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Medien: Der Zweifel war sein Stilmittel

Zum Tod von Herbert Riehl-Heyse, der als Reporter die „Süddeutsche Zeitung“ wesentlich prägte

Dieser Satz tippt sich so unendlich schwer in den Computer: Herbert Riehl-Heyse ist tot, gerade mal 62 Jahre alt. Auch deshalb, weil er ein ganz Großer des deutschen Journalismus war, weil er, und bei ihm ist es keine Floskel, das Schreiben auf eine gewisse Weise neu erfunden hat.

Aber dazu kommt eben noch etwas: Er war mein Kollege und auch auf diesem Gebiet war er etwas Besonderes. Er war freundlich, nett, dem Leben zugewandt. Wenn ich jetzt an ihn denke, sehe ich ihn zur Mittagszeit auf dem Flur der „Süddeutschen Zeitung“ entlanggehen, ein bisschen schneller als andere, so war er immer unterwegs gewesen. Er war auf dem Weg in eines der Münchner Lokale gleich ums Eck. Da saß er dann, aß etwas, und dabei schrieb er per Hand auf einen Block das aktuelle „Streiflicht“, die berühmte linke Spalte auf Seite 1 der „SZ“. Keiner hat diese Form der sehr eigenen Glosse mehr geprägt als er.

Herbert Riehl-Heyse stammt aus Altötting, bayerischer und katholischer kann man eigentlich nicht aufwachsen. Und auch seine erste Station als Journalist, nach seinem abgeschlossenen Jura-Studium, zeigt durchaus in diese Richtung: Für eine Kirchenzeitung schrieb er eine Kolumne über den „Heiligen der Woche“ – die einem katholischen Verlag in München derart gut gefiel, dass er daraus unbedingt ein Buch machen wollte. Riehl-Heyse musste den Anrufer darauf hinweisen: Ihr Verlag habe bereits ein derartiges Buch herausgebracht, das sei für ihn beim Verfassen der Kolumne stets eine große Hilfe. Solche Geschichten mochte er gerne erzählen.

Vielleicht ist es wichtig im Journalismus – und als Reporter im Besonderen – einigermaßen fest auf dem Boden zu stehen, so lässt es sich besser und auch misstrauischer auf die Welt blicken. Als Herbert Riehl-Heyse bei der „Süddeutschen Zeitung“ in den siebziger Jahren anfing über politische Themen zu schreiben, war sofort klar: Da schreibt jemand anders als die anderen. Später befragt, was er sich denn bei der Erfindung seines neuen Stils alles überlegt habe, zuckte er mit den Achseln. Weiß nicht, höchstens vielleicht eine Sache, sagte er, sei ihm von Anfang an wichtig gewesen: Er wollte nicht wie viele Journalisten immer so tun, als wisse er alles ganz genau. Der Zweifel wurde sein Stilmittel.

Im Grunde sind viele seiner Artikel eine Art innerer Monolog, Gedanke kommt nach Gedanke – und alles verkleidet in scheinbar leichter Sprache, in netten hübschen Beobachtungen, in lustigen Anekdoten. Riehl- Heyse erfand diese Leichtigkeit, die die dahinter verborgene Analyseschärfe und Rechercheleistung nur umso stärker herausbringt. Diese Methode haben viele versucht zu kopieren – und sind damit zumeist ziemlich kläglich gescheitert. Leichtigkeit ohne Gedanken kann etwas sehr Trauriges sein.

Seinen Text über ein Münchner Playmate begann er folgendermaßen:

„Alles Wesentliche über Uschi, das aufregende Playmate, weiß der Kenner schon lange aus den Zeitungen, wenn auch die Auskünfte manchmal ein wenig verwirrend waren. Hat sie nun eigentlich die Maße 84-59-84 (die ,Bild’ im November ’79 bekannt gab) oder doch 87-61-85 (,Bild’, Juli ’80), oder sind es vielleicht die 82-58-82, die Michael Graeter für die ,AZ’ herausgefunden hat? Auch, was den steilen Aufstieg in ihrer ,Traumkarriere ’(,Bild’) angeht, ist man all die Jahre über ein wenig im Stich gelassen worden, denn irgendwas kann ja wohl nicht stimmen, wenn der ,Abend’ in Berlin im Oktober 1980 ,schon mehr als zwanzig’ Filme mit Uschi gezählt hat, sie zur gleichen Zeit für ,Bild/Berlin’ aber gerade den zehnten Film drehte und es im Januar ’81 (in ,Bild/München’) plötzlich nur noch fünf waren. Aber egal, wichtig sind solche Details bei einem Mädchen dieser Art ohnehin nicht. Hauptsache, es stimmt (und da sind sich alle Zeitungen einig), dass sie ,süß’ ist und ,knackig’, und dass ,die heiße Uschi allen Männern den Kopf verdreht. (…)"

Für diese Reportage bekam Riehl-Heyse den Egon-Erwin-Kisch- Preis. Zahlreiche andere Auszeichnungen folgten: Wächter-Preis, Theodor- Wolff-Preis, Medienpreis des Deutschen Bundestages.

Im Herbst des Jahres 2002, im letzten Wahlkampf, begleitete er einige Tage Bundeskanzler Schröder. Seine ersten Sätze über Schröder:

„Wenn ihm jetzt, am Donnerstagabend, im Hubschrauber kurz die Augen zufallen, dann fliegen die Erlebnisse der letzten Woche gewiss wie Fledermäuse an ihm vorbei; unmöglich, sie alle in die Reihe zu bringen: Warum hat das kleine Mädchen in Regensburg so erschrocken geschaut, als er sich kurz nach unten beugte, um ihr ein Küsschen auf die Stirn drückte?“

Riehl-Heyse porträtierte über drei Jahrzehnte die wesentlichen Politiker dieses Landes, aber er machte eben nicht nur dies: Er schrieb Gastro-Kritiken, beschrieb die Weihnachtstage anhand des Alltags seiner eigenen Familie und schilderte höchst amüsant seine Versuche, einen Urlaub im Angesicht eines Animateurs zu überleben. Der Riehl, wie er sich selbst am Telefon meldete, war viel zu viel journalistisches Temperament, um sich auf ein einziges Genre zu begrenzen.

Frühzeitig wollte man ihn aus München weglocken, er hätte mindestens zweimal von jedem Qualitäts-Blatt Chefredakteur werden können. Ein einziges Mal hat er sich locken lassen – in die Chefredaktion des „Stern“ nach Hamburg. Es ging schief, und er kehrte nach wenigen Monaten wieder zurück zu seiner „SZ“. Sein Scheitern hing sicher auch damit zusammen, dass gutes Blattmachen und gutes Schreiben oft zwei verschiedene Dinge sind. Aber es hatte wohl auch damit zu tun, dass seine feine Ironie im oft zynischen Medien-Hamburg keinen Platz hatte.

Herbert Riehl-Heyse war bis zuletzt damit beschäftigt, ein Buch über seine Krebserkrankung zu schreiben. Es wurde nicht mehr fertig, der Tod war schneller.

Dass er gerade jetzt stirbt, mitten in der größten Medienkrise – sie ist nicht mehr sein Problem. Aber genau in der Zeit, in der seine Standfestigkeit und sein bissiger Humor so sehr gefragt wären, hätte man ihn verdammt gerne dabei.

Zuletzt erschien von Herbert Riehl-Heyse das Buch „Arbeiten in vermintem Gelände – Von der Ohnmacht des Journalismus“. Picus-Verlag, Wien 2002, 14 Euro 90.

Stephan Lebert

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