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Medien: „Der Pessimist bin ich“

„Zeit“-Herausgeber Michael Naumann über seine RBB-Sendung „Im Palais“, den WM-Ball und „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann

Herr Naumann, der RBB sagt, dass „Im Palais“ heute Optimisten, Pessimisten und Realisten sitzen. Wer ist wer?

Der Pessimist bin ich. Aus Prinzip. Das ist eine Frage des Alters. In meinem Leben habe ich viele Kriege erlebt, als Kind, als Journalist, als Zeitgenosse. 28 000 Atomsprengköpfe sind über die ganze Welt verteilt. Wer da sagt, das wird schon gut gehen, dem kann ich nur gratulieren. Es wird noch eine Atombombe explodieren.

Was erwarten Sie von der Sendung?

Wenn es besonders gut geht, kann der Zuschauer dabei Spaß haben. Im angelsächsischen Sinne. Es heißt ja Talk- und nicht Redeshow. Ein Gast kann auch mal die entgegengesetzte Meinung dessen, was man ihm eigentlich zuschreibt, zum Besten geben. Das ist hier ungewohnt.

Gibt es vom RBB eine Quotenvorgabe?

Überhaupt nicht. Ich bin der Meinung, dass dieses Denken und Reden in Quoten das öffentlich-rechtliche Fernsehen beschädigt hat und dass diese Sendung eines der wenigen Beispiele im öffentlich-rechtlichen Rahmen ist, bei dem die Quote unwichtig ist – wie sie das für solche Sendung eigentlich sein muss. Mir selbst ist die Quote wurscht. Und der Intendantin offensichtlich auch.

Wäre das RBB-Intendantin Dagmar Reim mit einem anderen Moderator auch egal?

Das weiß ich nicht. Meine so genannte Prominenz ist längst Vergangenheit. Das dauert – wie alle Ex-Minister jetzt feststellen werden – drei Wochen, und dann werden sie verwechselt. Neulich hielt man mich für meinen Nachfolger Bernd Neumann. Da musste ich protestieren.

„Im Palais“ hat drei Prozent Einschaltquote. Können Sie das steigern?

Nicht mit der Sendezeit. Aber die Quote wird sich vielleicht verbessern, wenn Phoenix die Sache übernimmt. Da gibt es eine mündliche Zusage. Das ehrt uns.

Interessiert Sie Fernsehen als Medium?

Nicht so sehr wie Printmedien. Das sind zwei völlig verschiedene Welten. Niemand wird behaupten, dass man komplexe Sachverhalte in anderthalb Minuten Kommentar, als Moderator oder Talkshowgast hinreichend erklären kann.

Unterscheiden sich TV-Journalisten von Printjournalisten?

Moderatoren wie Thadeusz, Harald Schmidt, Jauch, Maischberger, Illner – die sind für dieses Medium geboren. Sie können Menschen zum Sprechen bringen. Was die mit ihren Talenten früher gemacht hätten – weiß der Teufel. Vielleicht Psychotherapie.

Sind Sie für das Fernsehen geschaffen?

Nein.

Warum nicht?

Zu alt. Und das muss man auch lernen. Es ist sehr komisch, in eine Kamera zu schauen und sich vorzustellen, dass dahinter eine Familie in ihrem Wohnzimmer sitzt, die man anspricht – das hat was Absurdes. Ich gucke kaum meine eigenen Sendungen an. Am Anfang habe ich sie mir angeschaut, um zu sehen, was ich alles falsch mache – vieles.

Was zum Beispiel?

Ich bin zu überhastet.

Was gucken Sie privat?

Ich sehe mir keine Unterhaltungssendungen an, nur manchmal einen „Tatort“. Die sind filmisch sensationell geworden. Sonst gucke ich mir Dokumentationen an und aus beruflichen Gründen Talkshows. Und natürlich Sport – in erster Linie Fußball. Mein Herz schlägt immer noch für Preußen Delbrück. Jürgen Flimm und ich spielten da zusammen als Kinder. Der Verein ist weg.

Freuen Sie sich auf das WM-Jahr?

Ich habe vor diesem Jahr Angst. Ich fürchte, dass diese enorme Kommerzialisierung genauso schrecklich wird wie der WM-Ball: Der ist hässlich wie die Nacht, mit diesem doppelten Nierentisch. Man merkt, im DFB und in der Fifa hat sich seit den 50ern im Stilempfinden nichts verändert. Eigentlich sind das keine Fußballfans, sondern bürgerliche Geschäftsleute mit Goldkettchen am Handgelenk.

Das Thema der heutigen Sendung ist Optimismus – gibt es den in Deutschland?

Die wirtschaftlichen Großwesire an den Universitäten sagen, der Aufschwung kommt und ist bereits messbar.

Und im Feuilleton?

Also, wenn ich einen optimistischen Feuilletonisten treffe, würde ich ihm empfehlen, sofort in ein anderes Ressort zu gehen. Sport zum Beispiel. Viele Feuilletonisten, die ich kenne und schätze, sind Fußballfanatiker. Da holen die sich ihre Lebensportion Optimismus ab. Ansonsten gehört Pessimismus zur Grundausstattung.

Die „Schwermutshöhle Feuilleton“ bleibt?

In dem Augenblick, in dem das Feuilleton anfängt, fröhlich zu pfeifen, stimmt etwas nicht. Das Hauptproblem ist aber nicht, dass sich die Feuilletonisten in Sachen Kultur in der Schwermutshöhle befinden. Das Problem ist, dass sie auch politisch schwarz sehen. Das ist falsch.

Und kulturell?

Was die kulturelle Entwicklung angeht, sieht die Sache anders aus. Da sind wir wieder beim Fernsehen. Da sehe ich inzwischen in ganz normalen Programmen obszöne Werbung: Bei uns springen nackte Frauen für Sonnencremes rum. Die Enträtselung und Entwürdigung von Frauen durch Reklame macht immer neue Fortschritte. Wenn ich das ergänze mit einer der Haupteinnahmequellen der „Bild“, mit Zuhältereien in den so genannten Kontaktanzeigen, die dem Verlag jedes Jahr Millionen bringen – also, ich stehe fassungslos davor.

Wie ist Ihr Verhältnis zur „Bild“ heute?

Nackte Verachtung. Gegenseitige, vermute ich.

Wieso verachtet „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann Sie?

Herr Diekmann ist ja offenkundig nur zu zwei Gefühlsregungen in der Lage: Enthusiasmus – „Wir sind Papst“ – und Verachtung: vor allem für seine Leser und vielleicht auch für seine Kritiker. Bei mir richtet es sich nicht gegen ihn. Er ist mir egal. Wir haben uns mal getroffen, ich fand ihn keineswegs unsympathisch. Meine Verachtung richtet sich gegen die altbekannten publizistischen Schweinereien. Inklusive dieser frauenverachtenden Unterstützung von Zwangsprostitution, die vorne als Skandal vorgeführt und hinten verkauft wird. „Bild“ ist entschieden schlimmer geworden. Darum verliert sie Auflage. Wo immer Herr Döpfner …

… der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG und Ex-Chefredakteur von „Hamburger Morgenpost“ und „Welt“ …

… hingeht, sinkt die Auflage – die so genannte Döpfner-Kurve. Das gedruckte Wort ist ihm wohl wurscht, er gehört zur Fernsehgeneration.

Was erwarten Sie von der großen Koalition für die Kultur?

Bernd Neumann ist im Parlament so gut vernetzt, dass er keine finanziellen Einbußen hinnehmen muss, mitten in der Sparperiode.

Was ist die Funktion von Kultur in Krisen?

Trost. Trost und Hoffnung zu vermitteln – vielleicht.

Erreicht dieser Trost vor allem die Intellektuellen?

Die Klasse der Intellektuellen gibt es doch eigentlich gar nicht mehr. Reden wir doch lieber von den Leuten, die gerne Bücher lesen und Musik hören.

Sie sind kein klassischer Intellektueller?

Auf keinen Fall. Der Begriff Intellektueller ist für mich immer auch ein Schimpfwort, jemand, der seine festen Meinungen wortreich verteidigt, der das Staunen verlernt hat, schon alles weiß, also kein Philosoph ist. Also jemand, der alles weiß, aber sonst nichts.

Braucht die Politik in Deutschland mehr Intellektualität?

Nachdem ich einige führende Politiker näher kennen gelernt hatte, war mir klar, wie sehr sie von Journalisten unterschätzt werden. Nicht nur Merkel, auch Gerhard Schröder. Dessen Gedächtnis hätte ich gerne. Die sind alle nicht aus Versehen in ihre Positionen gelangt. Nur Journalisten glauben, Politiker sind so schlecht wie ihre Gesetze. Aber die werden meist von Beamten verfasst. Wer permanent als Vermittler von Politik durch die Welt läuft – das sind politische Journalisten nolens volens –, ist natürlich nicht gut auf die zu sprechen, die ihn instrumentalisieren. Ich finde es gut, dass das politische und journalistische Personal wechselt, damit diese gegenseitige Verachtung aufhört.

Können Sie sich vorstellen, wieder in die Politik zurückzukehren?

Nein. Aber meine zwei Jahre als Kulturstaatsminister waren sicher die aufregendste Zeit in meinem Leben.

Wie lange bleiben Sie noch bei der „Zeit“?

Zumindest bis ich 65 bin. Ich habe auch noch andere Vorstellungen vom Leben, ich würde gerne meine Loeb Classical Library lesen – das sind fast 500 Bände. Und ich möchte segeln. Das Leben geht mit interessanten Perspektiven weiter.

Das Gespräch führten Fabian Grabowsky und Konstantin J. Sakkas.

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