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Kai Wiesinger in der Rolle als Christian Wulff (r.)

© dpa

"Der Rücktritt": Film über die Wulffs: „Merkel ist nicht besonders spektakulär“

Prominente müssen hinnehmen, dass Filme über sie gedreht werden - so wie Christian Wulff, dessen Rücktritt Sat1 verfilmt hat. Warum Politiker wie er keine Lizenz auf ihre Biografie haben, erzählt Rechtsanwalt Christian Schertz im Interview.

Herr Schertz, kaum trat Karl-Theodor zu Guttenberg zurück, wurde seine Geschichte als „Der Minister“ verfilmt. Noch läuft der Prozess gegen Ex-Bundespräsident Christian Wulff, schon zeigt Sat  1 den „Rücktritt“. Ist es klug, jedes Ereignis sofort ins Fernsehen zu bringen?

Wenn Filme den unmittelbaren Ereignissen hinterhergedreht werden, macht das durchaus Sinn. Die Zuschauer interessieren sich noch sehr für die Geschichte, entsprechend gut kann die Quote sein. Ebenso erfolgreich ist die andere Variante: Ein Ereignis, das lange zurückliegt, wird den Zuschauern noch einmal in Erinnerung gerufen, wie bei „Mogadischu“ oder „Das Wunder von Lengede“.

Sie haben die Produktion von „Der Rücktritt“ juristisch begleitet. Welche Szenen mussten auf Wunsch von Wulff oder seiner Ex-Frau Bettina verändert werden?

Auf Wunsch des Ex-Bundespräsidenten musste nach meiner Erkenntnis gar nichts verändert werden. Soweit ich weiß, kennt er den Film gar nicht. Es wäre ja auch absurd, wenn derjenige, über den ein Film gedreht wurde, ein Abnahmerecht hätte, das wäre ja Zensur. Das könnte sich kein Sender und auch kein Produzent erlauben.

Absolute Personen der Zeitgeschichte wie Wulff oder Guttenberg müssen es also hinnehmen, dass ein Biopic über sie gedreht wird, ein Film, der ein reales Leben inszeniert?

Ja, so genannte absolute Personen der Zeitgeschichte haben kein Lizenzrecht an ihrer Biografie. Theoretisch kann jeder Filmproduzent oder Theaterregisseur die öffentlich bekannt gewordenen Umstände eines solchen Lebens interpretieren und inszenieren, auch wenn die Beteiligten damit nicht einverstanden sind. Allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen.

Und zwar welchen?

Ein solcher Film darf grundsätzlich nicht die Intimsphäre der Betroffenen verletzen oder das Lebensbild postmortal verzerren. Bei Biopics prüfen Juristen deshalb vorab die Verfilmbarkeit eines Stoffes und ob das Drehbuch und später der Film gegen Persönlichkeitsrechte verstoßen könnten. Grundsätzlich darf ein Spielfilm über ein reales Geschehen mehr als die Presse.

Was darf der Spielfilm, was die Presse nicht darf?

Die Presse kann sich zwar auf die Pressefreiheit berufen, muss aber trotzdem wahrhaftig berichten und den Persönlichkeitsschutz wahren. [Ein Regisseur – sowohl im Theater als auch im Film – darf historische Abläufe hingegen künstlerisch interpretieren und inszenieren. Das gehört zur Kunst- und Filmfreiheit. Bei „Der Minister“ war es aber noch mal anders.

Inwiefern?

Das war eine satirische Überhöhung des Falls Guttenberg. Wenn es juristische Risiken gibt, kann die Satire ein Weg sein, um den Film unangreifbar zu machen. Auch die Geschichte über die gefälschten Hitlertagebüchergeschichte ist ja in der wunderbaren Satire „Schtonk“ verfilmt worden.

Wie ist es bei „Der Rücktritt“ gelaufen? Ein juristisch heikler Fall?

Nein, da gibt es viel heiklere Fälle wie der Film „Contergan“ oder die Verfilmung von Romy Schneiders Leben. Bei Wulff war der Vorteil, dass die Öffentlichkeit viel von den Ereignissen mitbekommen hat, die entscheidend waren: Wulffs Erklärungen, seine Fernsehauftritte, der nahezu komplette Wortlaut vom Anruf beim „Bild“-Chefredakteur. Teilweise sind ja seine Einlassungen in der Öffentlichkeit erst nach und nach erfolgt, was am Ende möglicherweise auch das Problem war. Viel schwieriger sind dagegen Kriminalfälle.

Warum?

Wegen des Opferschutzes darf das Opfer im Regelfall nicht dargestellt werden. Deshalb muss geklärt werden, was von der Tat überhaupt gezeigt werden darf und ob die Angehörigen mit der Verfilmung einverstanden sind, wie beispielsweise beim Film über den Entführungsfall Jakob von Metzler. Auch ein Täter hat presserechtlichen Resozialisierungsanspruch. Wenn eine Tat länger zurückliegt, muss er womöglich gar nicht dulden, dass diese Tat filmisch dargestellt wird. Gerade wird das Gladbecker Geiseldrama verfilmt, da wird es ähnliche Rechtsfragen geben.

Streit gibt es um die Verfilmung des Lebens von Anne Frank, deren Todestag sich 2015 zum 70. Mal jährt. Der Anne Frank Fonds hat die Rechte für einen Kinofilm exklusiv an die Produktionsfirmen AVE und Zeitsprung vergeben, Produzent Oliver Berben will für das ZDF auch ohne Rechte an den Tagebüchern eine Miniserie drehen.

Da ich den Anne Frank Fonds vertrete, bin ich hier natürlich parteiisch. Unabhängig von den ethischen Fragen halte ich es für schwierig, das Leben von Anne Frank oder ihrer Familie zu verfilmen, ohne das Tagebuch miteinzubeziehen.

Werden wir künftig mehr Biopics sehen als fiktionale Stoffe?

Tatsächlich werden immer mehr reale Geschehnisse verfilmt. Die besten Geschichten schreibt eben das Leben. Und die Menschen interessiert so etwas mehr als reine Fiktion, weil es sie offensichtlich mehr berührt. Es gibt da noch einige spannende Fälle, an die sich bisher niemand getraut hat.

An welche Fälle denken Sie?

An die Barschel-Affäre. Der Fall ist bis heute nicht geklärt und unglaublich interessant. Höchst kompliziert, aber sehr spannend wäre der Fall Kachelmann, weil da wirklich alle Beteiligten versagt haben: die Justiz, die Medien und die Betroffenen selbst. So ein Fall darf sich nicht wiederholen, deshalb könnte ein Film dieses Versagen auch noch einmal anklagen.

Glauben Sie, dass Wulff und seine Ex-Frau zufrieden sein können mit „Der Rücktritt“?

Ich habe selten ein Dokudrama begleitet, was mir so gut gefallen hat. Gerade aus Sicht der Betroffenen, aber auch Sicht der Fernsehzuschauer wird deutlich, welch unglaublichem Druck Menschen in so einem medialen Tsunami ausgesetzt sind und wie das den Menschen auch in nur wenigen Wochen verändern kann. Der Film nimmt nicht Partei, aber er zeigt auch Verständnis für den Bundespräsidenten.

Würde sich auch das Leben von Kanzlerin Angela Merkel für ein Biopic eignen?

Ich glaube, dass Frau Merkel auch deshalb so beliebt ist, weil sie so uneitel ist im Gegensatz zu vielen ihrer männlichen Kollegen, die an ihrer eigenen Eitelkeit gescheitert sind. Das wird Frau Merkel nicht passieren. Gerade weil sie so unprätentiös ist, ist sie eben auch nicht besonders spektakulär. Dazu regelt sie vieles im Stillen, da wüsste ich nicht so recht, was die Cliffhanger sein sollten. Interessant wäre deshalb höchstens der Weg, wie sie von einer Pfarrerstochter zur mächtigsten Frau der Welt geworden ist.

Das Gespräch führte Sonja Álvarez.

Christian Schertz

ist Rechtsanwalt und Honorarprofessor für Persönlichkeits-, Presse- und Medienrecht an der Juristischen Fakultät der TU Dresden.

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