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Grenze

© Sat1

Deutschlandspiel: James Bond in Rostock

Ein TV-Event, das die Nation spaltet? Der Film "Die Grenze" nimmt sich viel vor.

„Eine neue DDR in Russenuniform macht in einer Höhle Revolution, und davor macht James Bond mit seinen weißen Anzugträgern Stress“, so fasste Schauspieler Michael Gwisdek die Handlung zusammen, nachdem er die Vorpremiere des Films „Die Grenze“ gesehen hatte. Das trifft es schon ziemlich gut, außer, dass die Revolution nicht in einer Höhle, sondern in einem Lagerhaus stattfindet und dass Thomas Kretschmann keine James-Bond-Figur, sondern einen rechtspopulistischen Bösewicht spielt. Der nutzt die Wirtschaftskrise und steigende Arbeitslosigkeit, um soziale Unruhen zu schüren und Kapital für die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern zu schlagen. Um die bürgerkriegsähnlichen Zustände, die dort bald herrschen, in den Griff zu bekommen, entscheidet sich die Kanzlerin dafür, den Spitzenkandidaten der linken Gegenpartei zu unterstützen, und nimmt damit in Kauf, dass Rostock durch einen Stacheldrahtverhau geteilt wird und sich ein neu-sozialistisches Mecklenburg-Vorpommern abspaltet.

Soweit das politische Szenario. „Ein Experiment und Riesenwagnis“, nannte es Produzent Nico Hofmann im Vorfeld. Man wolle provozieren, Tabus brechen und sieht sich in der Tradition von Deutschlandthrillern wie „Das Millionenspiel“ (1970) von Wolfgang Menge. Hofmann, der für Fernsehgroßprojekte wie „Der Tunnel“, „Mogadischu“ oder „Dresden“ verantwortlich zeichnet, sagt, dies sei eines der wichtigsten Projekte seiner Karriere. Deutschlandweit sind Großplakate mit den Hauptdarstellern zu sehen, auf denen steht: „Das TV-Event, das Deutschland spaltet.“ Schönes Wortspiel, aber geht es eine Nummer kleiner?

Der acht Millionen Euro teure TV-Film bläht sich zwar mit gekonnt inszenierten Bildern und vor allem im zweiten Teil mit spannungsgeladener Action auf, doch das Schicksal der Figuren berührt einen kaum. All die namhaften Schauspieler wie Benno Fürmann, Marie Bäumer oder Katja Riemann bleiben Staffage für ein Provinzdrama, das zwischen Bürgerkrieg und futuristischem Größenwahn die Bodenhaftung verliert. Sie bewegen sich in dieser Versuchsanordnung wie ferngesteuert, ohne eigenen Antrieb oder ein besonderes Ziel. Benno Fürmann, der als Geheimagent wider Willen vom Verfassungsschutz verpflichtet wird, starrt im ersten Teil vor allem entsetzt vor sich hin. Marie Bäumer läuft als Verkörperung des Gewissens hilflos zwischen den Fronten hin und her, die Sätze von Thomas Kretschmann als teuflischer Schönling wirken aufgesagt. Eine kleine Entdeckung ist Anja Kling als finstere Agentin Linda. Anders als Uwe Kockisch, der in seiner NVA-Uniform recht verkleidet aussieht, nimmt man ihr die Lady in black ohne weiteres ab. Wenn sie etwa trocken zu Benno Fürmann sagt: „Schauen Sie mich nicht so an. Sie sind nicht gefährlich im Gegensatz zu mir.“

Anja Kling ist zum Glück kein Teil der Dreiecksliebesgeschichte. Die kommt nicht recht in die Gänge. Auch die Brisanz der politischen Situation verliert sich zwischen vielen Handlungssträngen. Katja Riemann spielt eine Art Angela Merkel mit schlimmer Frisur (gedreht wurde auch in Stralsund, dem Wahlkreis von Merkel), die mit ihrem Kabinett im getäfelten Büro sitzt und es ein bisschen bedauert, dass man die Bundeswehr nicht im Inneren einsetzen kann. Auch als es Tote bei den Auseinandersetzungen in Rostock gibt, trinkt sie weiter Tee und geht zum nächsten Tagesordnungspunkt über. An der Frage, warum die Regierung nicht die gesamte Polizei ins Krisengebiet schickt, bleibt man immer wieder hängen.

Obwohl echte Aufnahmen von den Krawallen beim G-8-Gipfel in Rostock 2007 verwendet wurden und durch gestellte N24-Nachrichten Authentizität entstehen soll, bleibt „Die Grenze“ auf emotionaler Halbdistanz und taugt wenig zum Aufreger. Dabei war Fachpersonal am Werk. Die Brüder Friedemann und Christoph Fromm, die das Buch entwickelten, sind mit ihrem preisgekrönten Dreiteiler „Die Wölfe“ Experten für deutsch-deutsche Grenzangelegenheiten. Und Regisseur Roland Suso Richter hat 2001 in dem Sat-1-Zweiteiler „Der Tunnel“ die deutsch-deutsche Grenze bereits untergraben und ließ sie 2007 in „Das Wunder von Berlin“ niederreißen. Man versteht ihn gut, wenn er sagt: „Ich habe erst mal genug von dieser Grenze.“ Möglicherweise geht es dem deutschen Fernsehpublikum ähnlich. Man darf gespannt sein, wie die Quoten bei dem am Dienstagabend anschließenden Talk „Kerner Spezial – Die Grenze“ ausfallen werden.

„Die Grenze“, Sat 1, Montag, 20 Uhr 15; zweiter Teil am Dienstag

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