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Medien: Der Mittelpunkt des Pop

Nach MTV, Viva und „Popkomm“ zieht auch die Zeitschrift „Spex“ nach Berlin

„Die ‚Spex’ geht nicht nach Berlin. Es wäre nicht gut, wenn die Hauptstadt allen anderen Städten ihre Kinder wegnimmt.“ Kaum mehr als ein Jahr ist es her, dass der Chefredakteur des „Magazins für Popkultur“, Uwe Viehmann, im Gespräch mit dem Tagesspiegel alle hartnäckigen Gerüchte über einen anstehenden Umzug von der Kölner Südstadt an die Spree zurückwies. Die Zeitschrift feierte damals 25-jähriges Jubiläum und wurde allerorten als immer noch wichtigste publizistische Instanz in Sachen Popreflexion gefeiert. Das Magazin strahlte – trotz allen Anschmiegens an den Markt – wie seit je eine selbstbewusste Stärke aus, die vor allem aus der relativen Unabhängigkeit der Redaktion von der Musikindustrie und ihrem Verlag herrührte. Die Münchner Piranha Media GmbH hatte im Jahr 2000, in der bislang größten finanziellen und inhaltlichen Krise der „Spex“, das legendäre Heft übernommen und nach einem gründlichen Relaunch ins neue Jahrtausend geführt.

An diesen radikalen Wandel mag sich der eine oder andere Stammleser heute erinnert fühlen. Das Selbstbewusstsein der Redaktion ist ungebrochen – nur kann sie sich nicht mehr gegen ihren Verlag durchsetzen. Ab Januar wird die „Spex“ in Berlin Redaktionsräume beziehen. Bis zum Donnerstag liefen die Verhandlungen mit der jetzigen Redaktion. Ergebnis: Uwe Viehmann, der seit zehn Jahren für die „Spex“ arbeitet, sowie die fünfköpfige Kölner Redaktion werden nicht mehr beim Neustart in der Köpenicker Straße in Kreuzberg dabei sein. Schon im Frühjahr, als die Gerüchte über einen Umzug konkreter wurden, teilte die Belegschaft im Editorial enerviert mit, dass der Verlag aufgibt, „was man auch in ‚unseren’ Kreisen heutzutage leichtfertig als ‚Standort’ bezeichnet“.

Der „Standort“, das war das Köln der 80er und 90er Jahre, der popintellektuelle Mittelpunkt der alten Bundesrepublik. Hier malten Martin Kippenberger und andere „Neue Wilde“ ihre provozierenden wie lustigen Bilder, hier saßen die wichtigsten Galerien für junge Kunst, hier erschien die diskursselige Schwesternzeitschift der Spex „Texte zur Kunst“. Im „Studio für elektronische Musik“ bereitete Karlheinz Stockhausen den Weg für avantgardistische, elektronische Musik. MTV-Deutschland und Viva starteten in der Domstadt, und auf der Popkomm kamen alle zusammen, traf sich Kommerz und Herzblut, befruchtete und bekämpfte man sich gegenseitig.

Heute sendet das Musikfernsehen längst aus Berlin (wenn auch kaum mehr Musik), feiert die Popkomm in den Clubs an der Spree, berichtet „Texte zur Kunst“ aus der Hauptstadt, die schon seit langem auch die Hauptstadt der Kunst ist. Die „Spex“ hielt als letztes Pop-Leitmedium gemeinsam mit dem kostenlosen Magazin „Intro“ die Stellung in Köln.

Nun wagt Piranha-Geschäftsführer und „Spex“-Herausgeber Alexander Lacher den Sprung. Der Verlag will seine Aktivitäten auf zwei Städte konzentrieren: München, Sitz des Hauses, und Berlin, wo noch andere Piranha-Publikationen erscheinen. Ein „völliger Neuanfang“ soll es werden, heißt es. Statt monatlich zu erscheinen, will man sich auf sechs Ausgaben im Jahr beschränken – was der neue Chefredakteur Max Dax mit dem Tabakwerbeverbot begründet, das allgemein Einfluss auf die Presselandschaft haben werde. Der freie Journalist Dax, der mit bürgerlichen Namen Maximilian Bauer heißt, gründete 1992 die ambitionierte Interview-Zeitschrift „Alert“, scheiterte damit, brachte sie zehn Jahre später neu im Hochglanzformat auf den Markt – und scheiterte 2004 abermals.

Auf seine früheren Erfahrungen mit der Leitung von Magazinen angesprochen, sagte er dem Tagesspiegel: „Ich glaube nicht, dass man Angst um die ‚Spex’ haben muss. Wir werden vieles wieder auf die Agenda setzen, das in den vergangenen Monaten stiefmütterlich behandelt wurde.“ Dax will wieder anschließen an die legendären Zeiten des Blattes, als Autoren wie Diedrich Diederichsen und Clara Drechsler „Musik als Katalysator für gesellschaftliche Phänomene“ verstanden.

Noch im vergangenen Jahr hatte Dax anlässlich des „Spex“-Jubiläums einen „Nachruf auf die Bibel des Popjournalismus“ in der „Welt am Sonntag“ veröffentlicht. Kämpferisch endete er mit den Sätzen: „Dennoch darf man sich schon wundern, warum noch keine neue Zeitschrift aufgetaucht ist, die sich wieder ernsthaft mit Ideen und ihrer Verwirklichung beschäftigt – so krude sie auch sein mögen. Nichts könnte spannender sein.“

Egal, ob in Köln oder Berlin.

Daniel Völzke

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