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Medien: Der Máximo Líder von der Isar

Kaum jemand glaubte 1993 an den Erfolg von „Focus“, das sich selbst „das moderne Nachrichtenmagazin“ nennt. Vieles von dem, was vor zehn Jahren neu war, hat die Konkurrenz klammheimlich nachgemacht

1993 war ein wichtiges Jahr für die deutsche Medienbranche. Sie schien ziemlich satt zu sein. Es gab die Tageszeitungen, „Spiegel“, „Stern“ und „Zeit“, Hunderte von Spezialmagazinen und seit einigen Jahren auch privates Fernsehen. Das war die größte Konkurrenz. Ängstlich schauten die Zeitungs- und Zeitschriftenverleger zu, wie ihnen die privaten Fernsehsender immer größere Anteile vom Werbekuchen wegnehmen.

In dieser Zeit entwickelten zwei Journalisten etwas, das dem neuen Bedürfnis, Informationen schneller und auf unterhaltsamere Weise zu konsumieren, entgegenkommen sollte. Der eine Journalist entwickelte etwas, das der „Zeit“ Paroli bieten sollte. Die Zeitung hieß „Die Woche“ und wäre am 18. Februar 2003 zehn Jahre alt geworden – wäre sie nicht im vergangenen März eingestellt worden. Der andere Journalist, Helmut Markwort, entwickelte etwas, von dem die Branche sagte, das sei ein „Anti- Spiegel“. Er selbst sprach vom „nicht-linken Nachrichtenmagazin“ und meinte „Focus“. „Focus“ feiert am 18. Januar zehnjähriges Bestehen. Es gibt ihn immer noch, und er verkauft aktuell 786 573 Exemplare. Wer hätte das gedacht, damals.

Viele hielten es für unvorstellbar, dass das Monopol des „Spiegel“ zu brechen sei. Dutzende von Versuchen hatte es schon gegeben – von einem Magazin mit dem Titel „Scheinwerfer“ bis hin zu einem Blatt mit dem Titel „Puls“. Die Branche sah die Alleinstellung des „Spiegel“ als gottgegeben an. Und behielt sie letztlich nicht Recht?

Der frühere „Wiener“-Chefredakteur Kurt Weichler, heute Buchautor in Hamburg, zieht den „besser recherchierten und tiefgründigeren ,Spiegel“’ noch immer dem „oberflächlicheren und schnelleren ,Focus’“ vor. Vor zehn Jahren hatte er nicht gedacht, dass es dafür eine genügend große Zielgruppe gibt. Auch der damalige „DM“-Chef und heutige Leiter der Holtzbrinck-Journalistenschule, Hans Zinken, glaubte nicht an die Zukunft von „Focus“: „Formal gut gemacht, hat aber zu wenig Substanz“. Das sagte er 1993, das sagt er auch 2003.

Markus Peichl, Miterfinder der legendären Zeitschrift „Tempo“, war ebenfalls einer von denen, die nicht darauf wetten wollten, dass „Focus“ seinen vierten Geburtstag erlebt. „Die Frage ist eher, ob der gesamte Verlag diesen Tag noch erlebt“, sagte Peichl damals über Burda, und fügte hinzu: „Ich habe den Eindruck, dass der Verlag intellektuell seit längerem über seine Verhältnisse lebt – und jetzt auch noch finanziell.“ Gottlob, das war ein Irrtum. Heute sagt Peichl, der in Berlin als Medienberater für Verlage und das Fernsehen arbeitet: „Focus ist ein gigantischer Medienmarketingerfolg. Respekt! Markwort hat es geschafft, den Lesern weiszumachen, dass ,Focus’ ein Nachrichtenmagazin ist, in dem wirklich Fakten drinstehen. Das konnte nur gelingen, weil wir inzwischen in einer Behauptungs- und nicht mehr in einer Beweisgesellschaft leben. ,Focus’ ist das Zentralorgan dieser Behauptungsgesellschaft.“

Zwei wesentliche Aspekte spricht Peichl damit an. Erstens: Tatsächlich war Markworts Anspruch, ein Montagsmagazin herauszubringen, das im Gegensatz zum „Spiegel“ die Nachricht der Meinung vorzieht. Sein Prinzip: kurze Texte, Grafiken und Bilder statt langer Prosa. Schnelle, leicht konsumierbare Information statt tiefgehender Reflexion. Zweitens: Der Burda-Verlag hat etwas vorgemacht, was andere erst lernen mussten. Farbe, Grafiken und Info-Kästen erhöhen die Lesebereitschaft. Die Konkurrenz erkannte das schnell. Nur wenige Monate nach der ersten „Focus“-Ausgabe holte sich der „Spiegel“ einen Art Direktor in die Redaktion. Das ist das eine. Das andere ist das erfolgreiche Marketing. „Focus“ ist Markwort, Markwort ist „Focus“. Selbst wer das Blatt nicht liest, kennt den löwenmähnigen Chefredakteur aus den vielen Spots und mit ihm den Satz „Fakten, Fakten, Fakten – und immer an den Leser denken“. Geschickt war es vom Burda-Verlag auch, eine neue Zielgruppe für das Nachrichtenmagazin zu erfinden: „Info-Elite“ wurde sie genannt. Was darunter zu verstehen sein soll, wusste lange Zeit kaum jemand. Die „Focus“-Leute sagten, das seien Menschen, die konsumfreudig seien, sich mehr als andere informieren und sich diese Informationen auf unterschiedlichste Weise beschaffen, zum Beispiel im Internet (vor zehn Jahren noch etwas Besonderes). Wohl, weil sich so wenige etwas unter dem Begriff „Info-Elite“ vorstellen konnten, haben die Marketingforscher von Burda sogar eine eigene Studie erfunden. Ironie des Schicksals: Seit vergangenem Jahr weist diese Studie nicht mehr „Focus“ auf dem ersten Platz der Magazine für die „Info-Elite“ aus. Das Ranking führt der „Stern“ an.

Rankings aller Art – auch das war etwas, was bei der Konkurrenz Spott hervorrief, „Focus“ aber viel Auflage brachte. Alles begann mit einer Ärzte-Liste. Es folgten weitere Listen mit den besten Anwälten und andere mehr. Und nebenbei brachte die Diskussion, ob das Veröffentlichen von Ärztelisten erlaubt ist, dem Blatt viel Aufmerksamkeit ein. So wie die zahlreichen anderen juristischen Auseinandersetzungen, die „Focus“ öffentlich und branchenintern führte. PR-Arbeit in eigener Sache, professionelles Heft- und Abomarketing, das alles haben sich andere Magazine von „Focus“ abgeguckt. Auch das hat die Medienbranche revolutioniert.

Und zumindest eines hat der Kommunisten-Hasser Markwort mit dem Revolutionär Fidel Castro gemeinsam. So wie niemand weiß, was aus Kuba wird, wenn der „Máximo Líder“ nicht mehr ist, kann auch niemand sagen, was aus „Focus“ wird, wenn der Medien-Revolutionär Markwort eines Tages den Stuhl für seinen Stellvertreter Uli Baur freiräumen wird. Aber gemach: Sowohl der 74-jährige Fidel als auch der 66-jährige Darmstädter wollen noch eine ganze Weile auf ihrem Posten bleiben, das versichern beide immer wieder.

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