „alte Lady“ BBC will angeblich keine Hörer über 65. Von der fatalen Angst der Medien vor dem Alter

Die öffentlich-rechtliche BBC steht am Pranger. Ausgerechnet die „alte Lady“soll dem Jugendwahn verfallen sein. Ein internes Memo, das dem Tagesspiegel vorliegt, enthält folgenden Text: „Stellt NUR Anrufer durch, die klingen wie zwischen 45 bis 64 … Ich will keine richtig alten Stimmen hören.“ Der Absender dieser Zeilen ist Mia Costello, Managing Editor von „BBC Radio Solent“, einem Lokalradiosender der BBC. David King, stellvertretender Chefredakteur des „Southern Daily Echo“, sagt, er habe das Memo direkt von einer BBC-Quelle erhalten: „Das ist definitiv echt.“ In der Mail heißt es weiter: „Redet NUR über Dinge, die positiv und ansprechend sind (…) DENKT DARAN: Sogar die alten Hörer (65+) verlassen uns für optimistischer klingende Sender … Wenn wir das nicht machen, wird unser Geschäft nicht überleben!!“ Ist das noch britischer Humor?

Ein Blick in die Medienlandschaft zeigt: Allerorten wird versucht, mit neuen Formaten ein möglichst junges Publikum anzusprechen. In Israel und den USA ist ein Baby-TV gestartet. In Frankreich ist die Kinderzeitung „Mon Quotidien“ erfolgreich am Markt; in Deutschland denkt man beim Axel Springer Verlag über Vergleichbares nach. Die „Bild am Sonntag“ hat die Jugendbeilage „VivaBamS“, die Zeitschrift „Geo“ gibt es auch als „Geolino“. Nicht mehr ganz neu sind die Tabloid-Ausgaben überregionaler Blätter wie der „Welt“ (als „Welt kompakt“) und regionaler Zeitungen wie der „Lausitzer Rundschau“, wo mit handlichem Format und überschaubarem Inhalt die jungen Ungeduldigen für die Zeitungslektüre gewonnen werden sollen. „Wer Zeitungsleser wird, entscheidet sich in jungen Jahren. Was hier versäumt wird, kann später kaum oder nur unter großen Anstrengungen noch nachgeholt werden“, sagt Anja Pasquay vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger.

Verjüngung, gut und schön – aber muss man gleichzeitig die Älteren ausgrenzen, wie nun offenbar bei der BBC geschehen? Ein kurzer Blick auf die Statistik zeigt eindeutig: Klug ist das nicht. Immer mehr Deutsche fallen altersmäßig aus der Gruppe der 14- bis 49-Jährigen raus. Der Privatsender Sat 1 wird in wenigen Jahren erleben, dass seine Zuschauer 50plus, heute mit 48,5 Prozent noch knapp in der Minderheit, in der Mehrheit sein werden. Schon heute ist der Fernsehkonsument mit durchschnittlich 50 Jahren älter als der durchschnittliche Deutsche mit 43 Jahren. Bei ARD und ZDF liegt der Schnitt bei 58 Jahren. Damit haben sie heute das Publikum, das auf die Privaten noch zukommt. Der durchschnittliche Hörer von Deutschlandradio Kultur ist – auch nach der erfolgreichen Programmreform im März vergangenen Jahres – 52,5 Jahre alt, Radionutzer in Deutschland insgesamt immerhin 47,6 Jahre (bei den privaten Stationen: 41,1 Jahre).

Mit einer Bevölkerung, deren Alter steigt, werden auch die Medien „älter“. Nimmt man die Medien, die für sich beanspruchen, von der Wiege bis zur Bahre nutz- und brauchbar zu sein, ist klar: „Für die nähere Zukunft ist zu erwarten, dass sich mit der Veränderung der Bevölkerungsanteile auch die Relevanz der bislang altersdefinierten Zielgruppen für Medien, Werbung und Marketing verändert: Die Gruppe der Jüngeren verliert, die der Älteren gewinnt an Relevanz“, schreiben Klaus Burmeister und Cornelia Daheim („Media Perspektiven“, Ausgabe 4/2004). Damit sei mittelfristig absehbar, dass sich unter anderem Sendeanteile, Programmschemata, Themen, Anspracheformen, Konsumpräferenzen und -budgets verschieben würden. Die Couch-Kultur wird so wichtig wie die Club-Kultur, wenn nicht wichtiger sein .

Anderes Beispiel: die Zeitungen. Deren Tagesreichweite lag 2005 bei den 14- bis 19-Jährigen noch bei 49,3 Prozent (gesamte Bevölkerung: 74,8 Prozent). Am Ende der Skala, bei den über 50-Jährigen, lag der Wert bei 83,1 Prozent. Blätter wie die Münchener „Abendzeitung“ („50plus“) oder die „Nordseezeitung“ („Charisma: Für die besten Jahre des Lebens“) haben den Trend bereits erkannt. Die „Neuen Älteren“ sind stärker als vorhergehende Generationen dem Genuss und dem Konsum zugewandt. Verbunden mit ihrer Liquidität – die Bevölkerung ab 65 besitzt über 30 Prozent des gesamtdeutschen Vermögens, bei einem Bevölkerungsanteil von lediglich 16 Prozent – und ihrer Mobilität sind sie thematisch und werblich hochinteressant. Die Tageszeitungen mehr noch als die Zielgruppen verhafteten privaten Fernseh- und Hörfunksender müssen als „General Interest“-Medien ihre Spannweite nicht nur, wie bisher, zu den jungen, sondern auch zu den älteren Lesern vergrößern.

Aktuell liegt die Lebenserwartung in Deutschland von Männern bei 76 Jahren, von Frauen bei 82 Jahren. Tendenz steigend. Da die Deutschen keine Weltmeister im Kinderkriegen sind, geht das Statistische Bundesamt davon aus, dass es 2050 doppelt so viele 60-Jährige wie Neugeborene geben wird. Allen Verschiebungen in der Mediennutzung in Richtung Internet zum Trotz: Eine umstürzlerische Veränderung der Mediengewohnheiten wird es nicht geben. Wer heute 50 ist, hat sich sein Medienportfolio zusammengestellt und wird es in 20 Jahren nicht gravierend verändern. Und selbst die „Generation iPod“ wird älter.

Bleibt die jugendverliebte BBC. Nach ersten empörten Artikeln der britischen Presse über die eingangs erwähnte Mail ruderte die Zentrale gestern zurück: „Das Memo entspricht nicht der BBC-Linie“, heißt es nun offiziell. „Wir heißen alle Hörer willkommen, so lange sie etwas Interessantes zu sagen haben.“ Im Internet hätte die BBC sehen können, dass die Jugend keineswegs genervt ist, wenn alte Menschen sich zu Wort melden: Die autobiografischen Clips („Telling it all“) von „Geriatric1927“, einem 79-jährigen Rentner, zählen beim Internetportal „YouTube“ zu den meistgeklickten Videos.

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